Julia Benkerts Roman-Debüt "Das Flüstern des Himmels"

Über Selbstbestimmung und Spiritualität

von Katrin Kaiser

Das Buchcover. Abb.: Knaur HC

Eigentlich ist Julia Benkert Autorin und Dokumentarfilmerin fürs Fernsehen. Ihr kürzlich erschienener Debütroman ist ein erfreuliches Nebenprodukt dieses Berufs: Ursprünglich plante Benkert einen Dokumentarfilm über die buddhistische Nonne und Sängerin Ani Choying Drolma. Dafür reiste sie 2010 nach Nepal, das zu dieser Zeit durch den blutigen Bürgerkrieg zwischen Royalisten und Maoisten zerrüttet war. Durch die Auseinandersetzung mit dem Land und seiner jüngsten Geschichte, von der man in Europa so wenig weiß, entstand die Idee zu "Das Flüstern des Himmels".

Benkert beschäftigt sich intensiv mit der männlichen Gewalt, die das Land dominierte. "Frauen lebten dort wie Sklavinnen", sagt die Autorin. Nur in der maoistischen Armee und im Kloster würden Frauen respektiert und hätten die Möglichkeit, für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen.

Die Protagonistin ihres Romans heißt Daya und ist eine ziemlich emanzipierte, singende Nonne wie Ani Choying Drolma. Obgleich Daya als Tochter eines Schamanen aufwuchs, landet sie durch die Schrecken des Bürgerkriegs als junges Mädchen in einem buddhistischen Kloster und verinnerlicht die Prinzipien dieser Religion. Als einzige Nonne lernt sie vom Meister des Klosters den spirituellen "Gesang der Himmelstänzerinnen", der traditionell Männern vorbehalten ist. Durch diesen Gesang wird sie schließlich von einem Musikproduzenten aus London entdeckt und auf eine Konzerttournee durch Europa eingeladen. Das Geld, das sie durch ihren Gesang verdient, sichert nach dem Niedergang des Klosters ihr Überleben und erlaubt ihr, in Kathmandu ein Waisenhaus zu eröffnen. Für vom Bürgerkrieg traumatisierte Mädchen schafft sie so eine Insel des Idealismus und der Menschlichkeit.

Man merkt dem Roman an, wie intensiv sich die Autorin mit dem Land und seiner Bevölkerung beschäftigt hat. An vielen Stellen wird ein spirituelles Grundgefühl unmittelbar spürbar, ohne jedoch für einen westlichen Leser zu stark in den Vordergrund zu treten.

Die Romanheldin ist keine Märtyrerin, die über Zweifel und Sehnsüchte erhaben ist. Ihre Erfolgsgeschichte als Nonne und Sängerin bildet vielmehr den Rahmen für viele andere Geschichten: Da ist Dayas verzweifelte Suche nach ihrer verschollenen Zwillingsschwester Leela, und da ist ihre zarte und zugleich verbotene Liebe zu dem deutschen Botschaftersohn Frederik, der wiederum verzweifelt nach seinem verschollenen Vater sucht. Da ist das Trauma des Massakers, das im Bürgerkrieg an ihrer Familie verübt wurde, und da ist Ihre Zerrissenheit zwischen den religiösen Grundsätzen des Buddhismus und ihrem Kampf um ein selbstbestimmtes weltliches Leben als Frau.

Benkert ist in "Das Flüstern des Himmels" ein unaufdringlich-kraftvolles Manifest für Menschlichkeit und Frieden gelungen. Am Ende dieses tiefgründigen Bildungs-, Liebes- und Abenteuerromans verdichtet sich die Handlung zu der Erkenntnis, dass Wahrheit nie absolut sein kann, sondern sich in einer Vielzahl verschiedener und gleichermaßen berechtigter Perspektiven auf die Welt manifestiert - eine versöhnliche Botschaft für ein Land, in dem die Wunden des Bürgerkriegs nur langsam heilen.

Julia Benkert: Das Flüstern des Himmels, Droemer Knaur, 336 Seiten, 19.99 Euro (E-Book 17.99)

Veröffentlicht am: 14.12.2015

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