Morgenröte, Schamesröte: Der „BMW Welt Jazz Award“ lockt immer mehr Menschen aus allen Gesellschaftsschichten an

von kulturvollzug

Relevant und in bester Gesellschaft: Agustí Fernández. Foto: Pakzad

Da steht der Gegenbeweis. Er ist einige Hundert Meter lang und ziemlich ungeduldig. Der Doppelkegel der BMW Welt kann gerade mal etwas mehr als fünfhundert Zuhörer in sich aufnehmen. Im nebenan befindlichen Auditorium des Gebäudes aber scharren deutlich mehr Menschen mit den Füßen und warten darauf, dass sich die Türen endlich öffnen. Sie sind neugierig auf Klänge, die, glaubt man bestimmten Medien, eigentlich nur elitäre Minderheiten interessieren sollten.

Immer aber, wenn wieder eines dieser sonntäglichen Matinee-Konzerte des „BMW Welt Jazz Awards“ ansteht, wird angestanden. In aller Herrgottsfrüh. Ein Blick auf die lange Schlange zeigt: hier sind alle Alters- und viele Gesellschaftsschichten relevant vertreten - so leicht lässt sich ein fahrlässig hingerotzter, ohne Recherche-Bemühungen verfasster Artikel eines einheimischen Musikers in der „Süddeutschen Zeitung“ widerlegen, der da „Betriebsstörung“ übertitelt war und in seiner Ahnungslosigkeit zum Fremdschämen einlud.

 

Machen wir uns nichts vor: Jazz wird nie eine Massenmusik werden. Und das ist vielleicht auch gut so. Aber der Jazz ist einfach nicht totzubringen, nein, vielleicht sogar lebendiger als in mancher Dekade zuvor. Nie in der deutschen Jazzgeschichte rückten so viele junge wagemutige Musiker nach, die von international erfahrenen Top-Dozenten an den Jazzabteilungen hiesiger Konservatorien bestens ausgebildet wurden und ihre Musik als Kinder des Informationszeitalters mit immer neuen, ungewohnten Einflüssen auffrischen.

Dass die Clubszene hierzulande funktioniert, dass sich bald jede Kreisstadt in Deutschland ein eigenes Jazzfestival gönnt, das ohne Sponsoren aus der Mitte der Gesellschaft, ohne ehrenamtliche Helfer, ohne Zuwendungen aus der Gemeinde nicht durchführbar wäre, zeigt, wie sehr der Jazz hierzulande im täglichen Leben verankert ist.

Und der „BMW Welt Jazz Award“ war in seinen bisherigen Bemühungen für manche Erkenntnis gut, die dem „Betriebsstörungs“-Artikel entgegen gehalten werden kann. Da hat die Mundpropaganda ganze Arbeit geleistet: Schon beim ersten Konzert vor etwas mehr als drei Jahren war der Andrang groß; mittlerweile ist fast so etwas wie ein Hype entstanden. In den architektonisch eindrucksvollen Räumlichkeiten des kulturell engagierten Autobauers trifft man viele Menschen an, die man sonst nie in Jazzkonzerten sieht. Vielleicht sind diese Zuhörer, eine Unterstellung, mit Jazz bisher nicht sonderlich vertraut gewesen, zeigen sich aber offen genug, sich von ihm einnehmen zu lassen. Selbst auf schwierige Musik reagieren sie so, dass eines klar wird: man sollte das Publikum nicht unterschätzen.

In der diesmal „Jazz And The City“ überschriebenen Wettbewerbsreihe des „BMW Welt Jazz Awards“ trat etwa das Agustí Fernández Aurora Trio aus Barcelona auf. Keine einfache Kost für Anfänger: Zarte Morgenrotklänge ertönen da zunächst, fragile Akkorde, Wohlfühl-Harmonien. Doch das, was der Namengeber dieses Dreiers da an Lyrischem ausbreitet, kriegt es unerwartet mit einer anderen Realität zu tun. Bassist Barry Guy und Schlagzeuger Ramón Lopéz brechen mit freien Attacken in die Idylle ein. Klar lässt sich Pianist Agustí Fernández das gefallen – es scheint das Konzept seines Trios zu sein, dass da einiges aufeinander prallt, dass das Zarte vom Harten bedroht wird.

Manchmal aber verzichtet die Gruppe des Katalanen auf die Gegensätze, die sich hier so magisch anziehen. Da sind sich die Musiker plötzlich einig, bäumen sich gemeinsam auf, werfen scharfkantige Unisoni in den Raum, wuchten einem derbe Cluster entgegen und dreschen auf ihre Instrumente ein, dass man um die Klangerzeuger fürchten muss. Doch zwei Minuten später kann alles schon wieder ganz anders sein. Dieses furiose, unberechenbare Konzert riss gut ein Drittel des Publikums am Ende von den Sitzen.

Groovte manierlich, ohne Betriebsstörung: Eric Truffaz. Foto: Pakzad

Begeistert zeigte sich das Auditorium auch eine Woche zuvor, als der Trompeter Eric Truffaz mit seinem Quartett die Stadt der Liebe, Paris, vertreten sollte. Musikalisch war das eher harmloser Natur – immerhin war die austauschbare Mischung aus Jazz, Funk, Drum´n´Bass und Fusion ganz ordentlich gespielt und groovte manierlich. Da man sich bei der Konzipierung des diesjährigen Awards überlegt hatte, dass Musiker aus aller Welt ihre Stadt beim Wettbewerb repräsentieren sollten, durfte man sich allerdings schon fragen: was genau deutet in Eric Truffaz` Musik auf die Heimat hin? Ich fürchte: nichts.

Bei Agustí Fernández waren immerhin iberische Tönungen in den von der Rhythmusgruppe konterkarierten Melodien auszumachen – bei einem relevanten Konzert in bester Gesellschaft.

Ssirus W. Pakzad

Veröffentlicht am: 02.02.2012

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pino schmorz
02.02.2012 10:44 Uhr

Lieber Ssirus W. Pakzad,

da muss ich den Ball der Ahnungslosigkeit leider zurückspielen: Ihre Ausführungen zeugen leider von Überheblichkeit und - nachdem Sie wohl nie einen Telefonhörer in die Hand genommen haben, um einen Gig an Land zu ziehen - somit von Ahnungslosigkeit. Etwas weniger Polemik im Umgang mit Kollegen hätte Ihrem Artikel besser gestanden! Schön, dass es so gut läuft in der BMW-Welt, das freut uns alle - aber, dass "die Clubszene hierzulande funktioniert" ist eine grenzenlose Schönfärbung. Details gerne auf Anfrage!

Thomas de Lates
02.02.2012 14:02 Uhr

I\'ve been walking in your shoes baby, but did you ever walk in mine? Lieber SSirus, ich kann Pino nur umfassend zustimmen. Allein, was Michael H. über die Gagen sagt, ist eher noch schöngefärbt. Das sage ich nicht nur als Musiker, sondern auch als jemand, der selber seit drei Jahren Musikmanagement und Booking macht. Selbstausbeutung auf der ganzen Linie! Und oft ein Publikum, das zwar auf glamouröse Events abfährt (BMW), aber in einer normalen Jazzkneipe ohne Murren über 20 Euro für ein Steak hinlegt, jedoch bei einem Live-Musikbeitrag von 6 Euro schon meckert. Und froh sein darf, wenn nicht wieder mal die Nachbarschaft sich beim KVR beschwert, so dass dem Wirt die gelbe Karte gezeigt wird (für einen Pegel, den jeder beanspruchen darf, der Hausmusik macht bzw. Klavier übt). Und wenn Musiker auftreten müssen wie Straßenmusikanten, die gleichzeitig mehrere Instrumente spielen, dann vor allem deswegen, weil Verantalter oft einfach das Geld für mehr als einen Musiker nicht aufbringen können, falls sie zumindest zumutbare Gagen bieten wollen. Fazit: Jemand, der nicht selber vom Musizieren leben muss, sollte nicht wohlfeil über die Bedingungen schwadronieren, mit denen professionelle Musiker zu kämpfen haben. Si tacuisses, philosophus mansisses!