Stephan Thomes Roman „Gegenspiel“

Perspektivenwechsel

von Katrin Kaiser

In seinem dritten Roman erzählt Stephan Thome die Geschichte einer Frau zwischen der katholischen Strenge ihres Heimatlandes Portugal, der Unverbindlichkeit Berlins und der erdrückenden Enge der mitteldeutschen Provinz. Schilderte Thomes letztes Buch "Fliehkräfte" die Geschichte des Philosophie-Professors Hartmut, so geht es in "Gegenspiel" nun um den Werdegang seiner Frau Maria. Ein überzeugend realistischer Roman voller Sehnsüchte und Rückschläge.

Thome beschreibt seine Protagonistin Maria als erlebnishungriges junges Mädchen im Bett mit einem Fotografen in Lissabon, als Studentin am Schreibtisch in einem zugigen West-Berliner Altbau, als depressive, überforderte junge Mutter in einem trostlosen Dorf in der Nähe von Dortmund, als nachdenkliche Frau mittleren Alters am Fenster ihres kleinen Büros in einem Berliner Off-Theater.

In unzähligen Zeit- und Ortssprüngen zeichnet Thome das Porträt einer intelligenten, lebenshungrigen und nicht immer starken Frau. Immer wieder versucht Maria, neben den Männern in ihrem Leben ihren eigenen Vorstellungen treu zu bleiben. In den 1970er Jahren zieht sie von Lissabon nach West-Berlin, um Theaterwissenschaft zu studieren. Sie gibt ein aus ihrer Sicht langweiliges und bigottes Leben in Portugal auf, verlässt ihren bodenständigen portugiesischen Freund, der keine ihrer Sehnsüchte teilt und kommt in Berlin mit dem Theaterautor und Regisseur Falk zusammen. Dessen Launen erträgt sie, bis sie den Philosophie-Habilitanten Hartmut kennen lernt. Als Maria schwanger wird, zieht sie zunächst nach Dortmund, wo Hartmut inzwischen an der Universität arbeitet, und später mit Hartmut und der kleinen Tochter Philippa nach Bonn.

Mit Ende Vierzig ist Maria immer noch mit Hartmut verheiratet. Seit einiger Zeit jedoch lebt sie nicht mehr mit ihrem Mann im Bonner Eigenheim, sondern arbeitet in Berlin am Theater ihres Jugendfreundes Falk. Mit Hartmut führt sie eine Wochenend-Beziehung. Wirklich glücklich mit der Situation ist keiner der beiden, nach einem schlimmen Streit bemühen sich jedoch beide um einen möglichst harmonischen Umgang miteinander. Maria spürt wieder einmal, dass ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen nicht mit denen des Mannes an ihrer Seite vereinbar sind – wie schon so oft in ihrem Leben.

Interessant ist, wie sich das Bild, das man als Leser von Maria hat, im Laufe der Lektüre wandelt. Erscheint sie im ersten Teil des Buches noch als starke, relativ selbstbestimmte Frau, die sich traut ihren Impulsen zu folgen und der es immer wieder gelingt, sich aus unerträglichen Situationen zu befreien, so beschreibt die zweite Hälfte des Buches Maria vermehrt als schwachen, zeitweise depressiven Menschen, als Opfer der Umstände.

Des Ehedramas zweiter Teil: "Gegenspiel" ist das Gegenstück zu Thomes letztem Roman "Fliehkräfte". Abbildung: Suhrkamp Verlag

Zu Beginn des Buches versteht man vor allem, dass es Maria nicht leicht hat mit ihrem Ehemann, der ein paar Jahre vor der Pensionierung steht und überfordert ist von der plötzlichen Einsamkeit in Bonn und von Marias Entschluss, in Berlin zu leben. Im zweiten Teil dagegen spürt man vermehrt, dass es auch Hartmut in den zwanzig Jahren ihrer Ehe nicht immer leicht hatte mit Maria, als junger Vater, der seine Familie mit Lehraufträgen im gesamten Ruhrgebiet alleine durchbringen musste, mit einer Frau, die nach ihrer Kindbett-Depression nur schwer den Boden unter den Füßen wiederfand und mit dem Leben in Bonn nie wirklich zufrieden war. „Er hatte den größeren Einsatz geleistet und sie den höheren Preis bezahlt.“

Stephan Thomes Fähigkeit, banale alltägliche Sachverhalte in wenigen, klaren Worten auf den Punkt zu bringen, kommt in "Gegenspiel" vielleicht noch deutlicher zum Tragen als in "Fliehkräfte". Ebenso beeindruckend ist hier sein Talent, in kurzen, realistischen Szenen, die ganze Tragik einer Beziehung und die ganze Widersprüchlichkeit im Inneren eines Menschen aufzuzeigen.

"Gegenspiel" ist das treffende Charakterbild einer Frau, die zwar genug an eigenen Vorstellungen und Fähigkeiten besitzt, um nicht als Hausfrau und Mutter im Schatten eines Mannes stehen zu müssen, aber genau deshalb umso mehr unter den Abhängigkeiten des bürgerlichen Familienlebens leidet – und ein modernes Ehedrama, das trotz aller Krisen und depressiven Verstimmungen immer Hoffnung zulässt.

Stephan Thome: "Gegenspiel", Suhrkamp, 464 Seiten, 22,95 Euro

 

Veröffentlicht am: 02.02.2015

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