Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit in der Bayerischen Staatsbibliothek

Himmlische Hostien und böse Äpfel

von Christa Sigg

Salzburger Missale. Berthold Furtmeyr (1482-1498). Abbildung: Bayerische Staatsbibliothek

Ausgesprochen graziös posieren die beiden Damen in der Landschaft. An jedem Hof könnten sie so bella figura machen. Im zart angedeuteten S-Schwung flankieren die zwei Schönheiten einen doppeldeutigen Baum der Erkenntnis, von dem sie Früchte weiterreichen: die in madonnenhaftes Lapislazuliblau gehüllte Ecclesia himmlische Hostien und die nackte Eva böse Äpfelchen. So unverschämt nahe liegen Heil und Verderben beieinander. Und damit nun wirklich jeder weiß, welche Kräfte hier im Spiel sind, hängt in der linken Hälfte der Blätterkrone ein Gekreuzigter, und aus der rechten grinst über der Urfrau ein Totenschädel.

Berthold Furtmeyr hat dieses Bild vom „Baum des Lebens und des Todes“ gemalt. Es stammt aus einem Salzburger Messbuch des späten 15. Jahrhunderts, das zu den besonderen Kostbarkeiten der Bayerischen Staatsbibliothek gehört. Schon allein deshalb ist dieses Missale geradezu ein Muss in einer Ausstellung mit dem Titel „Luxusbücher“. Übrigens der ersten von drei Präsentationen zur Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit. Übers Jahr 2016 werden so fast 100 hochkarätige Beispiele in den beiden Schauräumen an der Ludwigstraße zu sehen sein.

Spätestens in der Ausstellung „Pracht auf Pergament“ konnte sich ein breites Publikum in der Kunsthalle München davon überzeugen, dass in den Tresoren der Staatsbibliothek eine Art Nibelungenhort der Buchmalerei liegt. Allerdings ohne Fluch. Wobei dieser fragile Schatz seine Tücken hat. Ihn zu pflegen und für die Zukunft zu erhalten, ist eine Titanenaufgabe, die Unsummen verschlingt.

Ohne Sponsoren kommt auch dieser Bereich nicht mehr aus. Erst kürzlich hat die Siemens Kunststiftung die Restaurierung eines opulenten, von Herzog Albrecht V. in Auftrag gegebenen Chorbuchs mit Motetten von Cipriano de Rore und – darauf kam’s in diesem Fall an – Illuminationen des Münchner Hofmalers Hans Mielich finanziert. Das Ergebnis kann man inzwischen sogar online begutachten, wie eine lange Reihe weiterer hochempfindlicher Manuskripte, die früher nur mit einschlägigem Forschungsnachweis einsehbar waren.

Brevier Kaiser Friedrichs III. (Wien 1475 / 80). Abbildung: Bayerische Staatsbibliothek

Es geht zwar nichts über einen Blick aufs Original, aber selbst die Exponate der aktuellen Ausstellung sind bequem zu Hause am Bildschirm zu verfolgen. Darunter prächtige Wappen- und Turnierbücher, ein Exemplar des Gralsepos des jüngeren Titurel aus Südtirol (um 1430), das den Kalifen und seine Frau auf fast schon naturalistischen Rössern zeigt, oder ein imposanter astronomisch-astrologischer Codex aus der Sammlung des bibliophilen, ansonsten eher problematischen böhmisch-deutschen Königs Wenzel (um 1400): Seitengroße Bilder der Sternzeichen illustrieren den Band mit ins Lateinische übersetzten arabischen und jüdischen Texten, und die Nähe zur berühmten Wenzelsbibel ist überdeutlich.

Wer nach heute noch großen Namen sucht, wird genauso fündig: Von Hans Holbein d. Ä. stammen zwei hinreißende Miniaturen einer überreich geschmückten Handschrift, die dem späteren Kaiser Maximilian I. 1492 im Augsburger Kloster St. Ulrich und Afra überreicht wurde. Als Nabel der spätmittelalterlichen Buchmalerei in Bayern darf zwar nach wie vor Regensburg gelten, doch neben Nürnberg etabliert sich vor allem die Fuggerstadt als Zentrum qualitätvoller Produktionen. Am Ende einer Reihe stilprägender Künstler steht hier Ulrich Taler, von dem in der Ausstellung die faszinierend dichten Illuminationen einer kleinen Prachthandschrift mit den wichtigsten Gebeten der Messe gezeigt werden.

Man braucht kein Fachmann zu sein, um Zusammenhänge zu erkennen. Der heute so sehr beschworene Kulturtransfer war nicht erst im umtriebigen Spätmittelalter völlig unverkrampft. Zwischen den Klöstern wurde immer schon munter ausgetauscht, und nun eben auch zwischen den Reichsstädten.

Dass Berthold Furtmeyr seinen Salzburger Kollegen Ulrich Schreiner bei der Fertigstellung des eingangs erwähnten Pracht-Missale abgelöst und die Arbeit für den Salzburger Bischof schließlich in Regensburg fertiggestellt hat, auch das war nichts Außergewöhnliches. Die Könner der Szene sprachen sich damals schnell herum – über ein halbes Jahrtausend bevor das Internet unser Leben zu dominieren begann.

Und ganz ehrlich, vor den Vitrinen in der Staatsbibliothek steht man vielleicht nicht immer allein, aber der Blick auf diese minutiöse Kunst, die Ornamente und die winzigen Details, das natürliche Goldfunkeln und das Leuchten von Zinnober, Malachitgrün oder Ultramarin ist durch keinen virtuellen Feuerzauber zu ersetzen.

Bildwelten – Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit, Teil 1: Luxusbücher, bis 15. Juli 2016, Bayerische Staatsbibliothek, Ludwigstraße 16, 1. OG, Mo bis Fr 10 bis 17, Do bis 20 Uhr, Eintritt frei, Katalog (Quaternio-Verlag) 29,80 Euro. Kostenlose Führungen donnerstags um 16.30, mehr unter www.bsb-muenchen.de/ausstellungen.html; Ausstellung digital unter www.bilderwelten2016.de; Highlights der Stabi unter www.digitale-sammlungen.de.

Veröffentlicht am: 01.06.2016

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