Portraits aus dem 16. Jahrhundert in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, oder: Wie lange gibt es Facebook wirklich?

von kulturvollzug

Dürer, Portrait der Elsbeth Tucher, 1499 (Foto: Blauel-Artothek)

Es wirkt wie das Facebook der Renaissance: In der Ausstellung "Dürer - Cranach - Holbein. Die Entdeckung des Menschen: das Portrait um 1500" glänzt die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung mit altdeutscher Portraitkunst.

Auf den ersten Blick wird man das merkwürdige Gefühl nicht los, man sei den Portraitierten schon mal begegnet. Beispielweise der nachdenklich-melancholischen Blondine mit schulterlangen Ringellöckchen und Haarnetz, deren Dekolleté mit edlem Geschmeide geschmückt ist. Oder der mit etwas kantigeren Gesichtszügen gezeichneten Dame mit voluminöser Seidenhaube, die zur Hälfte von einer Landschaft mit Bergen, zur anderen Hälfte von einem brokatenen Tapetenmuster hinterfangen wird. Auch der Jüngling mit blonden, wallenden Haaren, der irgendwie an Dürer erinnert und wie die Damen in Dreiviertelansicht gezeigt wird, dabei Kopf und Oberkörper nach links dreht und seinen Blick am Betrachter vorbei in die Ferne richtet, kommt uns bekannt vor. Gleiches gilt für den reiferen Herrn mit Barett aus Marderpelz und schwarzer, innen mit demselben kostbaren Material gefütterten Schaube.

Alte Geldscheine spielen auch mit

Ist der Groschen erst einmal gefallen, entdeckt man in den uns so präsenten Konterfeis aus der Zeit der aufblühenden Renaissance die alten D-Mark-Scheine wieder: Auf der 5-Mark-Note der dritten Banknotenserie von 1961 bis 1995 posierte Dürers "Junge Venezianerin", die Nürnberger Patrizierin  "Elsbeth Tucher", ebenfalls ein Meisterwerk Dürers, dekorierte die 20-Mark-Scheine. "Der bartlose Mann" auf dem Zehner lässt sich auf Cranachs gleichnamigen Gemälde entdecken und der einflussreiche bayerische Hofbeamte "Hans Urmiller", ein Tafelbild von Barthel Beham, wurde zum Signet des 50-Mark-Scheins. Schon diese Meisterwerke im Original zu sehen, lohnt den Besuch der Ausstellung.

An malerischer Brillanz kaum zu überbieten ist das Bildnis der Königin "Jane Seymour" von Hans Holbein. Der englische Hofmaler porträtierte die dritte Gattin Heinrichs VIII. im Jahre 1537 kurz vor ihrem Tod. Sie wurde nicht geköpft, sondern starb im Kindbett, nachdem sie dem langersehnten Thronerben Prinz Edward das Leben geschenkt hatte.

Lucas Cranach d.Ä., Bildnis eines bartlosen Mannes, um 1500 (Foto: Hessische Hausstiftung, Kronberg

Aber nicht nur das Dreigestirn Dürer, Cranach und Holbein kann in der opulenten Bildnis-Schau bewundert werden. Hineingeboren in die aufregende Zeit des Umbruchs im Glauben sowie der damit einhergehenden Entwicklung von Wissenschaft, Humanismus und Künstlerselbstverständnis wurden auch die hier versammelten deutschen Malerkollegen: Hans Baldung Grien, Hans Burgkmair, Jakob Elsner, Hans Mielich, Jakob Eisenegger und viele mehr.

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit war es Michael Wolgemut, der Holzschnitte für die 1493 herausgegebene "Schedel'sche Weltchronik" schuf. Er war auch Dürers Lehrer, der den 15-jährigen zunächst in seine Werkstatt aufnimmt und ihn später auf Wanderschaft durch das Heilige römische Reich deutscher Nation schickt. Diese Reise führt den jungen Künstler auch nach Venedig, damals die wichtigste Hafenstadt zwischen Ost und West. Hier wird er konfrontiert mit der neuen Porträtkunst der Italiener, die ganz auf Realismus, Intimität und Charakterisierung abzielt. Und Dürer lernt Künstlerpersönlichkeiten kennen, die sich längst nicht mehr als bloße Handwerker, sondern als kreative Individuen verstehen. Mit diesem neuen Künstlerselbstverständnis kehrt Dürer zurück in seine Heimatstadt Nürnberg, heiratet und zelebriert sich selbst in etlichen Selbstportraits. Neben den Auftragsarbeiten in Öl für eine handverlesene Oberschicht basierte sein kommerzieller Erfolg im Wesentlichen wohl auch auf der vorausschauenden Geschäftsidee, seine druckgrafischen Arbeiten jedermann quasi als Massenware für den Hausgebrauch verfügbar zu machen.

Plötzlich gab es Kunst für jedermann

Überhaupt spielt die Reproduktionstechnik der Druckgrafik mit ihrer explosionsartigen Popularisierung des Portraits - insbesondere von Luther und der ihm nahe stehenden Reformatoren - in jener Epoche eine wichtige politische Rolle. Diese Machtentfaltung der Bildmedien erinnert an die Jetzt-Zeit. Und deshalb überrascht es kaum, wenn die Gesamtschau für die heutigen Betrachter als vorweg genommeses "Face-book" lesbar ist. Was die Lesbarkeit und Langlebigkeit der Tafelbilder angeht, ist diese den neuen Medien allerdings überlegen.

Ziemlich modern wirkt das Doppelportrait, das Cranach d. J. von August von Sachsen, einer Leitfigur der Reformationsbewegung, und seiner sehr sozial eingestellten Frau Anna geschaffen hat. Großformatig und in leichter Untersicht werden die beiden gezeigt. Ihre Körperlichkeit wird bis auf Hände und Gesicht von Stoff umspielt. Fast surreal wirkt ihre Verortung vor grasgrünen Arkaden.

Auch ein Mörder spielt eine Rolle

Anonym, Mainz, Der Kindsmörder Hans von Berstatt (Foto: Stiftung Schloss Friedenstein, Gotha)

Neben den vielen Portraits von Adligen, Geistlichen, Großbürgern, Humanisten und Künstlern besticht auch ein kolorierter Holzstich mit dem finster dreinblickenden Antlitz des 22-jährigen Kindsmörders Hans von Berstatt. Er lockte sein Opfer, ein fünfeinhalb Jahre altes Mädchen, in eine Scheune, erstach es mit einem Brotmesser und verging sich am Leichnam, den er anschließend in 15 Teile zerstückelte, wie ein Flugblatt von 1540 verkündet. Wie ein frühes Fahndungsfoto mutet die Frontalaufnahme an. Tatsächlich aber sollte die Konfrontation mit dem Kapitalverbrecher, der gefasst, verurteilt und hingerichtet wurde, den beruhigenden Beweis für das Funktionieren der Behörden erbringen.

Tod und Vergänglichkeit stehen sinnfällig am Anfang und am Ende der Ausstellung. Den Auftakt bildet Hans Mielichs berührende Darstellung von Herzog Wilhelm VI. von Bayern auf dem Totenbett. Statt in würdevoller Haltung wird der Verstorbene schockierend realistisch dargestellt: Das eingefallene Antlitz und asymmetrische Gesichtszüge – linkes Lid und rechter Mundwinkel hängen – geben Zeugnis vom Todeskampf. Mit dem gemeinsamen Blick zum Betrachter des Malers Hans Burgkmair und seiner Frau, die in ihrer Rechten einen Spiegel hält, der zwei Totenschädel in den Raum wirft, was als metaphorischer Hinweis auf das irdische Ende zu verstehen ist, endet diese großartige Erinnerungsschau der Renaissance, der es immer wieder gelingt, auf Augenhöhe mit den 150 abgebildeten Personen derart vertraut zu kommunizieren, dass man meint, ihnen schon morgen als Facebook-Freunden auf der Straße begegnen zu können.

Angelika Irgens-Defregger

Bis zum 15. Januar 2011 in der Kunsthalle der Hypo-Kultustiftung, Theatinerstr. 8 in München, täglich von 10-20 Uhr. Zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag ein beachtenswerter Katalog erschienen.

 

Veröffentlicht am: 05.10.2011

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