Ein ewig Rätsel wird er bleiben

von kulturvollzug

Der Kini. Foto: HdBG

Bayern feiert seinen Märchenkönig: Mit der Landesausstellung 2011 besingt Bayern in Herrenchiemsee unter dem Titel "Götterdämmerung" Ludwig II. und seine Zeit, und das mit einem Einsatz an Computertechnik, der vermutlich den allerhuldvollsten Beifall des "Kini" gefunden hätte.

Man kann ihn sich vorstellen: der König, wie er mit melancholisch verschatteten Augen die Darsteller mustert, wohlgefällig vor allem den Jesus, mit gerunzelter Stirn einen anderen. „Judas“, fragt Ludwig den Darsteller der Oberammergauer Passionsspiele, „was hast du gefühlt, als du den Herrn verrietst?“ Georg Lechner, der 1871 den falschen Apostel verkörperte, erinnerte sich an die Schauer, die ihm beim Blick des Königs über den Rücken liefen. Und an den Blechlöffel, den ihm Ludwig reichte. Die anderen Darsteller erhielten Silberlöffel.

Bei Königs zu Hause: Ludwig als Schwanenritter in der Blauen Grotte zu Linderhof. Digitales Bild: Haus der Bayerischen Geschichte

Die Szene vom Schauspielerempfang in Schloss Linderhof verrät einiges über Ludwig. Hatte Ludwig vergessen, dass er ein Schauspiel gesehen hatte? Die Grenze zwischen Traum und Realität: Sie scheint bei ihm fließend gewesen zu sein. Er sah ein Drama auf der Bühne – und empfing den Theaterschein als Abbild der Welt. Er sah die rauhe Natur der bayerischen Bergwelt – und wollte sie mit gigantischen Bauten zum Gesamtkunstwerk veredeln. Ludwigs Welt, würdig eines wahren Königs.

Denn auch das wünschte sich Ludwig: Ein absoluter Herrscher zu sein, wie sein verehrtes Vorbild Ludwig XIV. von Frankreich. In Wahrheit wurde der Wittelsbacher mehr und mehr zum Satelliten Bismarcks. Die Zeiten waren eben so: Mittlere Staaten wie Bayern kamen für Hauptrollen nicht mehr in Frage.

Der Sieg über Frankreich hatte den Boden für die Reichsgründung in Versailles bereitet. Als Steigbügelhalter des neuen Kaisers aus Preußen musste ausgerechnet der Bayernkönig herhalten. Er weigerte sich, nach Versailles zu reisen. Also diktierte Bismarck einen Brief, in dem der Wittelsbacher dem Hohenzollern die Kaiserkrone antragen sollte. Den „Kaiserbrief“ zu unterzeichnen, widerstrebte Ludwig zutiefst. Aber da waren die dauernden Geldnöte. Da waren die Minister, die drängten. Und da war die bohrende Frage, ob Bayern gegen den Willen Preußens Bestand haben könnte. Bayern war eben keine Großmacht wie das Frankreich des Sonnenkönigs. Und der bayerische Ludwig hatte sich – anders als der französische Ludwig - mit Kabinett und Bürokratie herumzuschlagen. Ob mit Recht oder unbegründet, darüber streiten die Historiker; jedenfalls sah sich Ludwig gezwungen, wichtige Teile seiner Souveränität abzugeben. Mit Mühe konnte er ein paar Rechte verteidigen. Das Kommando über das bayerische Heer in Friedenszeiten etwa. Dennoch; der bayerische König blieb untröstlich. An den offiziellen Feierlichkeiten nahm er nicht teil, und sein Fernbleiben wurde ihm auch von Manchem in Bayern übel genommen.  Ein selbstständiges Bayern - diese Zeiten waren vorbei, da konnte der König nunmehr machen und träumen, was er wollte.

Der Besucher in Herrenchiemsee muss nur seine Schritte auf den Ausstellungspfad lenken, um die tiefe Kluft zwischen Schein und Sein zu ahnen. Das Leben, Wirken und Vermächtnis Ludwigs wird in den Teilen des Schlosses präsentiert, die nie fertiggebaut wurden. Gewaltig wie der Sonnenkönig in Versailles, prunkvoll wie kein anderer in seiner Zeit, wollte Ludwig auf der Chiemsee-Insel Hof halten. Allein, Majestät fehlten am Ende die Mittel, ganze Raumfluchten stehen noch heute im Rohbauzustand. Normalerweise unzugänglich für die Öffentlichkeit, bilden sie das Entree für den Besucher.

Der warme Ton nackten Backsteinmauerwerks empfängt den Gast. Wo Gips, Blattgold und Dekor den Übergang von Wand und Spiegel zur lichtdurchströmten Decke überglänzen sollten, prangt der nackte Holzunterbau. So also wird man auf die Kehrseite des Theaterkönigtums eingestellt, die Wirklichkeit hinter der Fassade. Krieg, Politik, Gesellschaft, Mythos, Kunst, Gegenwelten und die Persönlichkeit des Bayernkönigs: Auch in einem schnellen Rundgang dürften sich viele Facetten des Königs und seiner Zeit erschließen.

Die „gute alte Zeit“ kommt einem längst nicht mehr so gut vor, hat man einen Blick auf die Verheerungen des Krieges von 1870/71 in Frankreich geworfen. Fotografien von Straßenzügen in Schutt und Asche sieht man da, Soldaten in Stellungen, und obwohl die deutsche Propaganda Fotos von Toten und Verstümmelten vermied, ahnt man die Wut und Zerstörungskraft des industrialisierten Krieges. Immerhin steht in der Ausstellung auch noch ein Feldl-Vierlingsmaschinengeschütz aus Augsburg, das bis zu 450 Schuss pro Minute abfeuern konnte – ein Vorläufer des Maschinengewehrs. Gute alte Zeit, mit Sedansseligkeit und Veteranentreffen? 3000 von 50 000 bayerischen Soldaten starben, 11000 wurden verwundet.

Vorboten des modernen Krieges: Zerstörungen 1870 in Straßburg. Bild: Paul Sinner/Rheinisches Bildarchiv Sinner

Doch nicht allzu viel Raum lassen die Ausstellungsmacher den Schrecken des Krieges und der Finesse der politischen Diskussion – rein ins Reich oder nicht? Man darf  sich über die Klarsichtigkeit der bayerischen Patrioten wundern, die sich gegen einen Eintritt in ein Reich, geschmiedet aus Blut und Eisen, wehrten. Frankreich werde Rache nehmen, und dann werde es nicht mehr ohne Verbündete dastehen. Der nächste Krieg, prophezeite der Abgeordnete Edmund Jörg 1871, werde ein Weltkrieg sein.

Der Ludwig-Fan wird sich lieber berauschen an Originalkleidungsstücken und persönlichen Gegenständen und den jungen König in immer neuen Variationen bewundern. Ludwig bereitete sich schon in jungen Jahren in dem Sinne auf seine Repräsentationsaufgabe vor, dass er sich in verschiedenen Posen ablichten ließ, zu Testzwecken sozusagen. Der junge, große, schöne König, bezaubernd und unnahbar, wurde tatsächlich schon früh zur Marke, die sogar den kalten Rechner Bismarck nicht kalt ließ: „Der Eindruck, den er mir machte, war ein sympathischer, obschon ich mir mit einiger Verdrießlichkeit sagen musste, dass mein Bestreben, ihn als Tischnachbarn angenehm zu unterhalten, unfruchtbar blieb.“

Der Besucher darf staunen über Ludwigs Projekte, die nach 1871, nach jenem jammervollen Akt der Reichsgründung, immer verstiegener wurden, Riesenbauten in mittelalterlichem, byzantinischem, chinesischem Stil, ein Gutteil davon – wie die Burg Falkenstein nahe Pfronten – nicht mehr verwirklicht. In atemberaubenden 3-D-Animationen nehmen des Königs Träume so überzeugend Gestalt an, dass seine Majestät selbst damit hätten vorlieb nehmen können. Auch das verwegenste Projekt selbst nimmt wenigstens virtuell Gestalt an: Jene Schwebebahn über den Alpsee, angetrieben von einer Dampfmaschine. In einem Pfauenwagen, getragen von einem Ballon, sieht man den König vor dem Gezack der Allgäuer Berge entschweben. Und nicht zum ersten Mal mag einem das Wort vom „seltsamen Vogel“ im Kopf herumgeistern. Dabei lag vieles auch im Zuge der Zeit: Ludwig war nicht der einzige, der sich für Richard Wagners Mythen-Welten begeisterte. Er allein versuchte sich aber an deren Umsetzung, und das auf der technischen Höhe der Zeit.

Große Pläne: Ludwigs Projekt Burg Falkenstein wurde erst jetzt vollendet - am Computer. Bild: Gerd Hirzinger

So gibt das Pfauenflugprojekt und die offene Begeisterung des Königs für die Technik dem Haus der Bayerischen Geschichte zwanglos die Gelegenheit, Wegmarken der bayerischen Industriegeschichte zu vermelden. Die Kühlmaschine des Carl von Linde, das erste Telefon in Bayern in Schloss Neuschwanstein, das erste Elektrizitätswerk für die Beleuchtung der Blauen Grotte in Linderhof, das Lokomobile, das die viele Tonnen schwere Kreuzigungsgruppe, ein Geschenk des Königs, nach Oberammergau schleppte: All das gehört ebenso zur bayerischen Wirklichkeit jener Zeit wie die Traumschlösser des Königs und die elementaren Nöte breiter Schichten.

Dass sich der König der sozialen Probleme in Bayern durchaus nicht erfolglos annahm, dass er sich bemühte, seinen Aufgaben– wenn auch weniger aus Neigung als vielmehr aus Pflichtbewusstsein - nachzukommen, geht in der Mega-Ausstellung ein wenig unter. Stattdessen erfährt man in (sehr interessanten) Zeitungsausschnitten etwas von der zeitgenössischen Kritik an dem Monarchen. Die Vorwürfe, er berate sich mehr mit den Favoriten seines Hofstaats als mit Ministern und Abgeordneten, die Häme, mit der Ludwig etwa von österreichischen Blättern als Pleitier und Don Quichotte verspottet wurde, geben dem Bild des Märchenkönigs eine Tiefenschärfe, die seine Auferstehung zum Superstar made in Bavaria um so erstaunlicher erscheinen lässt.

Märchenwelt und Moderne, Rollenspiele und Selbstvermarktung, ein Leben in virtuellen Welten: Der Menschenflüchtling Ludwig II. ist nicht nur einmal als erster postmoderner Star bezeichnet worden. Filme und Künstler verbreiteten sein Bild über die ganze Welt, das Bild mal eines Einsamen, Unverstandenen, mal eines Traumtänzers, mal Kauz, mal Künstler, dessen bis heute ungeklärtes Ende im Starnberger See auch Skeptikern ein, zwei Zähren der Rührung abnötigt.

„Ein ewig Rätsel will ich bleiben“, notierte der junge König einmal. Das ist ihm gelungen, wie die Landesausstellung eindrucksvoll beweist. Auch in Herrenchiemsee begegnet man eher dem Paradiesvogel als dem Politiker Ludwig. Auch 2011 bleibt man lieber an der schillernden Oberfläche, als in die Tiefe der Person und der Zeit einzutauchen. Den vielleicht aufschlussreichsten Satz der Schau kann man leicht übersehen, so erschlagen ist man nach all den Briefen, Fotos, Bauplänen. „Zwei Seelen wohnten in seiner Brust, die eines Tyrannen und eines Kindes“, notierte da der ehemalige Hofsekretär von Bürkel über Ludwig. „Grauenhaftes und Zartes, Hohles und Tiefes, Prunktsucht und Bescheidenheit mischten sich zu einem Charakterbild von seltener Mannigfaltigkeit der Schattierungen.“ Viel Treffenderes wissen die meisten Biographen noch heute nicht zu sagen.

Der Kulturvollzug berichtete bereits über die Vorbereitungen zur Landesausstellung sowie über Gerd Hirzinger, der Ludwigs Traumwelten vituell auferstehen lässt.

Veröffentlicht am: 16.05.2011

Audioausgabe des Artikels
Hören Sie sich hier die Audioausgabe des Artikels an, gesprochen von Christian Weiß:

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