Auftakt am Münchner Volkstheater: Milos Lolic inszeniert Lorcas "Bluthochzeit"

von Michael Weiser

 

Gruppenbild mit Gilb: Lorcas "Bluthochzeit" am Volkstheater. Foto: Arno Declair

Ein gewagter, intelligenter und fesselnder Auftakt am Münchner Volkstheater: Mit seiner Inszenierung von Federico Garcia Lorcas "Bluthochzeit" komponiert Milos Lolic ein genau berechnetes Ballett des Todes.

Am Anfang wie am Ende stehen Fotos. Ein Farbfoto zu Beginn, die Angehörigen der Familien sitzen auf golden bemalten Stühlen und blicken starr in die Kamera, beziehungsweise ins Publikum. Am Schluss ist aus der Hochzeits- eine Trauerfeier geworden. Aus Gebüsch und Ästen hat man Trauerkränze gewunden, Scheinwerfer tauchen die Gruppe in sepiafarbenes Licht - ein Schwarzweißfoto, vergilbt.

Damit wäre man schon bei der ersten Qualität dieser nicht nur wegen ihrer Kürze ungewöhnlichen Auftaktpremiere am Münchner Volkstheater: Regisseur Milos Lolic und seine Ausstatterin Maria Jelesijevic finden in aller Kargheit und Düsternis einprägsame und sogar poetische Bilder. Zum tödllichen Aufeinandertreffen des Bräutigams (Robin Sondermann) und Leonardos (Oliver Müller) schwebt eine Flut roter Blüten auf die Bühne herab, umwabert von einem halligen und schwarzen Sound, der in einem Klangewitter gipfelt (Luka Ivanovic) – Mord und Totschlag malt sich der Zuschauer im Halbdunkel der Nacht selbst dazu.

Eine weitere Stärke liegt im Konzept Lolics, der gar nicht erst der Versuchung nachgibt, Handlung oder Sprache dieser "lyrischen Tragödie", wie sie Federico Garcia Lorca selbst nannte, in den Vordergrund zu stellen. Der junge Serbe inszeniert vielmehr mit hoher Musikalität  ein Ballett des Todes. Die Akteure reden nicht miteinander, sie reden aneinander vorbei. Einmal geraten sich die Braut (Kristina Pauls) und ihr vormaliger Verlobter Leonardo in die Haare; sie lösen ihre starre Haltung und treten quasi aus der Phalanx der Festgesellschaft: Es wirkt, als seien auf einmal zwei lebendige Menschen aus einem Relief getreten.

So unterstreicht Lolic die Starre jener archaischen Gesellschaft, die Braut und Bräutigam letztlich wie Vieh behandelt. Die beiden sollen den Reichtum beider Familien mehren und darüber hinaus für möglichst viele Stück Kinder sorgen. Nicht ohne Grund preist die in matronenhafter Majestät versteinerte Mutter (Ursula Burkhart) die hervorragenden Zeugerqualitäten ihres Sohnes, und ohne jede Scham sinniert der Vater (Jean Luc Bubert) über die Anhäufung weiterer Ländereien. Die entseelten Regeln und Rituale führen nicht länger mehr sicher über Abgründe. Sie münden vielmehr in Chaos und Barbarei.

Lolic entrückt das Drama aus der spanischen Provinz ins Allgemeingültige und Überzeitliche, indem er die Handlung zum Gerüst einer geradezu musikalischen Konzeption macht. Immer wieder scharrt jemand mit den Füssen, tippt mit den Fußspitzen auf, knallt die Absätze auf den Boden. So erwecken die Schauspieler Assoziationen einerseits an spanische Folklore, andererseits rhytmisieren sie den Text. Die Sprache verliert schließlich immer stärker ihre Funktion als Träger eines Inhalts. Textpassagen überlagern sich, werden einzeln oder im Chor gesprochen, wiederholen sich – so werden Worte zu Noten einer Bühnenmusik.

Eine weitere Qualität besitzt Milos Lolic in der Führung seiner Schauspieler. Beim Festival Radikal Jung hatte er mit "Gott ist ein DJ" ein eindrucksvolles München-Debüt vorgelegt. Mit "Bluthochzeit" bestätigte er den guten ersten Eindruck: Lolic geht hochsensibel auf seine Schauspieler ein, er führt sie sozusagen auf ihren eigenen Wegen. Das Ergebnis würde man am liebsten authentisch nennen, wäre das Wort nicht allzu abgelutscht. Jedenfalls gelingt ihm so ein fesselnder, berührender Abend – weil sich man als Zuschauer so nah bei den Schauspielern wähnt. Passenderweise öffnete sich der Vorhang auch nicht für Einzlne, sondern stets für die gesamte Schauspielertruppe – wie sich's für eine sehr gute Ensembleleistung gebührt. Viel Jubel im Volkstheater, ein halbdutzendmal ließ sich die Festgesellschaft unter Applaus vor den Vorhang locken.

 

 

 

Veröffentlicht am: 30.09.2011

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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