"Zärtliche geistreiche Phantasien": Wie Japans Kunst den Blauen Reiter beflügelte
Japanisch beeinflusst: Franz Marc, der mit "Zwei Katzen" eine Postkarte an Lilly Klee illustrierte. Foto: Schlossmuseum Murnau
Ausgerechnet zum hundertsten Geburtstag ist der Blaue Reiter auf Reisen. Gezwungenermaßen, da das Lenbachhaus noch mitten in der Sanierung steckt. Doch springen Museen der Umgebung in die Bresche - das Schlossmuseum Murnau beispielsweise mit einer sehenswerten Ausstellung, die den Einfluss japanischer Kunst auf Franz Marc und Co. illustriert.
Jahrhundertelang hatte sich Japan weitgehend abgeschottet, Informationen über das Inselreich waren rar. Bis der Würzburger Philipp Franz von Siebold (1796 bis 1866) Mitte des 19. Jahrhunderts seine Japan-Reisen antrat: Er brachte nicht nur reiche Kunde über Flora, Fauna und Gesellschaft Japans nach Europa - weswegen er in Japan noch heute als Brückenbauer gerühmt wird - sondern auch Zeugnisse einer alten und einzigartigen Kultur. Siebold stieß die Tür auf, und Europa begeisterte sich für Japan.
Paris war das Epizentrum der neuen Mode, des Japonisme. Künstler wie James McNeill Whistler, Edouard Manet, Edgar Degas, Claude Monet, Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Felix Vallotton und Henri de Toulouse-Lautrec ließen sich seit 1860 von japanischen Fabrholzschnitten inspirieren. Auch nach Deutschland schwapptedie Mode und entfaltete dort langfristige Wirkung. 1885 richteten die Münchner im Glaspalast die erste Ausstellung japanischer Kunst aus, und noch über 20 Jahre später ließen sich die Pioniere des "Blauen Reiter" von den klaren Linien der Japaner, ihrem Hang zur Abstraktion, ihren seltsamen Farben, ungewöhnlichen Bildausschnitten und ihrem situationssicheren Zugriff auf Szenen des alltäglichen Leben in Bann schlagen. Der Verleger Reinhard Piper, der 1911 den Almanach "Der blaue Reiter" edieren sollte, schwärmte von den Farbholzschnitten, den Bildern der "fließend vergänglichen Welt", den Ukiyo-e: "Zärtliche, geistreiche Phantasien". Wassily Kandinsky sah "Werke von ungewöhnlicher Großzügigkeit und Abstraktion in der Behandlung von Formen und Farben, die ganz und gar einem eigenen, von rein künstlerischem Temperament diktierten Rhythmus gehorchen".
Die Murnauer Museumsmacher illustrieren diesen starken Einfluss des Japonisme als "Gehhilfe der Moderne" mit Grafiken Whistlers, Degas' und Manets ebenso wie mit Werken des Blauen Reiter, die Motive aus der japanischen Kunst zitieren oder sich in der Gestaltung eng an die fernöstlichen Künstler wie Kitagawa Utamaro, Katsushika Hokusai und Andō Hiroshige anlehnen. So sieht man eine Variation eines japanischen Holzschnitts von Franz Marc oder ein Stilleben mit Strauß und Buddha von August Macke. Ukagawa Hiroshiges Pferde vor dem Fuji deuten schon auf Marcs Tierbilder voraus. Klar wird, was die Expressionisten aus München und Murnau an den Japanern begeisterte: die Vereinfachung, die klaren Linien und Flächen, die ungewöhnliche Stellung des Hauptmotivs, nicht mehr zentral, sondern oft sogar angeschnitten.Franz Marc sammelte wie viele andere Künstler Holzschnitte aus Fernost. Das Schlossmuseum Murnau hat seine Sammlung vor wenigen Jahren erworben und präsentiert eine Auswahl der Stücke in der Sonderausstellung, darunter ein Malerlehrbuch von Takeuchi Seiho. Darin befindet sich die Graphik einer Katze, deren Abbildung sich auch im Almanach "Der Blaue Reiter" wiederfindet.
In ihrer Einfachheit und ihrer Dynamik des Ausschnitts weisen die japanischen Holzschnitte des 19. Jahrhunderts Parallelen nicht nur zum Expressionismus, sondern auch zur Plakatkunst und zu Comics der Gegenwart auf.
"Die Maler des Blauen Reiter und Japan", bis 7. November im Schlossmuseum Murnau, Telefon (08841) 476-207/-201, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr.