Papierkrieg um K.: Das "TanzTheater" München stürzt sich mit Kafka in eine Materialschlacht
Düstere Aussichten bietet Hans Henning Paar zum Abschluss der aktuellen Saison am Münchner Gärtnerplatztheater: Er hat Franz Kafkas Romanfragment „Das Schloss“ inszeniert. Das TanzTheater München zeigt darin, in welch glänzender Verfassung es schon bald in eine ungewisse Zukunft geht – die Spielzeit 2012 wird seine letzte. Umso bedrückender die Requisitenflut, von denen es in dem Stück überschwemmt wird.
Es beginnt mit Schneeflocken. K., der Landvermesser (Neel Jansen), der in einem Dorf ein Zuhause finden möchte, wirft damit leichtherzig um sich. Doch schon bald steht er schwerem Geschütz gegenüber. In den Örtlichkeiten bekommt er es nicht nur mit seltsamen Bewohnern zu tun, sondern vor allem mit Aktenstapeln und deren Verwaltung. Egal was K. mit fantasievoller Körpersprache, oft durch komplizierte Drehungen am Boden oder auf halber Höhe, initiiert, man macht ihm klar, dass sich hier alles um abstrakte Regeln dreht. Sie sind die Zeichen der Obrigkeit aus dem nahen Schloss, die in Form von Leitern, Neonröhren, und Aktenmappen alles durchdringen.
Von eigenen Erlebnissen in München sei die Bühnenbürokratie inspiriert, sagte Ballettchef und Choreograf Paar vor der Premiere. Also lässt er eine besonders strenge Beamtin mit Haare-auf-den-Zähnen-Intonation auch das Aufenthaltsgesetz der Bundesrepublik verlesen, wobei „Republik“ durch „Schloss“ ersetzt wird. Schade, eine sanfte Computerstimme wäre hier noch gruseliger gewesen.
Der Tanz konkurriert hart mit all den Gegenständen und Effekten. Von den eigentlich raffiniert gestalteten Corpsszenen bleibt kaum etwas im Gedächtnis. Nur der Pas-de-Deux zwischen K. und Frieda (Caroline Fabre) hat genug Kraft: K. schenkt der Beamtenmaitresse, die bisher als sexuelles Rädchen im Regelapparat diente, zum ersten Mal in ihrem Leben die Aufmerksamkeit, die nur ein Mann einer Frau schenken kann. Er richtet den Schein der Hängelampe auf sie, setzt sie in den Mittelpunkt, beweist fürsorgliche Zuneigung zu ihrer Person. Ein psychologisch glänzendes Duett, mit perfekt ineinandergreifenden Armen und Torsen.
Paar hätte insgesamt mehr auf solch intime Szenen setzen sollen. Mit einem Finale aus Aktenklappen-Monstern und Papierkugeln, die K. endgültig ersticken, bleibt stattdessen nur eine Materialschlacht im Sinn. So wird die Atmosphäre von Kafkas Roman zwar sehr authentisch wiedergegeben, aber nicht besonders eigenständig interpretiert.
Isabel Winklbauer
Nachtrag (29. Mai 2011, 18.20 Uhr) - In einer ersten Version dieses Textes hieß es, das Paar-Stück sei die letzte Tanz-Premiere vor dem Umbau des Gärtnerplatz-Theaters. Da dies nicht richtig ist, wurde sie durch eine korrigierte Fassung ersetzt.