Zur Kroetz-Premiere am Residenztheater

Endlos-Spirale nach unten - und die Frage, ab wann man schuldig ist

von Gabriella Lorenz

Katharina Schmidt (Foto: Thomas Dashuber)

Franz Xaver Kroetz gibt dem Schrecken eine Stimme: Als Reaktion auf den ungeklärten Kindermord an dem fünfjährigen Pascal 2001 in Burbach schrieb er „Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“. Dass das Stück zehn Jahre nach der Entstehung im Residenztheater doch noch uraufgeführt wird, überrascht den Autor selbst.

Eine Uraufführung von Franz Xaver Kroetz, zehn Jahre nach Entstehung des Textes? Wie kommt's?

Auf eine Interview-Anfrage mailte Franz Xaver Kroetz dem Residenztheater Folgendes:

„...ich hab das Stück vor ca. 10 - in Worten: zehn!!!! - Jahren geschrieben. Es liegt auch seit 2004 gedruckt als Buch vor. Und es waren für mich sozusagen recht paradigmatische 10 Jahre: so vieles hat sich so sehr geändert in meinem Leben und ich hab damit fertig werden müssen. Das Stück ist - auch deshalb - in weiter weiter Ferne. Ich weiß nur noch, daß ich sehr enttäuscht war damals, als ichs den ,üblichen Verdächtigen' schickte, also Dorn und so. Keiner wollts machen, Ausnahme Achim Freyer und Hermann Beil, die fandens toll. Aber dem Freyer ist dann doch immer eine Oper dazwischen gekommen, leider! Ich war ziemlich enttäuscht, weil ich wußte: besser kann ich nicht schreiben! Da begann auch das Nachdenken darüber, ob es Sinn macht überhaupt noch weiterzuschreiben, wenns keiner haben will. Wie du weißt hab ich das auch wahr gemacht und nach den ,tv-Massakern' aufgehört mit dem Stückeschreiben. Jetzt müßte ich das Stück nochmal lesen, damit ich überhaupt einigermaßen weiß, was drin steht. Was ich vor 10 Jahren damit wollte, meinte, fühlte: das wüßte ich auch nach einem Lesen nicht mehr. Müßt ichs inszenieren wärs ein schmerzlicher und anstrengender Prozess, sich da nochmal reinzuschaufeln. Weiß nicht, ob ich getan hätt; muß ich aber auch nicht. Das Theater ist mir ziemlich weggestorben und ich bin ihm wohl auch weggestorben. Lassen wirs dabei und du mußt halt denken, daß der Autor des Stückes tot ist. Gibts ja... Schönen Gruß  FX Kroetz"

Ein Bild für die Hölle (Foto: Thomas Dashuber)

 

Kroetz schrieb „Du  hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“ als Reaktion auf den ungeklärten Kindermord 2001 im saarländischen Burbach, wo sich Pädophile an dem fünfjährigen Pascal vergingen. Der Bub verschwand spurlos, seine Leiche wurde nie gefunden, ein Mord  konnte nicht bewiesen werden, alle Angeklagten wurden freigesprochen. Kroetz gibt den Kinderschändern - fünf Männern und zwei Frauen - eine Stimme, in der immer die Stimme des Opfers mitschwingt. Reinschaufeln in das heikle Thema muss sich jetzt die 33-jährige Regisseurin Anne Lenk. Premiere war am Samstag, den 17. März im Cuvilliéstheater.

Gelesen habe sie das Stück mit „fast körperlichen Schmerzen“, sagt Anne Lenk. Aber sie hatte das Gefühl: „Das will ich erzählen.“ Sie hat in München an der Falckenberg-Schule Regie studiert, lebt in Berlin und hat einen Sohn. In Kroetz' Figuren sieht sie „große Liebessehnsucht und großes Verdrängen“: „In den Lügen der Männer wird sukzessive eine Ent-Schuldung organisiert, eine Verschiebung der Schuld vorangetrieben. Das Kind wird mitverantwortlich gemacht, die Täter stellen sich selbst als Opfer hin. Und was ist, wenn wir mit ihnen Mitleid haben? Die Figuren versuchen, uns zu ihren Komplizen zu machen, das ist die eine Provokation des Textes.“

Ab wann ist man schuldig? (Foto: Thomas Dashuber)

Lenk will nicht den Tatort Tosa-Klause bebildern, sondern sucht eine abstrakte, aus dem asozialen Kneipen-Milieu herausgelöste Situation: „Mich interessiert die Vielgestaltigkeit von Täterschaft, abseits eines bestimmten Milieus. Kindsmissbrauch ist an keinen Ort, keinen sozialen Hintergrund gebunden. Die sprachlichen Bilder der Gewalt stehen für sich.“

Viele Kinderschänder sind selbst geschändete Kinder. Das könne man man in Kroetz' Text ahnen, meint Lenk: „Das Kind könnte Teil der Figuren selbst sein. Das Perfide ist: Aus der Stimme des Kindes hört jeder raus, was ihm taugt. Und es wird, indem es nur durch die Stimme der Täter lebendig wird, ein zweites Mal ermordet.“

Es geht um Macht und Ohnmacht, die beiden Frauen im Stück sind hier durch Nichtstun Ermöglicherinnen des  Missbrauchs. „Ab wann ist man schuldig?“, fragt Anne Lenk. „Wie einfach ist es, jemanden zu verurteilen? Wann wird aus einer fürsorglichen Geste ein Übergriff?“ Sie sieht in der Textfläche, die keine dramatische Steigerung hat, letztlich ein Bild für die Hölle: Ein Schuld-Empfinden, aus dem es keine Befreiung gibt, sondern nur eine Endlos-Spirale nach unten.

Eine Kritik zur Premiere  folgt. Die nächsten Aufführungen im Cuvilliéstheater finden am 20. und 24. März um 20 Uhr statt.

Veröffentlicht am: 18.03.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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