Klangfest I: Kostenlos bis zur Erschöpfung - tolle Sache

von Michael Wüst

Lutz Häfner & Group. Foto: Michael Wüst

Das zweite Klangfest im Gasteig bot einen spannenden Überblick über die Szene ambitionierter Musikverlage, sogenannte Labels, in München, in der Region und darüber hinaus. Kulturreferent Küppers, der mit seiner Behörde als einer der beiden Träger für das Klangfest zeichnete, begrüßte. Er beschwor augenzwinkernd den Fortbestand dieser Veranstaltung. Immerhin hätte er dieses Jahr darauf hingewirkt, dass das Championsleague-Finale heuer früher stattfinden würde, letztes Jahr nämlich war der Austragungstag des Finales unachtsamer Weise auf den Tag des Klangfestes gefallen.

An 29 Ständen präsentierten sich so renommierte Labels wie ACT und Enja, neuere wie C.A.R.E. Music Group oder Musicjustmusic bis hin zu dem Kindermusical-Label Sternschnuppe. Neben dem „VUT“, Verband unabhängiger Musikunternehmen e. V., als bundesweite Dachorganisation der Kreativwirtschaft ebenfalls Organisator des Klangfests, war auch ein Kompetenzzentrum des Bundesministeriums für Wirtschaft vertreten. Herausragend war das Engagement des Münchner Labels Act.

So weit, so trocken. Obwohl, was die Open Air Bühne anging, eher nass. Da standen acht Bands und vor allem der geneigte Zuhörer immer wieder im Regen. - Ja, so ist er halt, der Münchner Juni. Tollwoodwetter ist eben auch Klangfestwetter. Zum Trocknen gab´s dafür mit Carl Orff Saal, Black Box und kleinem Konzertsaal drei weitere Bühnen im Inneren des Kulturzentrums am Rosenheimer Hügel. 33 Formationen hielten tausende Münchner vom frühen Nachmittag bis spät in die Nacht in Schach.

„Les Babacools“ eröffneten in bewährter Ragga-Dub-Banlieu-Power. Caramelo und Lobstarr hopsten und heizten zuverlässig. Es regnete nicht. Die Babacrew trat an mit packendem, treibendem Bläsersatz und brachte Schwung in den Schlendrian des Münchner Kulturflaneurs. Einen besseren Auftakt hätte man sich kaum vorstellen können. Die Babacools sind eben Münchner Urban-Pioniere.

Nach „Jules and Dices“, der Überraschungsband, die durch ein Public Voting des Kulturvollzugs ermittelt worden war, hieß es: Here comes the Rain again. Zeit dafür, mal reinzuschauen, „Deep Jazz“ im kleinen Konzertsaal. Die stark an den 60ies orientierte Gruppe um Tausendsassa Jerker Kluge (Bass) war der Opener einer tollen Jazz-Tour de Force, den ganzen Abend hindurch. Die Lokalmatadore Uli Wangenheim (Bassklarinette), Till Martin (Querflöte, Tenorsaxophon) und Florian Riedel (Altsaxophon) legten einen hochbeweglichen, schillernden Satz hin. Das war wirklich „slick“! Horace Silver hätte seine Freude daran gehabt. Mit Jerker Kluge in der Rhythmusgruppe drängte Matthias Gmelin an den Drums „hardboppig“ nach vorne, Diony Varias vervollständigte an der Perkussion und colorierte die Nummern mit Caribee-Feeling. Die Sängerin Julia Fehenberger gehört ganz sicher zu einer der Entdeckungen des Klangfests. Der für Andrea Hermenau eingesprungene Christian Gall, am Flügel, begeisterte nicht nur, er verblüffte einfach. Für Fans, als Tip auch noch andere Bands dieser Musiker: „Hipnosis“ oder „Sonic Drei“.

So, das Sakko war wieder trocken und man wagte also wieder einen Schritt nach draußen. Das Publikum, defensiv kritisch zurückgezogen unter den Arkaden des Hofes, erwartete in klarer Distanz zur Bühne einen weiteren Protagonisten der Münchner Szene, Nick Woodland. Andy Wenzel, Moderator der Regenbühne, unverrückbar jovial, stellte einen Zusammenhang zwischen Nässe und Blues her. Nick Woodland tat in bewährter Manier das Seine und langte kräftig in die Saiten. Leicht unterkühlte Zuckungen im Publikum.

Es wurde langsam voll am Kulturbuffet. Wie immer bei derartigen Anlässen, war ein verstärktes Aufkommen kritischer Blockflaneurs zu verzeichnen. Gerne am frühen Abend, vor Beginn der Vorabendserien, werden Einrichtungen der öffentlichen Hand, die man ja mit seinem Steuergeld selbst bitter mitfinanziert hat, auf mögliche Entfremdungen in der Nutzung, etwa durch Jugendkultur, überprüft. Dresscode: Turnschuhe, Jeans, winddichte Anoraks, Rucksack, Baseballkappe, eisgrauer Bart.

Jetzt aber in den Carl Orff Saal, zu Lutz Häfner & Group! Ja, und man sah wieder einmal, dass das ein guter Saal ist. Und hören würde man es auch gleich. Die Bühne war sehr schön und schlicht, orangefarbener Screen. Auftritt von links, Christiane Böhnke-Geisse, die Impressaria der ersten Münchner Jazzadresse „Unterfahrt“ . Nach der Vorstellung der Organisatoren wies sie darauf hin, dass das „Klangfest“ auch bei Facebook zu finden sei und dort unheimlich viel lieb gehabt werden soll, damit es wieder stattfindet. Und es stimmt doch, irgendwie wollen wir alle eigentlich nur einfach geliked werden?

Lutz Häfner & Group. Halb sprachlos, muss voraus geschickt werden, das war einfach nur sensationell! Das Münchner Publikum der etwas späteren Stunde erkannte das auch gleich fachkundig. Gespielt wurden die Stücke „3 und 4“, „Bela und Bartok“ und „Whirlpool“, zum Teil von der im September erscheinenden CD „Bar Talk with Bela“.

Bela Bartok ist tänzerisch und bohrend abstrakt, verliebt in unbequeme große Intervalle, und so gesehen auch ein Vorläufer des Atonalen. Es übersteigt leider den Rahmen dieses Berichts, die Kongenialität der einzelnen Musiker darstellen zu wollen. Immer wieder entstanden inmitten Up-Tempo-Schichtungen tonaler Argumentationen Unisoni zwischen Klavier und Saxophon, scheinbar spontan. Das ist nicht „nur“ künstlerisch absolute Spitze, sondern auch handwerklich. Lutz Häfner hat einen wunderbaren Ton, er vereinigt das Strahlen und die Rage der Sonne. Coltrane. Lutz Häfner (Saxophone), Rainer Böhm (Klavier), Christian Diener (Bass),Paul Höchstätter (Drums)

Einer muss anfangen: Kulturreferent Küppers. Foto: Michael Wüst

Uff, das war eine Breitseite! Gut, dass gerade die „Die bayrischen Löwen“ im Foyer die Journalisten verscheucht hatten. Auf der weißen Couch der „Medienlounge“ talkten sonst Uli Habersetzer und Jürgen Jung (BR), Oliver Hochkeppel (SZ) und Michael Grill (Kulturvollzug) mit den Künstlern, anschließend an die Auftritte. Aber jetzt waren „Die bayrischen Löwen“ dran. Das war prima Blech, in Bayrisch und Suaheli, mit kabarettistischen Einlagen, schönen Lederhosen und grauenhaften Krawatten. Und für einen gemeinsamen Moment musste keiner anstehen und keiner schaute auf die Uhr wegen des nächsten Acts.

Aber dann ging es doch noch zu Bracc. Kein Witz: Acht Bratscher auf einen Schlag. Philharmocalyptika? Die launigen Münchner Philharmoniker, begleitet von Nicole Winter am Klavier, wollten keine langen Reden halten, sondern den Platz rocken. Das taten sie gleich einmal mit „Smoke on the Water“. Dass in solchen Kreisen „Deep Purple“ angekommen ist, zeigte auch der jüngste Zapfenstreich zur Verabschiedung eines deutschen Verteidigungsministers. So gingen sie vermeintlich den umgekehrten Weg von Lutz Häfner & Group. Die waren kurz vorher von Bela Bartok gekommen, die Münchner Philharmoniker nun wandten sich erst mal ab vom „E“, mit gegeigtem ProgRock. Aber dann besannen sie sich doch und brachten zweimal wunderbar Astor Piazolla, mit „Oblivion“ und „Libertango“.

Das Klangfest war noch nicht zu Ende. Der Schreiber dieser Zeilen schon. Cornelius Claudio Kreusch und Wolfgang Lackerschmid mögen ihm verzeihen. Tolle Sache! Das Klangfest im Gasteig, präsentierte eine lebendige, reiche Musikszene der Musikstadt München. Und zwar erschöpfend, wenn auch kostenlos.

 

Hier ein weiterer Bericht und eine Bildergalerie zum Klangfest im Gasteig.

 

 

Veröffentlicht am: 13.06.2011

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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