Ein Silberstreifen, der wie Gold wirkt: "Piano Possibile" mit Noise und Selbstironie

von kulturvollzug

Das Urmünchner Neue-Musik-Ensemble „Piano Possibile“ vergoldet den städtischen Kulturoktober mit „silver999“ seiner Konzertreihe "Silberstreifen" im i-camp.

In München gehen unbemerkt von der großen Klassik-Masse in den kreativen Nischen der Freien Musikszene immer mehr Lichter aus. Damit beraubt sich die Stadt eines Potentials, das Namen wie Carl Orff, Karl Amadeus Hartmann und Josef Anton Riedl hervorbrachte, die Münchens Ruf als Avantgarde-Zentrum im letzten Jahrhunderts markierten. Riedls Festival „Klangaktionen“, das neben der musica viva – der Neue-Musik-Orchesterreihe des BR – internationale Namen nach München brachte, verschwand sang- und klanglos im Streichkonzert der städtischen Sparmassnahmen. Dem folgt nach ein, zwei zarten Anfängen das die Münchner Freie Musikszene präsentierende „Lautwechsel“-Festival, das nach Wegfall der Gasteigmietübernahmen einen neuen Rahmen sucht. Es bleibt momentan am Ensemble „Piano Possibile“ hängen, all diese Funktionen auszufüllen, wobei es nun auch bald mit der stadteigenen Wohnbaugesellschaft um den Übungs- und Performanceraum an der Pöllatstrasse zu kämpfen hat: Neben der kommunalen Kassenleere bedrängt das Münchner Wohnungsdrama diesen Ansatz eines musikalischen Kreativquartiers.

So verdienstvoll diese Schulterung vieler Aufgaben sein mag, so kraftraubend setzte sie sich im Theater i-camp fort. Allerdings war der Gesamtablauf des Abends mit nahtlosen Übergängen von Stück zu Stück eine perfekte Dramaturgie: Solistisch eröffnete der Schlagzeuger Fabian Löbhard mit Iannis Xenakis „Rebonds A“. War dieses Virtuosenstück vor zehn Jahren noch oftmals nur auf Spitzenwettbewerben oder gespielt von Meisterinnen wie Robyn Schulkowsky zu erleben, gehört es heute zum Repertoire eines jeden Perkussionisten.

Mit zauberhaften Gong- und Synthesizerklängen folgte Riccardo Novas „Primes Ninteen“, als Version 2011 extra für das Ensemble autorisiert. Leider setzte sich der starke Anfangseindruck nicht fort: Es fehlte das mikrotonale Keyboard, welches viele instrumentale Reize erst sinnvoll gemacht hätte. Dann zerstörte Nova mit immer mehr altbekannten Avantgarde-Gesten seine Anfangsüberraschung, setzte die Live-Elektronik so verkünstelt ein, dass man sie wieder mal als reinen Klangfetisch wahrnahm. Am Ende dachte man ob all der Klischees, dass Nova - also Herr „Neu“ - als Flötenspektralist ein erfundener Komponist sei; doch es gibt ihn wirklich: in Mailand. Michael Gordons „I buried Paul“ wirkte dagegen wie eine freundliche Minimal-Music-Remeniszenz im Verharren auf der immer gleichen Takt- und Klangstruktur. Die wurde durch eine Marschtrommel gestört, Variationen am Ende machten das Stück dennoch zu einem Erlebnis.

Die beiden folgenden Uraufführungen von Peter Köszeghy und dem Duo Klaus Schedl/Philipp Kolb knüpften selbstbewusst an der Tradition der Rockmusik an. Köszeghys „Stigma – dying Berlin Blues“ wirkte solange in seiner Ruhe und deren kleinen Störungen betörend neu und doch immer ein wenig vertraut, bis er das Ensemble mal kurz „richtig loslegen“ ließ. Zwar kam diese Brechung viel später als bei Nova, so dass sich eine echte Entwicklung einstellte. Aber warum immer diese Störungen? Nur um noch alte „Neue Musik“ zu sein? Schedl und Kolb hielten am Viervierteltakt der Rockmusik fest, drehten allerdings so richtig „noiseartig“ auf. Am besten und ein wenig selbstironisch wirkte „The eyes of the wolf“, wenn alle Musiker an den Elektroknöpfen der Fußschalter mit dem Kopf herabgebeugt werkelten, als wäre das „head banging“ in Strom erstarrt.

Der Abend beruhigte sich perfekt leicht dadaistisch mit Josef Anton Riedls „Duo für Gitarre und Schlagzeug“. Es näherten sich kurzzeitig beide Spieler dem Klang des Anderen an. Dennoch konnte man mal wieder erfrischend erleben, wie schön eine einfache effektlose E-Gitarre sein kann. Ohne die Vorarbeit der jüngeren Kollegen in der Stückabfolge wäre dies aber verborgen geblieben.

Alexander Strauch

Veröffentlicht am: 19.10.2011

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