Alte Männer auf der Insel

von kulturvollzug

Theaterpause ist Festspielzeit. Und die beginnt in Salzburg mit einem Paukenschlag: Peter Stein gelingt mit "Ödipus auf Kolonos" von Sophokles auf der Perner-Insel ein großartiger Theaterabend.

Welcher Griechenlandtourist kennt sie nicht, die alten Männer, auf den Stock gestützt, im Kaffeehaus sitzend, über Gott und die Welt redend. Die Jungen sind fort. Sie haben Arbeit in der Stadt, womöglich in der Fremde. Das Bild der ruhigen Greise suggeriert eine friedliche Endzeitstimmung.

Der neunzigjährige Sophokles lässt in seinem letzten Werk den blinden Ödipus von seiner Tochter Antigone auf den Hügel Kolonos geführt werden, damit er im Hain der Eumeniden seinen Lebensweg beende, wie es ihm das Orakel beschieden hat. Ihnen entgegen tritt jedoch der Chor; er ermahnt den Ödipus, das Heiligtum nicht zu entehren. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.

In seiner Inszenierung für die diesjährigen Salzburger Festspiele in Koproduktion mit dem Berliner Ensemble bildet Regisseur Peter Stein den Chor aus zwölf alten Männern. Sie werden die Bühne bis zum Schluss nicht mehr verlassen und tragen im Gegensatz zu den anderen Personen als einzige jene Kleidung (Kostüme Moidele Bickel), an die wir uns aus Urlaubstagen auf griechischen Inseln erinnern: So sind Greise im Kafenion gekleidet. Schließlich mischt sich der Chor unter das Publikum und wird eins mit den Zuschauern. Eine beeindruckende Metapher für die Aktualität antiker Theaterkunst in einer gewaltigen Aufführung.

Peter Stein, der während der Zeit als Leiter des Schauspiels der Salzburger Festspiele von 1992 bis 1997 die Spielstätte auf der Halleiner Perner-Insel entdeckte, entwickelt mit seinem Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer ein dem Raum perfekt angepasstes Konzept, das ohne großen Aufwand den Hain auf Kolonos anschaulich auf die Bühne bringt. So bleibt die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf Sprache und Gestus der Schauspieler konzentriert, was in zweieinhalb Stunden Minute für Minute belohnt wird. Es sind nicht nur die alten Männer des Chores, sondern auch jene großen - bei allem Respekt - alten Männer des deutschsprachigen Theaters, die hier ihr Können entfalten.

Die langjährige Zusammenarbeit zwischen Peter Stein und Klaus Maria Brandauer trägt wieder einmal Früchte beglückender Schauspielkunst. Zudem vermittelt die Übersetzung des Regisseurs eine Verständlichkeit, die immerwährende Spannung gewährleistet. Spätestens dann, wenn Ödipus sich über alle und alles erhebt und wie auf Flügeln zum letzten Mal den Hain betritt, versteht man, welche Kraft dieser Text hat, der vor mehr als 2400 Jahren geschrieben wurde. Ist es die große Bühnenpräsenz Brandauers die einen Abstand zum Rest des durchaus bemerkenswerten Ensembles spüren lässt?

Jürgen Holtz als Kreon und eben jene den Chor bildenden alten Männer hinter denen sich auch junge Schauspieler verbergen, vermögen jedoch die Distanz zu reduzieren. Auch Dejan Bucin in der Rolle des Polyneikes ist in der Lage seine Stimme und seinen Körper so für den Text einzusetzen, dass man mehr als Worte wahrnimmt. Peter Stein gelingt ein weiteres Mal ein großartiger Theaterabend, der zu Ende scheint, bevor der Text einen Schluss hat.

In einem Augenblick höchster Anspannung ereilt auch die Zuschauer das Schicksal Ödipus’. Bei lautem Knall - es wird Gehörschutz angeboten - wird das Publikum mit hunderten von Scheinwerfern geblendet. Ein gelungener Effekt, der bei gestaltlosem Licht Gelegenheit gibt, den Tod des Ödipus aus des Boten Mund zu erfahren: „Das eben ist des Wunderns wert.“

Markus Weinkopf

Veröffentlicht am: 27.07.2010

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