Das Internationale Fellowship Programm Büchsenhausen in Innsbruck

Denn Kunst und Theorie gehören zusammen

von kulturvollzug

Widerstand und Amnesie#2, Kunstpavillon, 2015. Raja´a Khalid, Annlisa Cannito, Emma Wolukau-Wanambwa (v.l.n.r.)

Ein Schloss aus dem beginnenden 16. Jahrhundert in beherrschender Hanglage. Eine handverlesene Auswahl internationaler Künstler, die recherchezentriert arbeitet. Ein engagierter Leiter, der in der Kunsttheorie zu Hause ist und zum kritischen Diskurs rund um die eingeladenen Positionen lädt. Und schließlich eine jährlich stattfindende Gruppenausstellung, die sich aus am Ort und eigens für den Ort des Tiroler Kunstpavillons geschaffenen Arbeiten zusammensetzt.Dies sind die Zutaten des internationalenFellowship-Programms für Kunst und Theorie in Innsbruck, Tirol, Österreich. Ein Blick auf ein bemerkenswertes Projekt. 

Getragen von der Tiroler Künstlerschaft, gefördert von der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung, dem Bundeskanzleramt Kunstsektion und dem Kulturamt der Stadt Innsbruck beweist diese Initiative seit 2003, dass Dichotomien von ‘lokal’ und ‘global’ in der künstlerischen Praxis der Recherche und Arbeit mit Archiven organisch zueinander finden und sich gegenseitig ergänzen. Sechs in Tirol ansässige Künstler und vier internationale Stipendiaten teilen sich das Atelierhaus in Büchsenhausen. Der Kurator Andrei Siclodi war an der programmatischen Ausrichtung entscheidend beteiligt; er hat das Programm als sich stetig erweiterndes Netzwerk aufgebaut und leitet es seit Beginn. Jeder neue Stipendiatenjahrgang bringt aktuelle, internationale Positionen nach Innsbruck. Nicht nur bildende Künstler sind als Teilnehmer erwünscht. Das Programm ruft auch ausdrücklich Kritiker, Kuratoren und Theoretiker auf, Arbeitsvorhaben für das sechsmonatige Stipendium einzureichen. Erwünscht ist es jedoch auch hier, einen visuellen Beitrag zu realisieren, etwas “Ausstellbares”, dass kuratorische und künstlerische Recherche öffentlich nachvollziehbar macht. Der Herausforderung der Öffentlichkeit stellen sich die Stipendiaten gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes: Präsentationen bereits verwirklichter sowie geplanter Projekte werden im historischen Seminarraum in einem kontrastierenden, künstlerischen Dekorum, das Atelier Van Lieshout gestaltete, zur kritischen Diskussion gestellt.

Einreichungen für den jeweils nächsten Stipendiatenjahrgang können zwischen November und Januar postalisch übermittelt werden. (Einsendeschluss für 2016/17 ist der 31. Jänner 2016.) Aus den rund 250 eingesandten Portfolios wählt eine international besetzte Jury Projekte aus, lädt die Kandidaten zum persönlichen Gespräch und ernennt schließlich vier Fellows.

Bei der Auswahl der Teilnehmer denkt man in Büchsenhausen bewusst über euro- und amerikanozentristische Gesellschaftsmodelle hinaus: Im aktuellen Jahrgang 2014/15 sind es zwei Fellows der arabischen Welt, Raja'a Khalid aus Dubai und der Palästinenser Bisan Abu-Eisheh, die gemeinsam mit der in London lebenden Emma Wolukau-Wanambwa und der Italienerin Annalisa Cannito zur globalen Rezeption der europäischen Moderne forschen.

Aus Sicht der Unterdrückten offenbaren sich exotische Paradiese oftmals als gewaltvolle Einschreibung kolonialer Machtverhältnisse in Flora und Fauna. Tropische «Natur» ist Teil einer politisch-ökonomischen Appropriationsstrategie, die von der Einfuhr nach Europa und versuchsweisen Kultivierung einzelner Nutzpflanzen wie Kaffee oder Tee bis hin zu faschistisch-oppressiver Agrarpolitik reicht. Die 1891 gegründete „Botanische Zentralstelle für die Deutschen Kolonien“ in Berlin, recherchiert Raja'a Khalid anlässlich ihrer Arbeit “Useful Tropical Plants” (2015), wurde 1918 geschlossen, aber 1941-43 von den Nationalsozialisten wiedereröffnet. Knapp zuvor, 1935-36, führt auch das faschistische Italien den Abessinienkrieg. Bisher wenig erforschte Elemente der italienischen Kolonialpolitik unter Mussolini nimmt Annalisa Cannito zum Anlass einer epistemologisch differenziellen Historiographie von Siegern und Besiegten: Rodolfo Graziani, Kriegsheld der faschistischen italienischen Armee in Libyen und Äthiopien, wird seinem libyischen Gegenspieler, dem Widerstandskämpfer in einer Doppelprojektion gegenübergestellt. Geschichtsschreibung ist voller Ambivalenz. Kanonisch erscheint sie nur aus hegemonialer Perspektive, wenn man sämtliche alternativen Narrative ausschließt.

Widerstand und Amnesie#2, Kunstpavillon, 2015. Arbeiten von Emma Wolkau-Wanambwa, Raja´a Khalid (v.l.n.r). Foto: West.Fotostudio, Tiroler Künstlerschaft

Parallele Geschichtsschreibung ist das Thema der abschließenden Ausstellung der diesjährigen Stipendiaten, “Widerstand und Amnesie – Über gescheiterte Utopien, lebendige Mythen und Kolonialität heute”, die A. Siclodi im Innsbrucker Kunstpavillon kuratiert. In dieser formal reduzierten, jedoch konzeptuell dichten Präsentation achtet er darauf, die gesellschaftlich etablierten " Allegorien der Ungleichheit" (Jacques Rancière) mit ästhetischen Mitteln außer Kraft zu setzen. Gleich auf dem Vorplatz des Pavillons ertönt der eindringliche Sprechgesang “My Comrade, My Love” (2015). Bisan Abu-Eisheh hat in Kollaboration mit dem Musiker Kamil Szlachta Briefe seines 1981 inhaftierten palästinensischen Vater vertont. Als Marxist in den israelisch besetzten Gebieten nimmt der Vater eine doppelte Außenseiterrolle ein, die ihn im öffentlichen Raum unhörbar macht. Erst dreißig Jahre später kann sein Sohn, der Künstler, dieser sehr innigen Korrespondenz, anlässlich eines Workshops in Büchsenhausen erstmals öffentlich Gehör verschaffen. Drei Monate lang erklingt die so lange unterdrückte Stimme des Vaters im Stadtraum vor der Ausstellung.

Mit den Grenzen des sprachlich Mitteilbaren befasst sich die konzeptuell ausgefeilte Arbeit “Promised Lands” (2015) von Emma Wolukau-Wanambwa. Im Spannungsfeld zwischen "Natur und Kultur" angesiedelt, untersucht das Video den Diskurs der rationalen, westlichen Moderne, die sprachliche Modelle als realitätsstiftend voraussetzt und die Pertinenz anderer Sinne der kognitiven Dimension unterordnet. "Frontiers are aleatory. The land does not know, or at least, the land does not care. Words kill", stellt die auktoriale Off-Stimme zu Beginn des Videos fest. Nach und nach identifiziert sie sich mit der Künstlerin, wird persönlicher und subjektiv; der essayistische Inhalt ist zunehmend autobiographisch gefärbt und endet in einem Bericht über eine in Innsbruck erlebte Begegnung mit somalischen Flüchtlingen in Polizeigewahrsam. “I merely observe" sagt die irrtümlich selbst für einen Flüchtling gehaltene Künstlerin den Tiroler Gendarmen, und schließt damit den thematischen Bogen der Arbeit: Beobachten als äußerste, sinnliche Herausforderung. Der Sehsinn ist es, der visuelle Reize empfängt. Erst danach werden diese kognitiv verarbeitet. Sehen kommt vor verstehen. Manchmal ist dieser Mechanismus jedoch unterbrochen - etwa durch ein Schockerlebnis, das man zwar wahrnimmt, jedoch nicht begreifen kann. Oder angesichts der schier zu großen Schönheit der Natur, auf die man vergeblich die Kamera richtet, um ihr beizukommen. Was unsere Sinne so in Aufruhr versetzt, ist die Erfahrung der Begrenztheit des Ich.

Emma Wolukau-Wanambwa macht sich Autoren und Referenzen der europäischen Moderne zunutze und deutet deren ethisch-philosophische Machtlosigkeit in der Begegnung mit dem Anderen als intellektuellen Ursprung des kolonialen Machtmissbrauchs. Wer willkürlich dort Grenzen zieht, wo Raum nach anderen, nicht-westlichen Kriterien bereits verhandelt und verteilt ist, ursurpiert. Wer Völker verpflanzt, generiert geopolitisch unhaltbare Oppositionen. "Let us call this place Eden...", zitiert das Video die berühmte Passage der Genesis, um dann zu kontern, "Utopia is a European invention". Sprache ist immer nur so machtvoll wie der Sprechende. Sie kann völlig vereinnahmt werden. Dass die europäische Moderne nicht mit der "Entdeckung" Amerikas, sondern mit der radikalen Eroberung und großflächigen Enteignung indigener amerindianischer Gebiete begann, kann dafür als paradigmatisches Beispiel gelten.

Marlène Rigler

Veröffentlicht am: 14.08.2015

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