Party in den Zeiten des Krieges

von Michael Weiser

Trash und Techno: bei seinem Gastspiel mit dem Falk-Richter-Stück „Bog je dzej – Gott ist ein DJ“ heimsten Milos Lolic und seine kleine Truppe vom Theater Dusko Radovic aus Belgrad viel Beifall ein. Zugleich bedeutete diese Zeitreise eine Premiere: Erstmals wurde beim Festival „Radikal Jung“ im Volkstheater eine fremdsprachige Produktion gezeigt.

Man fühlte sich ein bisschen an die Fahrt in den Urlaub erinnert. Man schaltet das Autorradio ein, und schon bald hinter der Grenze versteht man Bahnhof: Muntere Stimmen, Moderator und Moderatorin unterhalten sich in fremder Sprache; sich die Geschichten dazu auszudenken, bleibt der Besatzung des Touristenautos selbst überlassen. Wie bei „Bog je dzej“ („Gott ist ein DJ“, von Falk Richter ), einer Gastinszenierung des Theaters „Dusko Radovic“ Belgrad: Die beiden Protagonisten plappern und erzählen lebhaft ins Publikum, das immer wieder die Augen nach oben richtet, um die deutsche Übersetzung im Übertitel zu erhaschen.

Milos Lolic (Foto: privat)

Dass man das nicht immer schafft und somit auch dem Text nicht immer folgt, bekümmert nur in den ersten Minuten. Danach lässt man sich von der Inszenierung Milos Lolics einfangen. Es geht, so viel bekommt man auch ohne tiefere Kenntnis von Falk Richters Vorlage mit, um ein Paar, das sein Leben, seine Beziehung bis zum letzten ausschlachtet, in einer Art Dauerperformance, die übers Internet verbreitet wird. Die beiden erschaffen sich quasi mit jeder Episode neu: Wann die beiden ihre Brüche setzen, ihre Streitigkeiten, die Enttäuschungen – das entscheiden sie selbst. Er (Nikola Vujović), ehemals berühmter DJ, behauptet, als Kind vom Vater missbraucht worden zu sein. Was sie (Vladislava Djordjevic), ehemaliges TV-Sternchen, vehement bestreitet. Und dann ist da noch das Kind, das sie angeblich im Bauch trägt: Immer stärker wird der Druck, den sie auf ihn ausübt. So breiten die beiden ihr Leben vor uns aus, unterbrochen nur von einer Art Sirene und dem Blinken der roten Aufnahmelampe: Dann gibt’s wieder Tanz und Techno, bis das Volkstheater zittert.

Die Bühne (Jasmina Holbus) mit reichlich Pappe und Silberfolie ist einerseits dem Minimaletat von einigen tausend Euro inklusive Gagen geschuldet, erweckt in ihrer Trashigkeit aber auch Erinnerungen an Big Brother. Ihr Gewand (Maria Jelesijević) wechseln die beiden so oft wie ihre Rollen oder vielmehr Stimmungen: Schließlich will das Publikum am PC unterhalten werden.

Es geht in dieser Assoziation einerseits um Falk Richters 1999 uraufgeführten, einigermaßen prophetischen Text um die Vereinnahmung durch Medien. In der Inszenierung aus Belgrad geht es allerdings auch um Party in den Zeiten des Krieges. In diesem Falle während der Zeit des Bombardements der Nato. „Schulen, Büchereien und Unis sind immer das erste, was geschlossen wird“, sagte Regisseur Milos Lolic. Und die jungen Leute nutzten die Zwangsferien zum Feiern in Clubs und Bars. Bei dem Techno-Trash, der in voller Lautstärke aus den Boxen wummerte, stöhnte mancher Zuschauer – den Autor Falk Richter eingeschlossen. Für viele Menschen in Belgrad aber bedeutet Lolics Inszenierung eine bestürzende Reise zurück in die Zeit zwischen Party und Bomben, zwischen Nato und MTV. Kinder tanzen zu den Techno-Einlagen auf der Bühne des Volkstheaters wie kleine Show-Soldaten. Für uns seltsam, für serbische Zuschauer eher ein Wiedererkennungsmerkmal.

Es war beeindruckend zu erleben  - wenn sich derlei auch erst durch das Publikumsgespräch ganz erschloss –, wie sich in dieser fremdsprachigen Inszenierung (der ersten, aber nicht einzigen in der siebenjährigen Geschichte des Festivals) eine neue Ebene auftat. Begeistert durfte man von Nikola Vujović und Vladislava Djordjevic sein. Von den ersten Sekunden an fühlte man mit den beiden Darstellern, die ein herrlich facettenreiches, sympathisches Spiel zeigten. Das Leben als Dauerperformance, bis die Akkus leer sind: Bei diesem Gastspiel des Theaters Dusko Radovic war die Energieentladung zuvor allerdings gewaltig.

Veröffentlicht am: 11.04.2011

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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