Hinterm Salon die nackte Wand

von kulturvollzug

Irgendwann war doch da mal Liebe: Der Graf (Christian Eberl) und die Gräfin (Anna Stylianaki). Bild: A.T.Schaefer/Theaterakademie August Everding

Charmantes Musiktheater aus einem Guss: In Zusammenarbeit mit dem Münchner Kammerorchester zeigt die Theaterakademie August Everding am Prinzregententheater Mozarts „Le Nozze di Figaro“ in einer Frische, die den Abend wirklich empfehlenswert macht.

So etwas nennt man dann wohl Basisdemokratie: Aus der Mitte des Publikums, verteilt auf den Sesseln im Parkett, erheben sich die Sänger des Chors, der den Grafen mit Lobpreis dazu bringen soll, seiner eigenen huldvollsten Entscheidung treu zu bleiben und also (so hat es sich sein Diener Figaro ausgedacht) auch die Finger von Figaros Braut Susanna zu lassen. Einige Unruhe und belustigtes Erstaunen im Publikum erzeugend, gesellen sich die Sänger dann den Akteuren auf der Bühne hinzu. Es sind auch Überraschungen wie diese, die Mozarts „Le Nozze di Figaro“ am Prinzregententheater zu einem Erlebnis machen. In den Produktionen der Theaterakademie August Everding zählen der Schwung, die Frische und Wagemut fast so viel wie die Qualität im Spiel und Gesang. Und so kann man „Le Nozze“, inszeniert von Ingo Kerkhof, als charmantes Gesamtpaket genießen.

Verblüffend ist in diesen Produktionen oft das Zusammenwirken von Etablierten und Nachwuchs. So auch an diesem Abend. Keine Risse tun sich auf, man erlebt Musiktheater aus einem Guss, mit witzigen und tragischen Momenten. Mozarts Musik ist einfach schön und schwierig hintergründig, wie man hier in aller Frische wieder erfahren darf. Das bewährte Münchner Kammerorchester liefert unter der Leitung von Alexander Liebreich Mozarts Musik naturgemäß etwas leichter als in voller Besetzung, aber mit dem Schwung, den man dem wunderbaren „Figaro“ wünscht.

Die Sänger sind durchweg Studenten oder Absolventen der Akademie wie etwa Christian Eberl. Vor einigen Jahren feierte er in Henzes Kafka-Vertonung „Der Landarzt“ seinen Einstand im Prinzregententheater. Mittlerweile ist er 32 Jahre jung und doch schon vielfach ausgezeichnet, ein Bariton, der Star-Potenzial zu haben scheint. Als Graf Almaviva wusste er die hohen Erwartungen an die Stimme zu erfüllen, auch wenn die Mimik mehr Abwechslung vertragen hätte. Schließlich läuft auch ein Graf nicht nur verdrossen durch die Gegend. Stimmlich wie darstellerisch sind Susanna (Maria Pitsch) und Cherubino (Ines Reinhardt) hervorzuheben, mit dem süßen Schmelz, der in Mozarts Oper dem revolutionär-scharfen Bühnenstoff von Beaumarchais ein wenig die Kanten abrundet. Nun hat der Page Cherubino die dankbarste Rolle in dem ganzen Intrigenstoff. Aber dieser Dankbarkeit muss man sich so wie Ines Reinhardt auch würdig erweisen.

Ein überzeugendes Kontrastprogramm dazu gab die Gräfin (Anna Stylianaki); eine starke, gekränkte, liebende Frau, mit schöner dunkler Farbe in der an Fülle gewinnenden Stimme. Gekonnt zwischen Naivität und Manipulationswahn: Michael Kranebitters Figaro. Und auch den anderen Akteuren, Johannes Stermann als Bartolo und Antonio, Marc Megele als Basilio und Don Curzio, Katrin Filip als Barberina und Eun-Kyong Lim als Marcellina merkte man die Freude am souveränen Spiel mit Stimme und Geste an.

Hochzeitsvorbereitungen in angespannter Atmosphäre: Le Nozze di Figaro am Prinzregententheater. Bild: A.T. Schaefer/Theaterakademie

So folgt man gerne den unendlichen Verwicklungen dieser vorrevolutionären Musikkomödie, die man auch als Mozarts Manifest des egalitären Menschenbildes sehen darf. „Und wenn ich schon kein Graf bin, so habe ich vielleicht mehr Ehre im Leib als mancher Graf“, schrieb der Komponist. So gibt es auch in diesem Treiben keine echten Unterschiede, es sei denn im Herzen. Dass aber eben jenes Herz auch Abgründiges hat, dass es noch die am besten ausgeheckte Intrige dem Spiel des Zufalls auszuliefern vermag, unterstreicht das karge Bühnenbild von Anne Neuser. Eine Salon-Fassade, Stühle, ein Flügel, ein Kleiderständer: all das verschwindet im Laufe des Stücks, schließlich auch der dunkle Stoffhintergrund, bis die Brandmauer des Theaters sichtbar wird. So wächst mit jeder Ent-Täuschung unser Erkenntnisraum und letztlich auch der Einblick in die schroffe und doch immer wieder überraschende Mechanik des Lebens.

Jan Stöpel

Weitere Aufführungen von Le Nozze di Figaro am 14., 16., 20., 22. und 23. November, jeweils 19.30 Uhr

Veröffentlicht am: 14.11.2010

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