TV-Kritik zur Wahl Gaucks in ARD und ZDF

Wenn selbst die bayerische SPD auf Präsidenten-Level kommt

von Michael Grill

Was für ein schöner Sonntag, doch da ging's ja erst richtig los.

Der Tag, an dem die Republik einen neuen Bundespräsidenten bekommen sollte, war ein Tag der medialen Elefanten. Bundespräsident ist Chefsache in den Redaktionen, und so vibrierte der öffentlich-rechtliche Apparat (private Sender sind bei dem Thema weiterhin kaum relevant) einen sonnigen Sonntag lang in dem bedeutungsvollen Gebrumm der Chefredakteure, Hauptstadtbüro-Leiter und Chefkommentatoren.

Für ARD und ZDF war die Wahl ein medialer Großkampftag. Es marschierten die Chefredakteure auf, aber nicht alles war auf Chefniveau - nur Günther Jauch zeigte, dass er wichtig für das Erste ist.

Erstaunlich, dass noch am späten Vormittag die via Tagesschau-App erhältliche "tagesschau24" auf dem Stand des Vortages war. Der 18. März wurde als "Schicksalstag" des Kandidaten Joachim Gauck angekündigt, denn der habe schließlich auch "morgen auf den Tag genau vor 22 Jahren" an der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR teilnehmen können.

Am frühen Nachmittag war man dann immerhin live im TV am tatsächlichen Sonntag im Berliner Reichstag angekommen und der Kommentator sinnierte während der Wartephasen über den ominösen Blumenstrauß, der angeblich bei solchen Wahl-Ritualen verrät, ob es gleich ein Ergebnis gibt: "Man hat in früheren Jahren versucht ihn zu verstecken." So ist das, wenn Sendezeit überbrückt werden muss.

Im Presseclub brauchte es Welt-Herausgeber Thomas Schmid, damit festgestellt werden konnte, dass Gauck "zwar älter ist, aber erstaunlicherweise auch die Jungen anspricht". Was man halt so interpretiert, wenn ein medialer Übertragungs-Marathon mit allen Ermüdungs- und Verschleißerscheinungen im vorgegebenen Tempo vor sich hintrabt.

Wobei, andererseits: Nur das öffentlich-rechtliche System ist ja überhaupt noch in der Lage, so viel Politik in solcher Länge auf erträglichem Niveau durchzuproduzieren.

Um 14.21 Uhr war Gauck dann tatsächlich der elfte Präsident der Bundesrepublik Deutschland und konnte diesen Satz sagen, der aus Präsidentenmund natürlich besonders feierlich war: "Was für ein schöner Sonntag!" Damit hätte man es eigentlich auch bewenden lassen können, doch jetzt ging es ja erst richtig los.

Mit Senta Berger kommt man halt ins Bild

Der Bericht aus Berlin lief bunt und gefühlig an. Die bayerische SPD wird eigens erwähnt, was der bayerischen SPD eigentlich auch in Bayern traditionellerweise eher nicht passiert, doch die bayerische SPD hat die Wahlfrau Senta Berger mitgebracht. Damit kommt man ins Bild. Dann ist ganz groß das ganz leicht zuckende Gesicht des Kandidaten Gauck zu sehen, in der Sekunde als das Wahlergebnis verkündet wird. Schließlich sein späteres Gruppenfoto mit den Saaldienern im Reichstag: "Eine kleine Geste ganz im Sinne seiner Ankündigung, für mehr Nähe zwischen Politikern und Bürgern zu sorgen."

Auftritt von ARD-Chefredakteur Thomas Baumann und Ulrich Deppendorf, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios - Gaucks erstes größeres Interview als Bundespräsident - unter dem deplatzierten Titel: "Farbe bekennen". Baumann menschelt ihn zum Einstieg hölzern an: "Herr Präsident, was fühlen Sie bei dieser Anrede?", und weiter: "Sind Sie stolz?" Ja, was soll man da denn sagen?

Es begann ein zwiespältiger Schlagabtausch: Ob er nicht enttäuscht sei, weil er weniger Stimmen bekam als möglich gewesen wären? - Nein, denn sonst wäre es ja "wie bei einer DDR-Wahl gewesen". Merkel habe ihn nicht gewollt, trübt das das Verhältnis? - "Wenn es stimmen sollte, wird sie ihre Gründe gehabt haben. Ich bin Realo." Warum er die Occupy-Bewegung albern nannte? - "So habe ich das nicht genannt. Es ging um eine bestimmte Aktion, die ich albern fand." Hier brach es aus Gauck plötzlich heraus: "Sie sind ja schon wie die im Internet, wo man aus einem Satz meine Meinung konstruiert."

Es war ein wenig unangenehm: Man sah einen Neupräsidenten, der sich mühte, in eine neue Rolle hineinzufinden: Er muss verbindlicher sein, als es die brennende Seele verlangt, er muss weicher werden, ohne sich dann andererseits als Verbogener zu präsentieren. Und man sah zwei Chef-Journalisten, die sich offensichtlich in der Pflicht fühlten, branchenübliche Härte mit dem vielbeschworenen "Respekt vor dem Amt" zusammenzubringen, was eher nicht gelang.

Hochleistungs-Journalisting mit Bettina "150 Euro" Schausten

Im ZDF ein ähnliches Bild. In der heute-Sendung trug Alice Schwarzer ihre Erwartung vor, Gauck möge "nicht so auf Parteilinie sein", ohne dass jemand anmerkte, dass Gauck ja gar keiner Partei angehört. Anschließend vermeintliches Hochleistungs-Journalisting beim "Was nun?"-Interview mit Chefredakteur Peter Frey und Hauptstadtbüro-Leiterin Bettina Schausten (die immer noch schlechter Kult ist dank des "Übernachten-für-150-Euro-Themas" in ihrem Interview mit dem damaligen Bundespräsidenten Wulff).

Erneut dasselbe Muster: Gefühlig einsteigen ("Macht Sie das stolz und froh?", "Ab wann haben Sie geahnt, das was auf Sie zukommt?"), dann losbrettern ("Enttäuscht über die Enthaltungen?", "Warum wollte Merkel Sie nicht?", "Wie halten Sie's mit dem Sozialstaat?", "Haben Sie Angst, etwas Falsches zu sagen?")

Gauck sagte vor allem, dass es jetzt nicht gut wäre, zu früh und zu schnell zu allem und jedem eine Ansage zu machen. Doch das nutzte ihm natürlich nichts. Der Höhepunkt dieses Ziehens und Zerrens in unterschiedliche Richtungen war nach Gaucks folgender Ansage erreicht: "Ich würde nicht sagen, dass das Amt beschädigt ist. Aber wir müssen schauen, wie wir da wieder zu mehr Vertrauen kommen." Daraufhin Frey: "Also Sie bestätigen, dass das Amt beschädigt ist." Denn es stellte sich heraus, dass er gerade zu einer entsprechenden Frage ansetzen wollte, die ein Zuschauer via Facebook gestellt hatte.

So läuft das, wenn man die Intelligenz der vielen an die falsche Stelle holt. Und, nebenbei bemerkt: Dafür, dass der Zuschauer ständig zum sozialen Medialisieren auf den öffentlich-rechtlichen Webseiten aufgefordert wurde, sind die paar Publikumsfragen, die dann im Laufe des gesamten Abends vorgelesen werden, kaum mehr als ein Alibi.

Die Tagesschau um 20 Uhr bringt es fertig, das Wahlergebnis vom Nachmittag (921 zu 126 Stimmen in der Bundesversammlung) tatsächlich in ein Balkendiagramm zu packen, als wenn nun genau dieses Verhältnis etwas aussagen würde. Auch dass die gescheiterte Kandidatin der Linken, Beate Klarsfeld, "außerhalb der Linken kaum Stimmen für sich gewinnen konnte", war zwar sachlich richtig, aber genau falschherum interpretiert: Bemerkenswert war vielmehr, dass es Klarsfeld gelang, tatsächlich einige Stimmen aus dem Gauck-Lager für sich zu holen.

Rettung durch Günther Jauch? Ein bisschen schon. Der Moderations-Star der ARD hatte eine gute Runde zusammenstellen lassen, die wohl das beste Gespräch zustandebrachte, das man an diesem Tag über den neuen Bundespräsidenten führen konnte.

Zunächst punktete Jauch mit der (allerdings sehr aufgeregten) Freundin der Gauck-Familie Sibylle Hammer, die kurz von der privaten Feier des Präsidenten herüber ins Sende-Gasometer kam. Ihre Geschichte von Auflehnung, Protest und Flucht in und aus der DDR war sehr erhellend, weniger allerdings ihre Schilderungen von der Präsidenten-Party: "Nun, man kommt da halt die Treppe hoch und gibt seinen Mantel ab."

Am Tag danach hat man auch in der "tagesschau24" wieder das richtige Zeitgefühl: Das war "gestern" .

Entlarvend in der anschließenden Diskussion der Politiker die penetrante Antwort-Verweigerung der Linken-Vorsitzenden Gesine Lötzsch, die auf Jauchs mehrmals wiederholte Frage, was sie von Gauck eigentlich trenne, lediglich Allgemeinplätze aus der Weltsicht ihrer Partei ablud. Jauch blieb so locker wie möglich: "Frau Lötzsch, wir senden ja nicht bis Mitternacht."

Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, im öffentlichen Ansehen längst eine Art Helmut Schmidt ohne Zigarette geworden, donnerte hingegen schöne Sätze: "Gauck bringt einige Eigenschaften mit, die das Amt braucht: Glaubwürdigkeit, die Verkörperung deutscher Geschichte, Unabhängigkeit, Selbstbewusstsein - und er ist bereit, den Bürgern Mut zu machen." Vogel lobte sogar FDP-Chef Philipp Rösler für sein gewagtes Manöver, mit dem er Kanzlerin Merkel sozusagen zu Gauck gezwungen hatte: "Das hat am Ende der guten Sache gedient. Die Demokratie kann ja auch mal Glück haben. Danke schön, Sie haben zu einem guten Ergebnis beigetragen."

Soll er nun auch wegen der Medien windschnittig werden?

Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, der ja auch mal als Bundespräsident zumindest im Gespräch war, antwortete in der ihm eigenen Art auf Jauchs Frage, wie er sich verhalten hätte, wenn jemand mit ihm so umgesprungen wäre wie es nun Rösler mit Merkel tat: "Ja gut, ich bin emotionaler als Frau Merkel."

Spiegel-Chef Georg Mascolo war klar auf staatstreuer Linie: Es sei "unzulässig, Gauck für Halbsätze schon jetzt zu kritisieren" und "vermessen, ausgerechnet einem ehemaligen Gemeindepfarrer zu unterstellen, er habe keinen Blick für das Soziale". Er, Mascolo, würde es sehr bedauern, wenn sich ein Bundespräsident Gauck nun windschnittig in den Politikbetrieb einpassen müsste, um keine Angriffsflächen mehr zu bieten.

Stoiber kreierte dazu ein schönes Stoiber-Wort: Lebens-Charisma - "Ich glaube nicht, dass er sich allzu viel abschleifen wird, dazu hat er viel zu viel Lebens-Charisma." Vogel gab Gauck Vorschusslorbeeren: "Ich könnte mir vorstellen, dass er an Richard von Weizsäcker anknüpfen wird." Und Vogel rief, in einer Mischung aus Begeisterung und Empörung: "Wir sollten nicht schon wieder befürchten, dass eine neue Enttäuschung folgen wird. Herrgottnochmal, wir Deutschen sollten uns doch auch mal über etwas freuen!" Das war durchaus wie Stern-TV in besten Zeiten. Aber genau das wollte doch die ARD, oder?

Ganz spät am Abend dann noch die Tagesthemen mit einem Gauck-Kommentar von BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb: "Er wird uns guttun." Mehr musste man eigentlich auch gar nicht sagen.

Veröffentlicht am: 19.03.2012

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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