Mälkkis Debüt und Zimmermanns Abschied - und wohin geht musica viva?

von kulturvollzug

Ehrung zum Abschied: Udo Zimmermann erhält die BR-Medaille. Foto: Astrid Ackermann/BR

Gespannte Erwartung bei musica viva im Herkulessaal:  Die Dirigentin Susanna Mälkki gab mit neu komponierter Musik für großes Orchester ihren Einstand beim BR-Sinfonieorchester. Unter den aufgeführten Werken ein Stück Udo Zimmermanns, der nach 15 Jahren an der Spitze von musica viva in den Ruhestand geht.

Anfang 40, ist die Finnin Susanna Mälkki schon weltweit bekannt. So war es keine große Überraschung, dass sie die drei Werke Helmut Lachenmanns, Hans Zenders und Udo Zimmermanns, alle drei Komponisten um die 70, mit Bravour bändigte. Offiziell sind alle auf den Abschied Udo Zimmermanns, des langjährigen künstlerischen Leiters der musica viva, eingestellt. Zimmermann geht nach gut 15 Jahren in den Ruhestand. Bekannt wurde der Dresdner, der es zum Intendanten der Leipziger Oper und des Festspielhauses Hellerau-Dresden brachte, durch seine Oper „Die weisse Rose“.

Absolute Spitzenklasse bot Lachenmanns „Schreiben“, das grosse, alte Avantgarde atmete, von deren Längen aber meilenweit entfernt klang. Als Synthese von prächtigen atonalen Harmonien und satten wie kargen Instrumentengeräuschen wirkte es in der Zeitgestaltung perfekt wie Richard Strauss' "Alpensinfonie", die der gestrenge Lachenmann gar nicht so verteufelte wie andere romantische Orchesterschlachtrösser.

Pfeifen im Walde war das Motto der beiden Lachenmann umschliessenden Uraufführungen. Hans Zenders fünfsätzige Kantate auf „Oh Bosques – Oh Wälder“ von Juan de la Cruz rang nach einer heutigen Übertragung der mystischen Liebeserklärungen an Christus, die der spanische Mönch in der Frühen Neuzeit geschrieben hatte. Mit seinem 72-Tonsystem schraubte sich Zender mit dezent-kargen Orchesterklängen in diese Esoterik mit gehörigen Abstand hinein und schuf doch bewegende Momente mit der Sopranistin Angelika Luz und dem BR-Chor, mal in Spiegelkanons, mal in Hallräumen zarter chorischer Untertöne auf schmerzend hohe Obertöne der Instrumente.

Udo Zimmermann wollte sich von noch älterer, bereits textbasierter Musik des spätmittelalterlichen Komponisten Guillaume Dufay zu seinem „Wie kannst Du ohne Hoffnung sein“ inspirieren lassen. Nach einigen launigen Abschiedsworten des Hörfunkdirektors für den scheidenden musica-viva-Leiter Zimmermann wirkte seine abschliessende Uraufführung wie ein Schweigen im Walde, die blasse Kapitulation eines gealterten Avantgardisten vor der Grösse längst vergangener Musikepochen. Er liess seine alte Vorlage zuerst vom Männerquintett Ensemble amarcord pfeifen, als einzige neue Dreingabe ein paar dräuende Paukenwirbel. Einigermassen originell setzte das Orchester die Pfiffe in all seinen Registern fort, um dann leider in einem einzigen Akkord hängenzubleiben, der Maria Husmanns weltschmerzverhaftete Christoph Hein-Rezitationen garnierte. Es endete wie es angefangen hatte: Dufay-Gepfeife und Paukenrollen.

Sicherheit vor Wagnis

Man war erstaunt, wie depressiv sich der langjährige Macher von München verabschiedete, wie er sein Wirken als Importeur wichtiger Werke Neuer Musik mit deren Infragestellung verband. Zimmermann galt als Garant guter Besucherzahlen und schaffte Wegweisendes. So gab er jungen Berufsanfängern mutig das Forum des BMW-Kompositionswettbewerbs.

Doch bei einem genauen Blick auf die allermeisten Namen stellte man fest, dass die meisten der Komponisten ihre Qualität schon vor ihrem München-Debüt bewiesen hatten, etwa in Berlin, Frankfurt und Stuttgart. Der hiesige Auftritt, verbunden mit Hochglanzmarketing und einem - im Vergleich zu den 60er- und 70er-Jahren -  erheblich reduzierten Programm stellte musica viva somit kaum vor Risiken. Der Weg der Sicherheit wird fortgesetzt: Nachfolger Winrich Hopp wird die Zahl der Uraufführungen nochmals drastisch absenken und noch stärker auf bereits wieder anderswo längst durchgesetzte, ältere Neue Musik setzen.

Alexander Strauch

Veröffentlicht am: 24.07.2011

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