David N. Russo beschert mit Tanz: Raus aus dem Wellness-Dasein, rein in den Papierkrieg

von Isabel Winklbauer

Keine Panik, alle Web-Wege führen zur Vagina. Nur eben nicht in echt, Foto: Veranstalter

David N. Russo versammelt Choreografen und Tänzer zur „Tanzbescherung“. Dabei bleibt er nett und belastet die Zuschauer kurz vor dem Fest nicht mit zu schwerer Kost.

Bescherungen enden in der Regel in einem Schlachtfeld voller Geschenkpapier, durch das die Beschenkten mit ihren Gaben piepen und knattern. Insofern enttäuschte Tänzer und Choreograf David N. Russo sein Publikum nicht, als er im i-camp einen gemischten Weihnachtsabend präsentierte: Es flogen stapelweise T-Shirts in die Luft, Sand stob in alle Richtungen, zerknüllte Zeitungen überschwemmten die Bühne und gegen Ende ging eine Armee von Papierfliegern an den Start. Der ehemalige Taylor-Tänzer Russo hat zum Glück keine Angst, unterhaltsam zu sein! Doch auch tänzerisch hatte die aus vier Stücken bestehende Bescherung ein paar gute Momente.

Elina Müller Meyer in Jasmine Morands Stück „Caso & Caos“ war darunter der stärkste. Was herkömmlich begann – Sand wurde von der Solistin mit einem Besen zum Kreis gekehrt – steigerte sich zu durchdesignten, betörenden Posen. Meyer steht entspannt wie eine eins oder faltet sich wellnessorientiert zusammen. Das politisch Korrekte Leben ist eine Kunst. Noch höhere Kunst ist allerdings, womit alles endet: Die Protagonistin durchbricht ihre fein abgezirkelte Welt mit zwei herzhaften Kung-Fu-Ständen. Anschließend geht sie in archaischen Bewegungen auf, die stark sexualisiert, sehr ursprünglich und immer noch ästhetisch sind. So viel Körperbeherrschung wie die von Meyer war i-camp selten zu Gast.

Elina Müller Meyer kämpft sich in “Caso & Caos” vom Wellnessdiktat frei, Foto: Christian Glaus

Die Kleider- und Gefühlsexplosion „Still Life“ von Alberto Franceschini und David N. Russo, sowie Morands und Russos Uraufführung „Dont’t panic“ bildeten dazu die fröhlichen Gegenstücke. In letzterer Kreation nervte das Web 2.0 seine User als Fabrikhalle voller alter Zeitungen. Wie sollen Russo und Morand sich in dem Wust von Informationen bitteschön zum Paar finden? So sehr er ihr auch in die Vagina kriechen möchte, es ist immer ein Blatt Druckerschwärze dazwischen. Ein quälendes Symbol für die Datenautobahn, die Leute zusammen bringt, gleichzeitig aber trennt.

Den Krieg der Communitys spielt Tänzer und Choreograf Pedro Dias - zuvor mit dem kurzen Pas-de-Deux „Binary“ zu sehen - mit dem Publikum nach. Es werden nach Youtube-Blitzanleitung Raketen gebastelt, die die Zuschauer später volle Kanne auf Dias schießen dürfen – der seinerseits erst mit einem Riesenflieger, dann mit einem Laubgebläse kontert. „Try this, try that“, hört sich das Liebespaar genervt an. Zum Schluss schafft es endlich ein eigenes, kleines Kunststück, indem es einen Kaugummi von Mund zu Mund zieht. Ein Abschied vom Virtuellen – oder doch nur eine brandneue, biologisch abbaubare Datenleitung? Nächstes Jahr um dieselbe Zeit wissen wir es.

Veröffentlicht am: 19.12.2011

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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