"Nucleus" bei der Münchner Biennale

Wenn das C fünf Minuten gehalten wird und Töne im mittleren Alt wiehern

von Michael Wüst

Nucleus 4 von Eva Sindichakix. Foto: Michael Wüst

Acht zehnminütige Uraufführungen, oder wie es hülsenfruchtig im Begleitheft heißt: „Acht Kernsätze im musiktheatralen Vorfeld“. Man wollte also nachforschen, bei der Münchner Biennale, ob es eine Quintessenz der Oper gibt? Das kann doch eigentlich gar nicht danebengehen: Ist keine Quintessenz aufzufinden, gibt es eben keine. Quod erat demonstrandum: So ist das bei den kulturellen Quintessenzenzirkeln. Ein kleiner Rück- und Ausblick.

Im Ampere der Muffathalle wurde mit „FORT:DA“, einer Komposition Eva Sindichakis, schon der 4. Nucleus in die Umlaufbahn der Kunst-Seinsfrage gesetzt. Im Begleitheft war das so zu lesen: FORT:DA oder auch: FORT! DA? FORT? DA! FORT. DA. - Das dürfte also spannend werden.

Die Frage nach dem Verhältnis vom Teil zum Ganzen beherrschen formal auch weitere Folgen in der Nucleus-Reihe: Am Mittwoch, den 16. Mai wird ein possierlicher Ring aus dann acht Nuclei vollendet sein. Zu sehen an zwei Tagen im Schwere Reiter, am 17. und 18. Mai.

„FORT:DA“ 4 soll auf Monteverdis „Lamento della Ninfa“ aus dem achten Madrigalbuch basieren, vielleicht ist die Komposition aber auch nur irgendwie davon beeinflusst. Das kann unmöglich nachgewiesen werden, da ist konzeptionell ein stringenter Riegel vor. Bravo! Für den Rezipienten ergibt sich also die Notwendigkeit ins Subnukleare der musikalischen Fragestellung hinab tauchen zu müssen, geht es doch darum das Wesentliche des tonalen Quarks in einem einzelnen Ton finden zu müssen.

War es ein klingendes C, das, horribile dictu, über fünf Minuten unisono von dem 13-köpfigen Chor eines „Ensemble Fenice“ gehalten wurde? - Das von der siebenköpfigen Münchner Band „Radio Citizen“ mit viel Gebläse zurückgerufen wurde? War das inszeniertes Tuning? Aber SO:FORT:JETZT! Zwischen den beiden Gruppen wand sich, zuckte und verdrehte sich eine weiße schöne Tänzerin, das musste die traurige Nymphe sein! Und natürlich überhaupt keine Frage, dass hinter dieser postmodernen Isodora Duncan noch eine Videoeinspielung vor sich hin dödelt. Vergessen wir auch nicht die carmenartige Sängerin, die an einer Stange rechts vorne litt – wie wiederum das Publikum an ihren Tönen, die schon im mittleren Alt wieherten.

Wir machen es kurz, es war ja auch gleich vorbei. Es folgte noch eine absteigende Halbton- Ganzton-Basslinie wie sie etwa in hypernuklearen Welten des Normaldaseins, in Biergärten oder auf Ausflugsdampfern für Stimmung und Bewegung sorgt. Jedoch: Ein dissonant durchwobener Akkord des „Ensemble Fenice“ sorgte umgehend für den Bruch. NIX:DA:FORT:SOGI: Der Klang verlief sich auch wirklich sehr schnell. So wie die Musiker, die zügig tröpfelnd das Geschehen verließen.

Veröffentlicht am: 08.05.2012

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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