Bollywood begann in Bayern

von Michael Weiser

Vielleicht ist Oberammergau daran schuld, dass es heute so etwas wie Bollywood gibt. Denn in den oberbayerischen Bergen sah der indische Cineast Himansu Rai im Sommer 1922 etwas, was perfekt zu seinem großen Traum  passte. Rai wollte die noch bescheidene indische Filmindustrie in Schwung bringen. Am Anfang sollte ein gigantisches Filmprojekt stehen: Die drei Weltreligionen in Breitwandformat. So, wie er es in diesem Sommer in Oberammergau bei den Passionsspielen sehen konnte. Rai war tief beeindruckt. Die Massenszenen, die Kostüme, die Begeisterung, das alles kombiniert mit westlicher Technik und Wissen – das konnte eine Initialzündung für den Film sein.

Bald findet Rai Partner: die Emelka-Studios der Brüder Ostermayer in München. 1909 waren diese Studios gegründet worden. Später sollte aus ihnen die Bavaria werden. Doch das war noch Zukunftsmusik. Jetzt galt es zu verhandeln, über den gigantischen Stoff, der dem Inder vorschwebte. Und man einigt sich: Das Christentum muss auf seine Verfilmung warten, schließlich grassiert in Europa gerade eine ziemliche Indien-Mode. 1916 hatte Feuchtwanger ein Indien-Stück geschrieben, das in München uraufgeführt wurde. Filme wie „Der Tiger von Eschnapur“ oder „Das indische Grabmal“ waren erfolgreich gelaufen. Und nun sollte Emelka die Legende von Gautama Buddha verfilmen. Ein Coup: Erstmals würde ein Film an Originalschauplätzen gedreht werden. Auf den Weg machte sich 1925 der mittlere der drei Ostermayr-Brüder, Franz, der sich bald nur noch Franz Osten nennt. Im Krieg hatte er von der Front berichtet. Auch nun zeigte er keine Scheu vor Risiken und machte sich mit seiner Crew auf den Weg. Und er leidet: Heiß ist es in Indien, die Massenszenen fordern allen das Äußerste ab. Manchmal prügelt die Polizei die Statisten an ihren Arbeitsplatz – denn die haben in den tropischen Temperaturen wenig Lust auf einen Dreh. Doch insgesamt sind die Inder begeistert bei der Sache. Ein Maharadscha stellt dreißig mit Juwelen behängte Elefanten zur Verfügung. Priester werden von Priestern gespielt, Bettler von Bettlern. „Die Leuchte Asiens“, so heißt das Werk, wird ein großer Erfolg. Sogar der englische König George V. sieht sich den Film an – und lobt ihn. Osten lässt weitere Filme folgen: „Das Grabmal einer großen Liebe“ und „Schicksalswürfel“.

Rai und Osten setzten ihre Zusammenarbeit fort. 1934 gründete Rai seine eigene Produktionsfirma, mit Hilfe von Osten und anderen deutschen Experten. Vier Jahre dauerte die Zusammenarbeit, 16 Filme drehte Osten in dieser Zeit – übrigens ohne ein Wort der Landessprache zu verstehen. Der Angriff Deutschlands brachte das Ende: Osten, mittlerweile NSDAP-Mitglied, wird mit Beginn des Krieges von den britischen Kolonialherren des Landes verwiesen.

1956 stirbt Osten in Bayern, mittlerweile weitgehend vergessen. In Indien aber halten Cineasten sein Andenken noch immer hoch: Bekannte Regisseure wie Nemai Ghosh bekannten sich zu Osten als Vorbild. Und der mächtige Filmunternehmer Sasadhar Mukherji sagte einst über Osten: „Er war unser Guru.“

Veröffentlicht am: 04.07.2010

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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