Über Hütten und Gruben

von Achim Manthey

Ensley, Alabama 1982 (c) Bernd u. Hilla Becher/courtesy Schirmer/Mosel

In Schönheit sterben -  Die Ausstellung "Bergwerke und Hütten" der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums zeigt rund 100 Arbeiten von Bernd und Hilla Becher.

1982 in Ensley, Alabama: Bernd und Hilla Becher haben ihre Großformatkamera aufgebaut und lichten das dortige Hüttenwerk ab, wie meist aus leicht erhöhter Position und frontal. Dem Werk vorgelagert ist eine Fläche mit Autowracks. 1983 ist das Fotografenehepaar noch einmal dort, fertigt weitere Aufnahmen aus anderen Perspektiven. Die Fläche vor dem Werk ist nun mit Autowracks zugepflastert. Die Aufnahmen sind typisch für die in der Ausstellung gezeigten Motive, bei denen erst erstmals nicht um die Darstellung einzelner industriearchtektonischer Objekte geht, sondern um die Dokumentation ganzer Industrielandschaften und den Einfluss dieser Bauten auf ihr städtisches und landschaftliches Umfeld. Ein weiteres, hervorragendes Beispiel liefert eine 1986 in Bethlehem, Pensilvania, entstandene Fotografie: hinter der Arbeitersiedlung türmt sich das Hüttenwerk auf, scheint die kleinen Häuser fast zu erdrücken. Im Vordergrund ist der nicht umfriedete Gottesacker zu sehen: ein tristes, deprimierendes Ambiente.

Bis zum Jahr 2007 gab es die beiden nur im Doppelpack. Bernd Becher wird am 20. August 1931 in Siegen geboren, Hilla Wobeser am 2. September 1934 in Potsdam. Er studiert von 1953 bis 1956 an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart, von 1959 an Typographie an der Düsseldorfer Kunstakademie. Sie lässt sich in Potsdam zur Fotografin ausbilden und beginnt 1958 an der Düsseldorfer Kunstakademie ihr Fotografiestudium. Dort lernen sie sich kennen, lieben. Sie heiraten 1961 - ein gemeinsamer Lebensweg beginnt, der privat und beruflich mehr als 46 Jahre andauern wird. Bernd Becher stirbt im Juni 2007 in Rostock. Hilla Becher setzt die künstlerische Arbeit fort.

Charlottenhütte, Niederschelden, 1963 (c) 2010 Bernd u. Hilla Becher/courtesy Schirmer Mosel

Schon früh, während des Studiums, beginnen sie ihre gemeinsame fotografische Arbeit. Der Plan: die Dokumentation von Industriebauten, die für ihre Entstehungszeit typisch und häufig vom Abriss bedroht waren. Mit wenigen Ausnahmen - Fotografien Siegerländer Fachwerkhäuser werden in der parallel im Museum zu sehenden Ausstellung "Industriezeit" gezeigt - hielt das Ehepaar an diesem Ziel fest.

Die Aufnahmebedingungen sind präzise festgelegt: von einem leicht erhöhten Standort aus werden die Objekte frontal, zentriert erfasst, die Lichtverhältnisse sollen eine gleichmässige Durchleuchtung aller Gebäudeteile erlauben, ohne dass Schatten-Licht-Effekte entstehen. Das Fehlen von Menschen auf den Bildern unterstreicht das Bemühen um größtmögliche Objektivität und Sachlichkeit. Zugleich jedoch widerlegen Bernd und Hilla Becher, die mit der von ihnen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründeten Düsseldorfer Photoschule in der Tradition der von August Sander, Karl Blossfeldt und Albert Renger-Patzsch geprägten "Neuen Sachlichkeit" in der Fotografie stehen, die These Walter Benjamins, der dieser Art der Fotografie absprach, Bildende Kunst zu sein, da er in ihrer Konzeption keinen Willen erkennen konnte, "etwas künstlerisches aufzubauen".

Zeche Friedrich der Große, Herne, 1978 (c) 2010 Bernd u. Hilla Becher/coiurtesy Schirmer/Mosel

Der größte Teil der in der Ausstellung gezeigten Fotografien ist im Ruhrgebiet entstanden. Die Bilder der Zechen Graf Moltke in Gladbach (1972), Fritz Heinrich in Essen (1976) oder Hannibal in Bochum-Hofstede (1973) dokumentieren eindrucksvoll, wie die Industriewerke eingebetten sind in die Städte und deren Bild und Leben prägen. Ergänzt wird die Auswahl durch Aufnahmen, die im Siegerland, an der Saar sowie in den USA, Frankreich, Belgien und Großbritannien entstanden sind. Unabhängig von regionalen und nationalen Grenzen dokumentieren die Bilder auch den technischen Fortschritt der industriellen Architektur. 1668 sahen die Werke anders aus als 1986 oder 2000, wobei erkennbar bleibt, dass sich der grundsätzliche Aufbau, bedingt durch die Technik, über die Jahrzehnte nicht wesentlich verändert.

Die industrielle Eisenverhüttung ist aus dem Ruhrgebiet fast völlig verschwunden. Auch der Kohlebergbau steht in Europa kurz vor dem Aus. Vor diesem Hintergrund bietet die Ausstellung einen fast nostalgischen Rückblick auf eine verschwindende Epoche der Industriegeschichte. Nicht zuletzt dank der Arbeit der Bechers stehen viele Anlagen heute unter Denkmalschutz und werden, wie die Völklinger Hütte, als Kulturzentren genutzt. Andere jedoch sind bereits vollständig abgerissen oder werden mit der Zeit von der Bildfläche verschwinden und Brachen hinterlassen, deren zukünftige Nutzung heute noch völlig offen ist. Die Arbeit von Bernd und Hilla Becher hält also für die Nachwelt auch das fest, was nachfolgende Generationen in natura nicht mehr werden sehen können.

Die sehenswerte Ausstellung wurde durch das "Josef Albers Museum Quadrat" in Bottrop und ihren Leiter Heinz Liesbrock konzipiert. Gemeinsam mit der ebenfalls im Münchner Stadtmuseum gezeigten Ausstellung "Industriezeit" und der Ausstellung "Fotografie für Architekten" in der Pinakothek der Moderne - beide Ausstellungen wurden vom Kulturvollzug ebenfalls besprochen - bietet München derzeit einen europaweit einzigartigen Überblick über die industrielle Fotografie aus mehr als zwölf Jahrzehnten.

Bis zum 11. September im Münchner Stadtmuseum täglich ausser Mo. von 10-18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Buch mit mehr als 150 Duotone-Tafeln und einem Text von Heinz Liesbrock bei Schirmer/Mosel erschienen und für 34 Euro im Museum erhältlich.

Veröffentlicht am: 27.05.2011

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