Paul Klee und Wassily Kandinsky im Lenbachhaus

Kosmischer Schwebezustand einer Freundschaft

von Christa Sigg

Paul Klee, Abfahrt der Schiffe, 1927. Zentrum Paul Klee, Bern, Leihgabe aus Privatbesitz

Wer war größer, Schiller oder Goethe? Die abgestandenen Kalauer liegen einem schon auf der Zunge, und womöglich haben Paul Klee (1879-1940) und Wassily Kandinsky (1866-1944) erst eine Runde geblödelt, bis dann dieses ziemlich komische, aber genauso vielsagende Foto entstanden ist: 1929 stellten die beiden im Frankreich-Urlaub bei Biarritz das berühmte Weimarer Dichter-Denkmal am Strand nach. Kandinsky warf sich als Goethe, der 13 Jahre jüngere Klee als Schiller theatralisch in Pose. Ironie hin oder her, die Herren Bauhaus-Professoren wollten ja auch nichts weniger als eine neue Ära der Kunst begründen.

Dass ihnen das gelungen ist, steht in jeder Abhandlung über die Moderne zu lesen. Dieser außergewöhnlichen Künstlerfreundschaft eine umfassende Ausstellung zu widmen – sie dauerte immerhin fast 30 Jahre – ist dagegen ein Novum. Selbst wer das Werk der Maler einigermaßen zu kennen glaubt, dürfte nach der Partner-Station in Bern nun im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses noch auf ein paar Überraschungen stoßen. Und sogar die vielbeäugten alten Bekannten aus der städtischen Sammlung erhalten durch neue Gegenüberstellungen weitere Qualitäten. Mehr kann man von einer Ausstellung kaum verlangen. Wenngleich das zum Schauraum umfunktionierte U-Bahn-Depot von der Eingangsrampe aus zunächst eine Überwältigung befürchten lässt.

Tatsächlich hängt auch ein bisschen viel, aber es gibt eben viel zu zeigen aus diesen umfangreichen Œuvres: Klees grotesk verformte Menschen wie die „Jungfrau im Baum“ (1903), die hinreißend krakeligen Pferdestudien (um 1912), dann die Entdeckung der Farbe (um 1914), das immer komplexer werdende Pendeln zwischen Natur – an der hält er zeitlebens fest – und Abstraktion. Bis hin zum umwerfend reichen, teilweise überraschend großformatigen Spätwerk.

Und parallel dazu Kandinskys märchenhafte, farbvollen Anfänge („Reitendes Paar“, 1906/07), die an seine russische Heimat erinnern, ab 1909 die ersten abstrakten Anwandlungen, die eine völlig neue Bildsprache sprechen. Sowieso steht der Blaue Reiter vor der Tür, und Kandinsky befindet sich in den folgenden Jahren auf dem Höhepunkt. Dann, nach dem Ersten Weltkrieg und der Rückkehr aus dem entbehrungsreichen Moskauer Exil, die starke Geometrisierung in der Bauhauszeit, mit der er auch Klee ansteckt, die Spritztechnik, die sich beide Künstler zu eigen machen und die zu feinsinnigsten Arbeiten führt, das Exil in Frankreich, wo Kandinsky als Abstrakter nicht wirklich ankommt…

Wassily Kandinsky, Entwicklungen in Braun, 1933. Collections du fonds Kandinsky du Musée National d´Art Moderne Centre Pompidou

Man kann das im Einzelnen gar nicht ausführen, sieht allerdings in diesem überbordenden Reigen, wie sich der Jüngere, der als fabelhafter Geiger ja genauso eine Musikerkarriere hätte einschlagen können, vom verzagten Zeichner doch peu à peu zum Maler mit beträchtlichem Selbstbewusstsein entfaltet. Und wie sich die Nachbarn an der Münchner Ainmillerstraße (Hausnummer 32 und 36) nach dem Kennenlernen 1911 bald intensiv austauschen. Dass Klee erst 1914 auf der Tunis-Reise mit August Macke zur Farbe kommt, relativiert sich hier. Bereits bei den Häuserzeilen aus den Jahren 1912 und 1913 spart er nicht an Rot und Grün oder Blau, Klee beginnt in gewisser Weise dem älteren Kollegen nachzueifern und ist überhaupt angetan von der kräftigen Palette der Reiter-Vereinigung.

Auch was die Musik betrifft, haben sich die zwei viel zu sagen. Klee pendelt zwischen Bach und Mozart, während sich der vermutlich eher lausig Cello und Harmonium spielende Kandinsky für die allerneuesten Kompositionen Arnold Schönbergs und dessen Zwölfton-Genossen begeistert. Doch man muss um die Musikalität schon auch wissen und Titel wie „Fuga“ (Kandinsky, 1914) oder „Im Bachschen Stil“ (Klee, 1919) lesen, um den „Klang“ im Bild wahrzunehmen.

Wirklich fruchtbar wird die Nachbarschaft vor allem am Bauhaus, mit den ersten Jahren in Weimar und 1925 dann in Dessau, wo Walter Gropius den Lehrern „Meisterhäuser“ baut, die heute noch durch ihre reduzierte Modernität frappieren. Klee und Kandinsky bewohnen ein Doppelhaus, man sitzt gemeinsam beim Tee, qualmt vor sich hin und philosophiert. In dieser Zeit sind die Werke der beiden manchmal kaum zu unterscheiden, das moniert auch ihr Kollege Oskar Schlemmer. Kandinsky übernimmt von Klee die erwähnte Spritztechnik und bleibt fast immer abstrakt, unterdessen kreist der Gefährte um Gesichter und – typisch – Augen („Die Maske mit dem Fähnchen“, 1925). Man puzzelt außerdem mit Quadraten, Dreiecken und Kreisen, lässt daraus etwa Schiffe entstehen. Und überhaupt scheint sich alles in einem kosmischen Schwebezustand zu befinden, der Künstler wird hier zum Schöpfer einer eigenen, mehr oder weniger abstrakten Welt.

Klee ist auf der Überholspur und wird in den 1920er Jahren zum deutlich erfolgreicheren Künstler, Kandinskys Stern beginnt dagegen zu sinken. Doch für die konkurrierenden Freunde – das betonen auch die Ehefrauen Lily und Nina – war es die glücklichste Zeit ihres Lebens. 1933 verlieren beide ihre Lebensgrundlagen, Klee die Professur in Düsseldorf, Kandinsky erlebt die endgültige Auflösung des Bauhauses. Und während der eine in die alte Heimat nach Bern zieht, lebt der andere wenig anerkannt im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine und wendet sich biomorphen Figurationen in erstaunlich optimistischen Farben zu.

Beide Künstler gelten in Nazi-Deutschland als „entartet“, 1937 werden ihre Werke aus den deutschen Sammlungen entfernt. Das Desaster ist perfekt, vor allem der schwer an Sklerodermie (Anm.d.Red.: seltene Autoimmunkrankheit, die mit einer Verhärtung des Bindegewebes einhergeht) erkrankte Paul Klee beginnt zu resignieren. Doch es kommt zu einem letzten Treffen, das dem abgemagerten Mann mit den schmerzvoll aufgerissenen Augen ganz neue Impulse gibt. Nachdem ihn Kandinsky in der Schweiz besucht hatte, gerät Klee in einen sagenhaften Schaffensrausch. Es entstehen noch einmal 1200 Werke, Runenhaftes („Vorhaben“, 1938), Verspieltes, es dominieren einfachste Bildelemente, und schließlich sind da noch die anrührenden Engel. 1940 stirbt Klee, Kandinsky folgt ihm fünf Jahre später. Wer sich nach dieser fulminanten Ausstellung mit der Kunst seit 1945 befasst, begegnet den beiden in einer Tour.

Kunstbau des Lenbachhauses, bis 24. Januar 2016, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 20 Uhr, www.lenbachhaus.de. Zur Ausstellung ist im Prestel Verlag ein umfassender, reich bebilderter Katalog erschienen (32 Euro).

Veröffentlicht am: 28.12.2015

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