Was reimt sich auf Himmel? Warum ein Saisonabschluss mit dem Brandner Kaspar auf dem Land etwas anders ist

von Michael Grill

Bei den Jagern. Den Brandner Kaspar streift ein Schuss. Foto: Arno Declair

Der Brandner Kaspar ist auch in der Inszenierung von Christian Stückl wahrlich nicht mehr neu – aber als Saisonabschluss gibt’s kaum was Schöneres. Insbesondere wenn das Münchner Volkstheater dafür nach Oberammergau geht, wo man wiederum die alte Herrgott-Schmonzette ein bisschen anders als in der Stadt erleben kann.

Seit 2005 steht der Kaspar nun schon auf Stückls Spielplänen, höchst erfolgreich, und da der gebürtige Oberammergauer ja permanent am Ausbau der Volksbühnenachse Brienner Straße – Passionsspielhaus arbeitet, ist das erzkatholische, aber geschickt entschlackte und ironisierte Stück besonders passend fürs Ammergauer Land. Und von München aus organisierte das Volkstheater sogar einen Busservice.

Das lange Ringen mit dem Boandlkramer. Foto: Arno Declair

Der Zuschauerraum wurde für die Aufführung verkleinert, doch auch ein halbes Passionstheater ist immer noch so riesig, dass die vor dem Vorhang sich einspielenden Riemerlinger gut zehn Minuten länger als geplant die Zeit überbrücken müssen, bis endlich alle ihren Platz erreicht haben. Meister Stückl weist eingangs ausdrücklich auf die nun laufende Reihe von Versuchen hin, das Haus zwischen den Passionsjahren vorsichtig zu öffnen und (das sagt er nicht) wirtschaftlicher nutzbar zu machen: „Joseph und seine Brüder“, der Brandner, ein Konzert von HMBC, Max Raabe (am 12. August 2011). Das sind so die Versuche, sich an die Grenze des vom Passionsumfeld noch Tolerierten heranzurobben – wobei Max Raabe mit seinem Programmtitel sicher die katholische Demarkationslinie streift: „Küssen kann man nicht alleine.“ Stückl jedenfalls erhielt auf der Bühne dafür Beifall.

Was ist nun auffallend beim Brandner im Ammergau? - Zunächst einmal wirkt das bayerischer Stück hier noch bayerischer, also: baierischer. Die Schauspieler drehen dialektmäßig richtig auf, was für Außerbaierische ein echtes Problem sein kann. Verstärkt wird das bei dieser Aufführung noch durch eine katastrophale Aussteuerung der Tontechnik bei den Stimmen – bei zwei Dritteln aller Bühnenfiguren viel zu leise. Nicht betroffen von den Hauptrollen ist fast nur der – auch sonst herausragende - Tobias van Dieken als preußische Nervensäge. Das Publikum ist für jeden Gimmick dankbar; am meisten gelacht wird hier immer noch, wenn der Erzengel Michael flucht: „Ja leckts mi doch alle am Arsch!“

Weißwurstorgie im Himmel. Foto: Arno Declair

Stückls Inszenierung lässt sich sehr gut ins Breitwandformat der Passionsbühne übertragen, auch wenn man einigen Kulissenteilen den Verschleiß wegen Daueraufführens mittlerweile deutlich ansieht. Aus dem Wechselgesang der Jager glaubt man plötzlich einen Einfluss der Biermösl Blosn herauszuhören, der so bislang noch gar nicht aufgefallen war. Und wie Stückl in diesen Brandner so ziemlich alles hineingepackt hat, was die neue Heimat- und Mundartbegeisterung gerade bei jungen Generationen ausmacht – auch dafür hat man hier den notwendigen frischen Blick. Und es ist halt doch ein Unterschied, ob der Brandner in der Theater-Turnhalle Volkstheater fragt „Wie wird’s amal da oben im Himmel wohl sein?“ - und dann zur Betondecke blickt. Oder ob er es unter dem tatsächlich freien Himmel über dem Kofel tut.

Natürlich stecken auch in einem Stückl-Kaspar immer noch Sätze, bei denen der aufgeklärte Mensch eigentlich Ausschlag bekommen müsste: „Da wo das Wissen aufhört, da fängt der Glaube an. Und ohne Glauben, da bist koa Mensch mehr.“ Doch hier wird das alles verrührt mit einer schwulen Weißwurstorgie und ist somit, wie ja die Sünde überhaupt, tolerierbar. Der Erzengel dröhnt: „Im Himmel, da brauch ich keinen solchen P...“ Nein, nicht was jetzt alle denken – nein er sagt doch: ...Lümmel. Das braucht der Brandner und das braucht auch Oberammergau. Erst kurz vor Mitternacht ist Schluss. Großer Jubel. Die himmlische Scharen müssen einmal noch „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ spielen. Dann ist die Saison, jetzt aber endgültig, vorbei.

Veröffentlicht am: 27.07.2011

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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