Peter Eötvös bei "musica viva" im Herkulessaal der Residenz

Als sei im Februar der Frühling ausgebrochen

von Alexander Strauch

Der Komponist und Dirigent Péter Eötvös. Foto: Istvan Huszti / Wikipedia

Ein Wochenende mit großen Werken und großen Namen bei "musica viva" im Herkulessaal der Residenz. Der ungarische Komponist Péter Eötvös, dessen komisch-utopische Oper, „Die Tragödie des Teufels“  2010 an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt wurde, dirigierte zwei eigene Violinkonzerte, „Seven“ und „DoReMi“, Helmut Lachenmanns „Zwei Gefühle“ und Wolfgang Rihms „In-Schrift 2“

Mitte der Neunziger Jahre konnte man unter Freaks sagen, wer Wolfgang Rihms „In-Schrift“ (1995) nicht kenne, kenne eines seiner besten Stücke nicht. Nicht so wild wie Tutuguri, überschaubar in der Länge, dennoch treibend, zerfahren, leicht daneben, eben ein richtiger, sehr guter Rihm. Nun hat er dem „In-Schrift 2“ (2013) hinzugefügt. Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, mit etlichen erfrischend jungen Gesichtern an den hinteren Streicherpulten seiner Orchesterakademie, die den älteren Semestern der Stammmusiker damit wohl einen Neue-Musik-freien Samstagabend bescherten, dieses also gleichsam hybride Ensemble eröffnete bestens aufgelegt den Klon von Nummer eins.

Nur wäre Rihm nicht Rihm, wenn es nicht doch ein anderes Stück geworden wäre. Selbst während der Probenarbeit soll er noch Teile umgestellt und uminstrumentiert haben. Mit im Raum verteilten Klarinetten fing das Stück an, als hätte er damit die badische Version eines Moog-Synthesizers gefunden: extrem zart, mit merkwürdig angenehmen Sekundballungen der tiefen Klarinettenregister, kehrte der Klangfaden auf das Orchesterpodium zurück, wurde von vier vorne postierten Holzbläsersolisten übernommen, in den restlichen Klangkörper hineingetragen, pulsierte bald im Schlagzeug. Er legte sich über einen mit tiefen Flöten, hohen Celli und tiefster Bassklarinette eigentümlich gefärbten Meta-Bass, ballte sich zu einen Höhepunktsknäuel und verebbte wieder zu den Klarinetten des Anfangs. Irgendwie magisch, doch viel zu schön.

Formidabler Mittelpunkt war die souveräne Leitung des Dirigenten Péter Eötvös. Als Komponist steuerte er sein Violinkonzert Nr. 2 „DoReMi“ (2012) und „Seven – Memorial for the Columbia Astronauts“ für Violine und Orchester (2006, rev. 2007) bei. Beide Werke rückten die Geigen-Solistin Patricia Kopatchinskaja in den Mittelpunkt. In zweifacher Hinsicht war sie ein Traum! Zuerst machte ihr weiß-beiges Kostüm mit zartroten Stickereien mächtig Eindruck. Der Mund stand einem dann schier offen, als sie in den beiden Eötvös-Werken durch die Tiefen und Höhen ihres Instruments jagte. Der Komponist hatte ihr zwei Stücke in der Nachfolge von Ravels „Tzigane“ bereitet. Das Violinonzert wirbelte die Buchstaben der Tonhöhen seines Titels durch die Luft, behexte mit ungemein virtuosen Durchläufen und riskierte in der Mitte eine klassische Repris.

Im besten Sinne traditionell zudem der Solopart, welcher eher an Alban Bergs Herausforderungen als John Cages ultimative Freeman-Etöden erinnerte. Die verzaubernsten Momente waren unerwartete Variationen von fallenden Linien, die das Orchester und Patricia Kopatchinskaja in ihren Spektralitäten und Flageoletts sowie kurzen Anflügen zackiger Rhythmen fröhlich zirpen ließen, als sei im Februar der Frühling ausgebrochen. Was im Violinkonzert juchzte, war in „Seven“ ein elegischer Satz weiterer im Raum verteilter Violinsolistinnen. Als Konzertabschluss entließ es das Publikum mit einem an Strawinsky erinnernden Duo zwischen Geige und Altflöte.

Höhepunkt war davor der Auftritt Helmut Lachenmanns als Sprecher in seinem Stück „… Zwei Gefühle …“ Musik mit Leonardo für Sprecher und Ensemble 
(1992). Er gab sich die Ehre, seine auf explosive Konsonanten getrimmte Variante des Textes von Leonardo da Vinci in deutscher Übersetzung vorzutragen. Darin geht es um so etwas wie den Beginn der neuzeitlichen empirischen Naturwissenschaft: Zuerst hat Leonardo Angst, sich der Lava des Strombolivulkans zu nähern und kann aber dann doch seiner forschenden Neugier nicht widerstehen. Dies interpretierten Lachenmann, das auf ein Kammerensemble reduzierte Orchester und der Dirigent Eötvös luzide. Konventionelle und erweiterte, für Lachenmann typische Spieltechniken griffen wunderbar ineinander, zeigten die graduellen Abstufungen von dissonanten Harmonien in fast schon als konsonant zu bezeichnende Geräusche.

Und da liegt auch das Problem des Meisterwerks: Gab es früher regelmäßig Eklats um die neuen Spieltechniken des Komponisten, reihten sie sich hier als Rausch der Stille in den Rausch der praktischen Virtuosität Eötvös' und Rihms romantischer Orchestrierungsdelikatessen nahtlos ein. Allesamt wunderschön, und doch wehmütig alt, wie die Meister selbst.

Veröffentlicht am: 11.02.2014

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