Ray Andersons Packet Brass im Bayerischen Hof

Es gibt keine nennenswerte Kluft zwischen Tradition und Avantgarde

von kulturvollzug

Eine Suite zu Ehren Chicagos - Ray Anderson im bayerischen Hof

Bereits 2001 fertigte der Posaunist Ray Anderson im Auftrag der Organisation „Chamber Music America“ eine Suite, die er seiner Heimatstadt Chicago verehrte. Erst im letzten Monat aber erschien das sechsteilige Werk auf CD. Im Nightclub des Bayerischen Hofs stellte es der Tonsetzer und Blechbläser mit seiner „Pocket Brass“ nun vor.

Besonders lang hat es Ray Anderson nicht in der Heimat gehalten. Bereits mit 16 strich er die Segel und kehrte Chicago, der „Windy City“, den Rücken. Aber es waren prägende Jahre, die er dort verbrachte. Die Dixielandsammlung des Vaters erregte früh sein Interesse – doch Chicago ist eben auch eine Stadt des Blues – und der Jazz Avantgarde. Den Einfluss der berühmten Neutöner-Organisation AACM bekam auch Ray Anderson zu spüren. Dass er in seiner Jugend hin- und her gerissen war zwischen Bodenständigem und Verkopftem, zwischen Form und Freistil, Roots und Visionärem, hört man der „Sweet Chicago Suite“ jederzeit an.

Doch mit seiner Komposition, die ihm wohl nur aus der Distanz so liebevoll geriet, gelang dem Weltklasseposaunisten eine Beweisführung, für die er nicht genug gewürdigt werden kann. Seine Musik, mit der er im Bayerischen Hof das Publikum hinriss, zeigt nämlich, dass es gar keine so große Kluft ist, die sich zwischen Tradition und Avantgarde auftut. Im Zeitraffer jagt Ray Anderson mit dem Trompeter Lou Soloff, dem unfassbar wendigen Sousaphonisten Matt Perrine und dem Schlagzeuger Eric McPherson querfeldein durch die Geschichte der improvisierten Musik in den Vereinigten Staaten, macht einen Quickie-Abstecher an den Congo Square in New Orleans, wo die Wiege des Jazz einst aufgestellt war und ist ein paar Takte später schon in einem dieser Lofts zugegen, in denen in den 70er Jahren an einer parameterbereinigten Fassung des Jazz gebrütet wurde. Die Übergänge von einer Ästhetik zur anderen tönen so organisch, als ob es nie verschiedene Lager im Jazz gegeben hätte.

Ray Anderson initiiert einen Handshake zwischen Duke Ellington und Anthony Braxton – und ist so beglückt von seiner Tat, dass mancher Takt des Abends wie ein kunstvoller Tusch tönt. Und der immer bestens gelaunte Instrumentalist (der im Oktober 60 wird) dreht immer mehr auf, spielt ein paar zirkulargeatmete Soli, dass man vor Begeisterung nur den Kopf schütteln kann. Was er an der Posaune leistet, ist umso verwunderlicher, wenn man weiß, dass der Diabetiker Anderson vor nicht allzu langer gegen Kehlkopfkrebs kämpfen musste und 2010 schon zum zweiten Mal von einer halbseitigen Gesichtslähmung heimgesucht wurde. Im anschließenden Interview sagte er sinngemäß: was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker. Aber gleich so stark?

 

Ssirus W. Pakzad

Veröffentlicht am: 27.03.2012

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