Dear Reader im Atomic - Südafrikanische Tierwelt, mittendrin eine Blume

von kulturvollzug

Doppelt so viel Charme wie die Männer zusammen: Dear Reader-Frontfrau Cherilyn Macneil mit Drummer und Keyboarder. (Foto: Veranstalter)

Dear Reader sind Südafrikas bezauberndster Export. Auf ihrer aktuellen Tour erfreut die Band mit launigem Indie-Pop. Beim Konzert im Atomic Café am Sonntag durfte der aufmerksame Zuschauer auch noch etwas Anderes bemerken.

Auf den meisten Fotos ist Dear Reader Frontfrau Cherilyn Macneil eine ernste Frau. Im Booklet ihrer Alben, auf dem Tourplakat - überall das gleiche Bild: Den Blick ins Leere gerichtet, die kurzen Haare streng an den Kopf frisiert. Cherilyn Macneil sieht aus wie jemand, der oft traurig ist.

Dieser Meinung ist man allerdings nur bis zu der Sekunde, in der Cherilyn Macneil die Bühne betritt. Ihre Augen ziehen sich zusammen und sie lacht mit einer derart echten Freude, dass man sich fragt: Ist diese Frau tatsächlich die von den Fotos? Durch die Kamera wirkt sie seriös, in Wahrheit sprüht sie vor Charme. Die Kamera macht sie erwachsen, die Bühne macht sie zum großen Kind.

Abgesehen davon machen Dear Reader im Atomic Café auch großartige Musik. Der kleine Zuschauerraum ist voll, das „Alcoholic Faith Mission“ aus Dänemark legt als Vorband eine bemerkenswerte Show hin.

Dann kommt Cherylin, Kurzes Kleid, Blume im Bubihaarschnitt. Zu Beginn spielt sie den Song "FOX (Take your Chances)". Ein leises Stück für einen Konzertbeginn, aber eines, das ihre Stimme ausstellt. Glockenhell könnte man sie nennen. Kindlich dann, wenn sie die hohen Töne singt.

Zwischen den Songs plaudert sie mit dem Publikum, auf deutsch. Denn seit eineinhalb Jahren lebt die 28-Jährige in Berlin. Dorthin zog es sie nach der Trennung vom Bandkollegen Darryl Torr, dort sitzt auch ihr Label „City Slang“.

Sie wagt sich vor: „Vielleicht kennen manchen?“, sie geht mit der Stimme nach oben „Manchen? von euch das nächste Lied“ - Probleme hat sie nur noch mit den Endungen deutscher Wörter - das Publikum verzeiht es ihr gern.

Es folgen Songs aus den beiden bisherigen Alben: "Dearheart", "Camel", "Whale", "Mole". Vor dem Stück "Mole" berichtet Macneil von der Geschichte des Songs: er handelt von zwei Maulwürfen, die sich ineinander verlieben als sie beim Tunnelgraben aufeinander stoßen.

Der Song "Great White Bear" erzählt davon, wie sich ein Kind im Bauch eines Eisbärs versteckt. Überhaupt bedient sich Dear Reader besonders bei ihrem aktuellen Album „Idealistic Animals“ bei Vorbildern aus der Tierwelt. Jeder der elf Titel trägt den Namen eines Tiers, ein Track heißt jedoch „Man“. In einem SZ-Interview erzählt die Südafrikanerin, dass dieses Album auch ihre Abkehr vom konservativen Christentum markiert, dem sie lange angehörte. Der Mensch, so Macneil, stehe nicht über den anderen Lebewesen, sondern mitten unter ihnen. Es ist offenbar eine bittere Erkenntnis für eine junge Frau, die ihre Jugend der Kirche gewidmet hat.

Der Sound von Dear Reader hingegen ist leichter, fröhlicher Indie-Pop. Vier Musiker an Geige, Trompete, Keyboard, Bass und Schlagzeug unterstützen Macneil, die zwischen Gitarre und Keyboard wechselt. Sie würde sich gern mehr bewegen, das Keyboard verbietet es. Und immer wieder lacht sie. Neben ihren Bandkollegen wirkt sie, ohne Übertreibung, wie eine Blume in dem Garten voller Tiere.

Souverän spielt die Band "Whale", "Earthworm", "Bear", auch die letzten im Publikum beginnen, mitzuwippen. Auf das letzte Lied "Monkey" folgen begeisterter Applaus und drei Zugaben. Die letzte bestreitet Cherilyn Macneil allein an der Gitarre: "Dancing in the Dark", ein Bruce Springsteen-Cover. Mutig zupft sie sich durch den Song des "Boss", ihre Version ist schlicht und bezaubernd.

Am Ende des Abends gibt es vermutlich niemanden im Publikum, der nicht wenigstens ein klein wenig verliebt ist in Cherilyn Macneil. Sie nimmt sich Zeit für Autogramme und Fotos, übt ihr Deutsch. Berlin kann sich freuen über seine neue Mitbürgerin. Und die Musikwelt über ein kleines Juwel.

Christiane Lutz

 

 

Veröffentlicht am: 31.01.2012

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