Thalia-Inszenierung "Draußen vor der Tür"

Der universelle, heimatlose Soldat

von Michael Weiser

Ist der Krieg vorbei, geht der Krieg im Kopf los: Kriegsheimkehrer Beckmann (Felix Knopp), Foto: Armin Smailovic

Schulklassiker, von Schiller und Goethe mal abgesehen, haben es schwer im zeitgenössischen Theaterbetrieb. Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" etwa, der große Erfolg der Nachkriegszeit wird kaum mehr gespielt. Dass in dem bekannten Stück mehr steckt als die zu erwartende Parallele zum Krieg in Afghanistan, zeigte jetzt Luk Perceval, der mit seiner Hamburger Inszenierung für einen Abend an den Kammerspielen Station machte.

Der Mann hat einen Traum. Jede Nacht. Einen Alptraum, in dem ein dicker Mann mit blutroten Generalsstreifen auf der Hose ein Xylophon aus Menschenknochen spielt. In dem ihn zerfetzte und verweste Soldaten anklagen. Eigentlich möchte er nur pennen, aber kann sie nicht zurückgeben, die Verantwortung. So irrt er durch seine Stadt, die Heimat, die keine mehr ist: Beckmann, das Gespenst mit dem ulkigen Brillengestell auf der Nase. Wolfgang Borchert ließ sein Drama um den Kriegsheimkehrer in Hamburg spielen. In Luk Percevals Inszenierung fürs Hamburger Thalia ist die Elbstadt nicht mehr zu erkennen, und auch den Zweiten Weltkrieg erahnt man nur noch an zwei Namen: Smolensk und Stalingrad. Beckmann ist kein heimgekehrter Wehrmachtssoldat mehr, er ist der Soldat aller Zeiten, der vom Krieg Versehrte schlechthin. Damit ist Perceval eine durch und durch stimmige Inszenierung gelungen, die eine allzu naheliegende Focussierung auf Afghanistan vermeidet.

Alptraumhafte Visionen

Perceval bildet Beckmanns  alptraumhafte Visionen – heute würde man sagen: postraumatisches Belastungssyndrom – als inneren Film ab. Die Band "My Darkest Star" liefert den Soundtrack dazu ab. Vielmehr, sie begleitet Beckmann: Der findet keinen Draht mehr zu den Leuten zu Hause, er steht am Mikrofon und gibt sein eigenes Konzert. Wo Worte nicht mehr ausreichen, da wimmert, stöhnt, lacht und flüstert Beckmann. Katrin Brack hat eine überaus nüchterne Bühne gebaut, eine Spiegelfläche ragt schräg über die Bühne und lässt uns das Treiben quasi von oben betrachten. Tatsächlich kann man kaum die Augen von dem Geschehen wenden, man sieht, was Beckmann in seinen Gedanken sehen könnte, ohne den Protagonisten am Mikrophon doch ganz aus den Augen zu verlieren: So taucht man in Beckmanns innere Welt ein, die Perceval mit Akteuren von "Eisenhans" belebt: Darsteller mit Downsyndrom, die es mit ihrer Fröhlichkeit schaffen, so etwas wie Hoffnung in diesen düsteren Trip zu zaubern.

Erschütterung der Seele

Wenn "My Darkest Star" den Bass wummern lässt, zittert und vibriert die Glasfläche, eine mechanische Erschütterung, die jene seelische des Menschen nachempfinden lässt. Nicht der einzige starke Einfall an diesem Abend: wie Beckmann ins Rampenlicht robbt und in der Spiegel-Draufsicht zum Mann im faulen Mond wird, wie sich der alte Mann mit dem Kopf unter eine Bank legt und damit den Selbstmord von Beckmanns Vater im Gasofen nachzeichnet – das bleibt hängen. Mit drei Hauptdarstellern ist das Thalia zum Gastspiel in den Kammerspielen gereist: Peter Maertens, Felix Knopp als Beckmann und Barbara Nüsse. Drei, die vollkommen reichen für einen starken Abend. Vor allem Barbara Nüsse zeigte großes Theater auch in der kleinen Geste: Als Oberst, Kabarettdirektor oder Dame – ein starker Auftritt. Langer Beifall, viele Bravos für die Gäste aus Hamburg.

 

 

Veröffentlicht am: 20.03.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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