Schicksale als Pop up - Die "Halle 7" experimentiert mit der Krise

von Michael Weiser

Banker und Börsianer jubeln, Theaterleute grübeln. Zumindest die in der Halle 7: In „Geld – her damit“ macht man sich am Rande des Kunstparks Gedanken über die Krise.

So ist sie, die Krise: Dem einen ein schleichendes Gift, dem anderen der Hammer, der fällt, und wieder dem andern das nicht nur tägliche, sondern auch lebenswichtige Brot. Damit sind jetzt mal nicht Konkursverwalter und dergleichen gemeint, sondern die Kulturschaffenden. Was wäre ihr Thema, wenn nicht der Mensch in der Ausnahmesituation, in der Verunsicherung, vor der Herausforderung, in der – Krise?

Insofern muss man sich wundern, wie wenig davon bislang in den bayerischen Theatern angekommen ist. Ja, man spielte in Nürnberg (übrigens sehr gut) Jelineks „Kontrakte des Kaufmanns“, man fiel in Würzburg ausgezeichnet in die „Große Depression“, man konnte in den Kammerspielen „Rimini Protokoll“ sehen und ein Doppel-Depressionspack von Maxim Gorki. Und auch sonst wurde man fündig. Aber eben nur vereinzelt.

Dabei war sie da, die Krise, und sie ist es noch immer, unterschwellig, weniger sichtbar, in Gestalt einer riesigen Verschuldung und einer massiven Verunsicherung, da kann der DAX steigen wie er mag. Vielleicht ist das Theater zu ästhetisch insgesamt, denkt man sich und freut sich aufs Experimentallabor der Halle 7. „Geld – Her damit“ heißt es in dem Stück von Andreas Sauter und Bernhard Studlar, es geht um Geld als Nerv der Dinge. Diese Botschaft ist nicht neu, dennoch gelingt es zunächst, aus vielen, vielen Einzelschicksalen so etwas wie einen Teppich zu weben: Paare, Singles, die Gesellschaft, wir in der Krise, unter Zugzwang, als Kostenfaktoren und als Ohnmächtige. Wie gesagt, zunächst gelingt das in der Regie von Charlotte Frieben gut. Die komischen Seiten des unmenschlichen Drucks moderner Ökonomie hat ja schon Charly Chaplin geschildert. Dann aber wird es zu viel. Schicksale und Schicksälchen ploppen auf wie ein lästiges Popup auf dem Bildschirm, Plots werden angerissen und nicht ausgeführt, der Anspruch der Autoren, ein Kaleidoskop aufzubauen und auf Schuldzuweisungen zu verzichten, führt da in die Beliebigkeit. Dass alle Schauspieler mehrere Rollen innehaben, macht's auch nicht einfacher.

Kurz: Streichen täte not und würde ein an sich gutes Stück voranbringen. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte einer alten Frau (Zana Tonkovic) und ihres Nachbarn  (Dieter Fernengel). Spannend ist das, man fühlt sich entfernt an Isaac Singers „Späte Nachbarn“ erinnert, die langsame Verelendung der eigentlich ganz und gar nicht verarmten Frau ist in treffende Bilder übersetzt. Wie der Nachbar am Ende ratlos vor den Hinterlassenschaften der Frau– sprich: einem Kreuzworträtsel – steht: Das hat dunkle Poesie.

Veröffentlicht am: 04.08.2010

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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