Heiner Müllers Traumtexte: Surreal im Trockeneisnebel

von Michael Weiser

Manchmal sperrig und doch faszinierend: Das Freie Theater München um George Frischer bringt im i-camp Heiner Müllers Traumtexte als szenische Collage auf die Bühne.

Ein Klatschen lässt die im Dunkeln sitzenden Zuschauer zusammenzucken. Irgendetwas ist auf den Boden der Bühne geprallt. Da, jetzt nochmal und nochmal, in einer sich steigernden Frequenz, als wohnten wir dem Beginn eines Regens bei, der etwas vom Himmel fallen lässt. Aber was nur?

Licht glimmt auf, am Boden liegen Menschen, so viel erkennt man nun, mit ausgreifenden Bewegungen der Arme schleppen sie sich voran. Und immer wieder klatscht eine Hand auf den Boden - ein Traum, in dem man davonlaufen will, doch die Beine sind gelähmt. Ein Pfiff, und die Gestalten stehen, stramm, die Hände an der Hosennaht. Da geht der Traum über in die konkrete Erinnerung an die Ausbildung für das letzte Aufgebot des Dritten Reiches. Und ein, zwei, drei viele Stimmen erzählen: Den Untergang des Dritten Reiches erlebte ich mit dem Triumphgefühl eines feindlichen Ausländers...

Die "Traumtexte" sind auch im i camp kein leichtes Stück Theater, ja, mitunter sogar sperrig. Die Kenntnis von Müller-Texten schadet nicht, erst recht nicht die Kenntnis von Quellen, aus denen der große ostdeutsche Dramatiker schöpfte. Auf Brecht, Nietzsche und Celan bezieht er sich und noch auf viele andere, der Meister auch Deutschland treibt auch in diesem Textkatarakt sein Unwesen.

Traum überlagert sich mit Vorstellung und Erinnertem, niemals wird man in diesem Text richtig heimisch werden noch mit seinem Autor - was Heiner Müllers Intention nahekommen dürfte. Dieses Unwohlsein an der Welt hielt ihn selber in seiner Heimat: „Die DDR ist mir wichtig, weil alle Trennlinien der Welt durch dieses Land gehen. Das ist der wirkliche Zustand der Welt, und der wird ganz konkret in der Berliner Mauer.“

Der Ursprung weiter Teile dieser Collage beschreibt wahrheitsgemäß der Titel. Schon als Schüler zeichnete Müller seine Träume auf und auch die der Mitschüler. Noch der Schauspieler Martin Wuttke konnte sich daran erinnern, wie ihn Müller drängte, einen eben erlebten Traum aufzuschreiben. „Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werk­tätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen", sagte Müller. "Das geht nur, wenn er nicht interpretiert, was er hervorbringt.“

Dementsprechend entzieht sich auch der Inhalt dieses Stückes immer wieder. Es geht um den Vater, um den deutschen Übervater Hitler, um die Kunst, um die Visionen einer besseren Welt, um Homosexualität und um Freud, den Bartträger aus Wien, den Müller aber seinerseits auf die Couch legt. Das Freie Theater München arbeitet dafür auf einer kargen Bühne, Trockeneisnebel und Lichtreflexe zeichnen Traumlandschaften in den schwarzen Bühnenraum. Schöne surreale Bilder findet das Ensemble. Einmal erklimmt ein schmächtigerer, kleiner Akteur die Schultern eines Hünen: Wir Heutigen sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen. Wir sind alle Abkömmlinge von Übervätern.

Vor allem im Auftreten als Chor entfaltet die Truppe Klasse: Wie sich da Einzelstimmen herausschälen, verbinden, wieder hinter die anderen zurückfallen, kurz: Wie da das Verhältnis vom Einzelnen zum Kollektiv fühl- und erfahrbar gemacht wird, das hat sinnliche Qualität. Ein szenisch dichter Abend, freilich auch einer, der den Zuschauer mitunter ratlos lässt und Diskussionsbedarf stiftet. Nicht das schlechteste, was man über eine Produktion sagen kann.

Die "Traumtexte" sind noch am heutigen Samstag, 9. Juli, Dienstag, 12. Juli, und Mittwoch, 13. Juli, zu sehen.

Veröffentlicht am: 09.07.2011

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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