Christian Wulff ist weg - und sagt beim Rücktritt, Berichte hätten ihn verletzt: Ein Blick auf die Medienpolitik der CSU vor 30 Jahren aus gegebenem Anlass

von kulturvollzug

Der Adler bleibt im Amt: Die Standarte des Bundespräsidenten.

Der Untergang des Christian Wulff als Bundespräsident wird auch nach seinem Rücktritt von manchen als Medienskandal gesehen. Als Wulff am Freitag kurz nach 11 Uhr in Berlin seinen Rücktritt erklärte, konnte er sich einen Seitenhieb auf die Rolle der Medien nicht verkneifen: Die Berichterstattung der vergangenen zwei Monate hätte ihn und seine Frau verletzt, sagte er. Die Schelte der Medien hat eine ungute Tradition - gerade in Bayern.

Neben Wulff werfen andere Politiker und auch viele Bürger "der Presse" und "dem Fernsehen" vor, sie hätten den Fall des Bundespräsidenten über Gebühr skandalisiert. Dabei haben die Journalisten nur ihre Berufspflicht erfüllt, als sie eine Affäre nach der anderen ans Tageslicht beförderten. Trotzdem bleibt stets die Gretchenfrage an die Politik: Wie hältst du es mit den Medien? Ein Blick auf ein historisches Beispiel.

Dass es vielleicht wieder einmal an der Zeit sein könnte, das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Politikern und Journalisten zu überdenken und notfalls neu zu ordnen, hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer dieser Tage erst auf der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth angedeutet, indem er „das Jahr der Kommunikation“ ausrief. Ganz ähnlich klang vor genau 30 Jahren eine Verkündigung seines Vor-Vorgängers.

Die Staatsregierung, so Franz Josef Strauß am 20. Januar 1982, werde in diesem Jahr auf die Entwicklung der Medien ein besonderes Augenmerk richten. Das vernahmen rund 700 Verleger, Journalisten und hohe Repräsentanten der Politik, die aus ganz Bayern von der Staatskanzlei zum Neujahrsempfang ins Antiquarium der Residenz geladen waren. Ihnen allen entging an diesem Abend, wie umgekehrt ein Medium, das Fernsehen, sein besonders kritisches Augenmerk auf höchste Vertreter des Freistaats legte.

Anderntags freilich konnten die Betroffenen per Video-Aufzeichnung nachschauen, was Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt, damals schon die bekanntesten und bissigsten Kabarettisten der Bundesrepublik, ausgerechnet über den Sender Freies Berlin den bayerischen Ministern Anton Jaumann, Max Streibl und Alfred Dick sowie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Alfons Goppel und anderen hochkarätigen Herren, faktenreich und nur leicht satirisch umschrieben, nachgesagt hatten: Diese Herren kämpften als Mitglieder des Aufsichtsrates des dazumal heiß umstrittenen Rhein-Main-Donau-Kanals mit unsauberen Mitteln um dessen teure Vollendung. Und sie nähmen dafür „Diätenschecks“.

„Die paar hundert Mark Diäten sind wirklich nicht der Rede wert“, beschwichtigte Strauß, um nach anfänglichem Zögern vom BR-Intendanten Reinhold Vöth, einem Parteifreund, der gerade ARD-Vorsitzender war, eine „Richtigstellung“ zu verlangen. Die CSU wollte diese Sendung der unliebsamen „Scheibenwischer“-Reihe wieder einmal vor den Rundfunkrat bringen, wo sie zuletzt gegen den ebenso satirischen Achternbusch-Film „Servus Bayern“ erfolgreich interveniert hatte. Seinerseits satirisch aufgeladen, schlug der Fraktionsvorsitzende Gustl Lang die bösen Buben Polt und Hildebrandt für Robert Lembkes Berufsratespiel als „professionelle Rufmörder“ vor.

Generalsekretär Edmund Stoiber, der sich in Medienfragen gern als Experte und Scharfmacher hervortat, wollte denn auch gegen die „nicht unter das Kunstprivileg fallende politische Rufmordkampagne“ rechtlich vorgehen. Indes verspürte der Justitiar der betroffenen Kanalgesellschaft wenig Lust an rechtlichen Auseinandersetzungen, denn „seit Ludwig Thomas Zeiten hat die Satire immer gegen Justitia gewonnen“. (Was allerdings gerade im Fall des wegen Beleidigung von Sittlichkeitsvereinen eingekerkerten Thoma keineswegs stimmt.) Eine Klage unterblieb.

Vielleicht wäre die ganze Kanal-Affäre nur ein Faschingsthema geblieben, hätte nicht die CSU, und hier besonders das Duo Strauß/Stoiber, zur damaligen Zeit die „Entwicklung der Medienlandschaft“ schon längst vor der Neujahrsbotschaft von 1982 mit „besonderem Augenmerk“ belegt. Und zwar nicht nur das ARD-Fernsehen, das man in der Parteizentrale ohnehin für einen „roten Kanal“ hielt. Zunehmend nämlich sah sich Strauß, der nach verlorener Kanzlerkandidatur seine Macht im Freistaat mit Ellbogenkraft ausbaute, kritischen Berichten Kommentaren auch in der gedruckten Presse ausgesetzt.

Nun besaß der bayerische Staats- und Parteiführer bei weitem nicht die pragmatische Gelassenheit, wie sie der  so oft zitierten Liberalitas Bavariae angemessen gewesen wär. Eine Eigenschaft, wie sie offenbar seinem Nach-Nachfolger zugewachsen ist. Immerhin hat sich Seehofer, wie er sagt, im 30-jährigem Umgang mit den Medien einen „Krisenbewältigungsmechanismus“ angeeignet, den er in einem SZ-Interview aber nicht näher erläutern wollte; jedenfalls plädiert er für ein „respektvolles, distanziertes Verhältnis“ zwischen Politikern und Journalisten, auch wenn Freundschaften darunter litten.

Ein Franz Josef Strauß war aus härterem Holz geschnitzt. Er hatte im Pressevolk kaum Freunde, nur Spezln. Bald nach seiner Machtübernahme in München spürten die Medien heftigen Gegenwind, ja einen verstärkten Druck von Seiten der absolut Regierenden. Diese gaben nur zu gern einer „Hamburger Mafia“ die Schuld am Scheitern der Kanzlerkandidatur ihrer Leitfigur. Selbst der damals sehr konservative „Münchner Merkur“ passte der konservativen Partei plötzlich nicht mehr. Dem Chefredakteur Paul Pucher und dem Landtagsberichterstatter Rudolf Lambrecht wollte Strauß, wie er auf einer Weihnachtsfeier seiner Fraktion drohte, „das Handwerk legen“.

Bei der Nutzung neuer Medien drohte Strauß mit einem bayerischen Alleingang. Große Hoffung setzte die Staatsregierung auf das geplante Kabelfernsehen. Um es als Alternative zum unbequemen öffentlich-rechtlichen Fernsehen auszubauen, war man sogar bereit, 35 Millionen Mark zu investieren. Doch die Front der vermeintlichen Feinde hatte noch einige Flanken. Ins Visier der Hardliner gerieten außerdem Theater und Kunst, bis in die Stellenbesetzung und die Ankaufspolitik hinein forschten begehrliche Blicke der Politik.

Hineinregiert wurde etwa ins staatliche Residenztheater, wo ein Rudolf Noelte, der als Favorit der Strauß-Familie galt und durch seine Disziplinierungspläne das Ensemble verschreckt hatte, als künftiger Intendant gehandelt wurde, obwohl sogar Kultusminister Hans Maier eine „gewisse Besorgnis“ geäußert hatte. Durch Äußerungen zum Beispiel über Autoren habe der Ministerpräsident ein Verständnis von Kunst offenbart, ja zur „verinnerlichten Richtlinie“ gemacht, das dem Menschen die heile Welt vorspiegele, rügte Ursula Redepenning, eine stets aufmerksame Abgeordnete der FDP. (Im Oktober 1982 wurde ihre noch wenig regierungsfromme Partei erstmals aus dem Landtag verdrängt.)

Im Umgang mit Journalisten pflegte der Große Vorsitzende einen sehr persönlichen Stil. Wer ihm mit unangenehmen Fragen kam, den wies er schon mal schnaubend in die Schranken: „Haben Sie überhaupt Abitur?“ Auch der Schreiber dieser Zeilen, damals Münchner Korrespondent auswärtiger Zeitungen, erfuhr Unmut: Wegen eines Berichts übermittelte Strauß höchstpersönlich dem Chefredakteur Gries von der „Saarbrücker Zeitung“ eine Beschwerde, die dieser jedoch, obwohl er der CDU nahe stand, deutlich abschmetterte.

Der Große Kanal übrigens, den nicht nur die Satiriker, sondern auch die Naturschützer zum Leidwesen der Landesherrscher so scharf aufs Korn genommen hatten, stieß alsbald auf massive politische Widerstände (SPD-Bundesverkehrsminister Hauff: „Das dümmste Bauwerk seit Babylon“) sowie auf bauliche und ökologische Probleme. Doch im Juli 1982 verkündete der Strauß-Vorgänger Alfons Goppel, nunmehr Aufsichtsratsvorsitzender der RMD-AG: „Der Kanal wird bis 1990 fertig, auch unter Berücksichtigung der jetzigen Schwierigkeiten.“ Aber der Kanal war noch lange nicht voll. Erst am 25. September 1992 war es so weit.

Karl Stankiewitz

Der Autor, gebürtig 1928, veröffentlichte unter anderem die Bücher „Babylon in Bayern“ und „Weißblaues Schwarzbuch“.

Veröffentlicht am: 17.02.2012

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