Augenzwinkernde Nachhilfestunde: Wolf Biermann verteilt Schulnoten im Carl-Orff-Saal

von kulturvollzug

Wolf Biermann im Carl-Orff-Saal (Foto: Moses Wolff)

Auf seiner Geburtstags-Jubiläums-Tournee "Fliegen mit fremden Federn" machte Wolf Biermann auch in München Station. Von seiner Stimmgewalt hat er nichts eingebüßt. Auch nicht von seinem Wortwitz. Und er ist noch immer auf eine charmante Art eitel.

Verschmitzt lächelnd betritt er die Bühne, stimmt ein bißchen an seiner Gitarre rum, klimpert nette kleine Biermann-Melodien und fängt schließlich an zu plaudern. Im Wesentlichen geht es um sein neues Buch, in dem Nachdichtungen, Interpretationen, Adaptionen und Übersetzungen von Gedichten, Texten und Liedern aus aller Welt stehen, die Wolf Biermann im Lauf der Zeit anfertigte. Und selbstironisch nennt er seine Tournee und sein mehr als 500 Seiten starkes Werk frech "Fliegen mit fremden Federn". Es ist nach eigener Aussage ein "Sammelsurium, ohne Struktur, ohne Leitfaden, aber die Noten hab ich alle fein säuberlich mit Bleistift aufgeschrieben und mir hierbei sehr viel Mühe gegeben". Wieder und wieder legt der frischgebackene 75-Jährige an diesem zweieinhalbstündigen Abend den Kauf dieses Buches ans Herz: "Der Grund ist aber nicht allein Geldgier. Oder Ruhmesgier", betont er. "Der Grund ist: ich möchte die erste Auflage so schnell wie möglich an den Mann bringen, da ich meinen Verleger gerne dazu überreden würde, zwei Gedichte von Francois Villon in die zweite Auflage mit hineinzunehmen. Für diejenigen, die das Buch heute kaufen möchten, hab ich selbst an meinem Computer heute morgen jene Übersetzungen ausgedruckt, die können sie dann in die erste Auflage reinkleben und haben somit auch schon gleich die zweite!"

Auch die Show ist ein Sammelsurium. Er lässt sich viel Zeit, macht sich lustig über einen offenbar müde wirkenden Journalisten in der ersten Reihe, sucht durchgehend Blickkontakt mit dem Publikum und stellt immer wieder Fragen, deren Antworten er dann mit Schulnoten versieht. "Wie heißt der Sohn Vater von Ikarus?" Das Auditorium beinahe einstimmig: "Daidalos." - "Note eins." Dann erzählt er von seiner Übersetzung eines Liedes seines Zeitgenossen George Brassens, nämlich "Fernande". Jeder Franzose könne es auswendig, aber keiner würde es singen, da es zu schweinisch sei. Er selbst habe als Übersetzer große Schwierigkeiten damit gehabt, da eine wichtige Zeile des Songs wörtlich übersetzt "denk ich an Fernande, bekomm ich einen Steifen" heißt. Und es falle ihm leider kein Frauenname ein, der mit "eifen" ende. So also wird wieder listig das Volk befragt. Einer, der auf einem Block schon seit Konzertbeginn unentwegt Zeichnungen anfertigte, ruft hinein: "Denk ich an Marion, krieg ich ne Erektion!" Wolf Biermann drauf: "Das Wort Erektion kannste doch nich in ein geselliges Volkslied einbauen. Bleib du mal bei deinem Zeichnen, da haste dir schon den richtigen Beruf ausgesucht." Weitere, reingerufene Reime werden vom Künstler ähnlich durch den Kakao gezogen. Und schließlich lässt er die Bombe platzen: seine Übersetzung, die ihm nach vielen Jahren Grübeln einfiel und ihm einen prächtigen Lachanfall bescherte, lautet: "Denk ich an Margaretha, dann stehta, dann stehta."

Die Franzosen haben es ihm ohnehin angetan und der Villon lässt ihn nicht los. Daher hat er - neben den berühmten "Lästerzungen" - auch dessen berühmten Galgen-Vierzeiler übersetzt. Um zu veranschaulichen, welchen kleinen netten Wortwitz Villon in der Zeile "Né de Paris emprés Pontoise" eingebaut hat, nämlich zu sagen, dass er aus Paris stamme, einer Stadt in der Nähe des Provinzörtchens Pontoise, fragt Biermann in die Menge, ob wir ihm einen unbedeutenden kleinen Ort in der Nähe von München nennen könnten. Hier kann ich nicht mehr an mich halten und rufe laut und deutlich: "Augsburg!"

Wieder ein hübscher Kommentar, dann ein paar Schulnoten verteilt, dann ein wenig geplaudert. Die Leute fühlen sich wohl beim Biermann. Und er auch. Vergnügt macht er seine Späßchen, glänzt mit Wissen und Sprachen und füllt die riesige Bühne komplett aus. Das Showbusiness beherrscht er, die Leute lachen, denken mit und vergessen die Zeit. Wie er selber übrigens auch. Was aber gut ist. So soll es sein. So wird es sein.

Moses Wolff

Anmerkung der Redaktion (24.11.11, 10 Uhr): Die Ikarus-Frage im dritten Absatz wurde korrigiert.

Veröffentlicht am: 23.11.2011

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