Zu Jojo Moyes' Roman "Ein ganz neues Leben"

Die Unsentimentale

von Katrin Kaiser

Jojo Moyes' Bücher sind in vielen Aspekten klassische Frauenromane: Ihre Heldinnen sind immer weiblich und stecken in schwierigen Lebenssituationen, oft geht es dabei um Liebe und Selbstverwirklichung. Im Detail sind die Geschichten jedoch so vielschichtig, dass man die genretypischen Grundbausteine und ein paar kleine Klischees überhaupt nicht mehr wahrnimmt. Jetzt ist "Ein ganz neues Leben" erschienen, die Fortsetzung von Moyes' Bestseller "Ein ganzes halbes Jahr".

Insgesamt zwölf Romane hat die englische Schriftstellerin und Journalistin bereits geschrieben. Durch "Ein ganzes halbes Jahr" wurde sie 2012 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der Roman erzählt auf einzigartige Weise die Geschichte einer jungen Frau, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz in einen vom Hals abwärts gelähmten Mann verliebt, der am liebsten sterben möchte. In Erzählstil und Figurenentwicklung stecken dabei so viel Plausibilität, Tiefe, Wahrheit und Lebensweisheit, dass man als Leser schnell vergisst, dass die Grundelemente der Geschichte unbestreitbar ein wenig klischeehaft sind. Und so ist "Ein ganzes halbes Jahr" eben nicht nur ein sehr gut verkauftes, sondern vor allem ein sehr gutes Buch.

Und nun hat Jojo Moyes eine Fortsetzung geschrieben. Aufgrund der vielen Anfragen von ihren Lesern habe sie sich schließlich dazu entschlossen, schreibt die Autorin.

Ist die Protagonistin Lou am Anfang von "Ein ganzes halbes Jahr" eine junge Frau, die nicht allzu viel erwartet und mit ihrem kleinstädtischen Leben, mit der viel zu großen Familie in einem viel zu kleinen Haus und ihrem übertrieben sportbegeisterten Freund ganz zufrieden ist, so ist sie zu Beginn von "Ein ganz neues Leben" eine von den Ereignissen der Vergangenheit Gezeichnete, eine einsam Trauernde in der Großstadt, die weiß, dass alles, was sie momentan tut, eigentlich nicht das Richtige für sie ist.

Explizit oder implizit ist Will, der Geliebte aus "Ein ganzes halbes Jahr" auf jeder Seite des neuen Romans präsent. Jojo Moyes nähert sich dem Trauma des Verlusts eines geliebten Menschen auf realistisch-intensive und nie melodramatische Weise. Was dabei, wie auch schon in "Ein ganzes halbes Jahr" gut funktioniert, ist, dass die Erzählstimme des Romans die der Protagonistin selbst ist - eine junge Frau aus dem englischen Arbeitermilieu, auf ihre Weise intelligent und kreativ, aber eben auch bodenständig und pragmatisch genug, um sich nicht in Sentimentalität zu verlieren. Gerade das Fehlen von jeglicher Sentimentalität und die richtige Dosis Galgenhumor lassen den Leser Lous tiefen Schmerz so unmittelbar nachempfinden.

Die Handlung von "Ein ganz neues Leben" ist nicht so aus einem Guss wie die des genialen Vorgängerromans. Am Ende jedoch sind die Kuriositäten, mit denen Moyes den Plot an manchen Stellen vorantreibt, nur äußeres Beiwerk des inneren Konfliktes, um den es hier geht: Lou ist gefangen in einem schrecklichen Dilemma. Durch die Zeit mit Will hat sie sich so sehr verändert, dass sie nicht mehr zurück kann in ihr altes Leben; gleichzeitig mag es ihr nicht so recht gelingen, ihren Platz in der Welt ohne den geliebten, inspirierenden Will zu finden. Und bei allem, was sie tut, schmerzt sie das Bewusstsein, nicht das selbstbestimmte, erfüllende Leben zu führen, das sich Will für sie gewünscht hätte. Der Mythos vom schweren Schicksalsschlag als Chance für das eigene Leben scheint am Anfang der Geschichte tatsächlich nur ein haltloser Mythos zu sein. Als Leser möchte man die Protagonistin an manchen Stellen am liebsten vehement dazu auffordern, endlich etwas zu unternehmen, das ihrem Leben eine neue Richtung gibt. Meistens jedoch versteht man intuitiv, warum das nicht funktioniert - und man möchte die einsam vor sich hinkämpfende, pflichtbewusste Lou am liebsten in den Arm nehmen und ihr zuflüstern, dass sie wirklich nicht alles auf einmal schaffen muss.

Gelungene Fortsetzung eines Bestsellers: Ein ganz neues Leben. Cover: Rowohlt / Wunderlich

Erst ganz am Ende wird deutlich, dass sie es eben doch geschafft hat. Zwischen all den Rückschlägen, Verzweiflungstaten und Unsicherheiten hat die junge Frau kaum merklich eine enorme Entwicklung durchlaufen, die sie am Ende befähigt, ihre Chancen zu nutzen.

Ein genretypisch versöhnliches Ende also. Das Schöne bei Jojo Moyes ist jedoch, dass solche sympathischen Entwicklungen und überraschenden Wendungen subtil und organisch aus der Handlung heraus entstehen - und so lässt man sich auch als erfahrener Leser immer wieder gerne darauf ein.

Jojo Moyes: Ein ganz neues Leben, Rowohlt/ Wunderlich, 524 Seiten, 19,95 Euro (E-Book 16,99 Euro)

Am Donnerstag, 19. November 2015, liest die Autorin im Rahmen der Münchner Bücherschau in der Black Box im Gasteig.

 

Veröffentlicht am: 17.11.2015

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