Zu "Decolonize München" im Stadtmuseum

Bayern mit schwarzer Haut - und die Frage, wie viel "Bemerkung" normal ist

von Karl Stankiewitz

Der in München geborene Schauspieler und CDU-Politiker Charles M. Huber ist Mitglied des Bundestags. Foto: Büro Huber

Viele kennen sie als Fernsehmoderatoren oder Sportler, besser als Musiker, Entertainer oder Sänger. Weniger bekannt sind sie etwa als Journalisten, vorzugsweise bei der Deutschen Welle, als Ingenieure, Manager, Ärzte, Wissenschaftler, Schriftsteller oder hohe Staatsdiener: die Staatsbürger mit afrikanischen Wurzeln, die schwarzen Deutschen, die deutschen Schwarzen, die hier geborenen oder zugewanderten Afro-Deutschen. Ein allgemein geläufiger oder gar offizieller Sammelbegriff hat sich noch nicht eingestellt. Dabei sind diese Alt- und Neubürger, soweit nötig, Adressaten zahlreicher Ämter, Vereine, Hilfsorganisationen, Freundeskreise. Über eine Ausstellung im Stadtmuseum kann man sich dem Thema nähern.

Zwei Menschen mit dieser Geschichte sitzen im Bundestag: der 1953 in München geborene Schauspieler Karl-Heinz („Charles“) Huber (CDU) und der gebürtige Senegalese Karamba Diaby (SPD) aus Halewsle, der Schrebergärten liebt und sich für Integration einsetzt.

Sie blieben zwar eine Miniminderheit in der Gesellschaft, finden neuerdings aber erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit. Im einstigen Schmelztiegel München, der Menschen aus aller Welt integriert hat, sind Geschichte, Kultur, soziales Umfeld dieser Mitbürger und deren viel zitierter Migrationshintergrund plötzlich Thema geworden. Der vierte „Panafrikanische Kongress München“ wurde im Oktober 2013 vom Kulturreferat gefördert. Die Volkshochschule hat ihr Winterprogramm unter das Motto „Aufbruch in Afrika“ gestellt. „Afrikanische Filmtage“ und die André-Heller-Show „Afrika! Afrika!“ begeistern ihr Publikum. Die Stadtbibliothek präsentiert einen Berg Literatur über den Nachbarkontinent. Und im Stadtmuseum läuft bis zum 23. Februar 2014 eine Ausstellung mit Kulturprogramm.

Der Titel „Decolonize München“ ist freilich etwas irreführend; denn es geht hier nicht nur um die derzeit diskutierte „Entkolonisierung“ von Straßennamen, sondern um die deutsche Kolonialgeschichte schlechthin, wobei es an überraschenden neuen Forschungsergebnissen nicht fehlt. Ein entsprechender Auftrag an einen bayerischen Wissenschaftler zerschlug sich.

Indes weist die Frühgeschichte der Schwarzen in Deutschland noch Forschungslücken auf. Eine Spurensuche muss sich, etwa in München, mit wenigen versteckten Quellen begnügen. Hat es hierzulande je schwarze Sklaven gegeben? Was hat es mit dem Mauricius-Kult des Mittelalters auf sich? Was weiß man über die „Mohren“, die sich manche Adelshäuser und Reiche als livrierte Diener hielten? Bekannt ist beispielsweise die Karriere des Wilhelm Amos, der es als „Geschenk“ seines holländischen Herren an einen deutschen Fürsten zum Professor für Rechtswissenschaften der Universität Halle brachte. Bekannt sind Mohren-Bildnisse auf den Wappen der Erzbischöfe von München und Freising sowie etlicher bayerischer Gemeinden, von Coburg bis Mittenwald.

Im 19. Jahrhundert wurden Männer, Frauen und Kinder ferner Länder, Exoten, „Wilde“ zur großen Attraktion im europäischen Vergnügungsgewerbe, zur Handelsware wie Zoo-Tiere. In sogenannten „Völkerschauen“ galten die „Neger“ - neben Indianern, Beduinen und Lappen, auch neben Liliputanern, Elefantendamen und anderen „Abnormitäten“ - als erste Wahl. 1886 traten auf dem Oktoberfest und im Nymphenburger Volksgarten die ersten „Zulu-Kaffern“ auf, ein Jahr später im Gärtnerplatztheater und andernorts eine „Buschmanntruppe“. Ab 1901 heuerte Münchens Schaustellerkönig Carl Gabriel von internationalen Agenturen laufend Menschen an, um „das Alltagsleben fremdartiger Volksstämme“ vorzuführen. Noch 1930 holte er „Lippen-Negerinnen vom Stamme der Sara-Kaba“ aus Zentralafrika auf die Theresienwiese. Im Deutschen Theater gehörten „Kolonialfeste“ noch bis 1939 zum Faschings-Höhepunkt.

Mit dem „Schutzvertrag“, den das Deutsche Reich 1884 mit Königen in Kamerun schloss (und mehrfach brach), und mit der Gründung weiterer Kolonien hatten die Beziehungen eine neue Qualität erreicht. Vertreibungen, Raub, Prügelexzesse, Vergewaltigungen waren in Ost- und Westafrika über 30 Jahre lang an der Tagesordnung. 1932 beschloss der Stadtrat von München wie in anderen Städten, die „Helden“ der (im Ersten Weltkrieg beendeten) Kolonialgeschichte, darunter Abenteurer und Ausbeuter, durch Straßennamen zu ehren. In Bogenhausen erschienen nun 25 Namen, beispielsweise Hermann von Wissmann, dessen Taktik der „verbrannten Erde“ sogar der Kaiser rügte. Den wenigen Schwarzafrikanern, die es inzwischen nach Deutschland verschlagen hatte, war die Weimarer Republik keine wahre Heimat. Die Neger nehmen uns die Arbeit weg, mussten sie hören. Immerhin waren sie als Musiker, Tänzer und Jazzsänger gefragt, wenngleich es die Polizei in München 1929 im Interesse der „öffentlichen Moral“ für nötig hielt, den Auftritt der „braunen Venus“ Josephine Baker im Deutschen Theater zu unterbinden. Das Wort „Neger“ war zwar noch  lange – auch in den Medien – gebräuchlich, wurde aber von den Betroffenen immer als diskriminierend empfunden.

Auch als die neuen Machthaber den alten Kolonien nachtrauerten, waren die schwarzen Landesbewohner – obwohl 1935 wie alle „Nichtarier“ ausgebürgert -  zeitweilig durchaus gefragt. Nämlich als Komparsen in Kolonial-Filmen. Der 1925 geborene Theodor Michael, dessen Vater vor 1914 aus Kamerun nach Berlin gekommen war, berichtet in seinem soeben erschienenen Buch „Deutsch sein und schwarz dazu“ (dtv), wie er 1940 zusammen mit vier anderen Afrikadeutschen nahe dem Kloster Schäftlarn mit Hans Albers für den Propagandastreifen „Carl Peters“ drehen durfte.  „Sie konnten uns nirgendwo einordnen“, beschreibt er seine damalige Lage. Als Hotelpage wurde er entlassen, weil er nicht Mitglied der Deutschen Arbeitsfront war. 1943 kam er ins Arbeitslager. Nach dem Krieg arbeitete Michael beim Bundesnachrichtendienst in Pullach, als Experte für Afrika.

„Es gab praktisch keine nennenswerte schwarze Bevölkerung in Deutschland,“ erinnert sich der 1929 in Hamburg geborene Journalist Hans J. Massaquoi, Enkel eines Königs der Vai in Nigeria. In seinem Buch „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ (Scherz Verlag) stellt er fest: „Im Gegensatz zu den Juden gab es so wenige Schwarze, dass die Nazis sie bei ihren Vernichtungsplänen als relativ unbedeutend einstuften.“ Doch auch im KZ Dachau gab es Schwarze. Der Gefangene Karl Bethmann, ein sogenannter „Rheinland-Bastard“ (Sohn eines französischen Kolonialsoldaten bei der Rheinland-Besetzung 1919), kam beim Bombenräumen in München ums Leben.

„Weil wir weder flüchten noch uns verstecken konnten“, haben sich die schwarzen Nichtvolksgenossen -  in ihrem Fremdenpass stand „Neger“ oder „dunkelhäutig“ - stets vorsichtig verhalten. Theodor Michael  wagte es nicht einmal, bei Rot über die Straße zu gehen. Massaqoi, später US-Fallschirmspringer in Korea, meldete sich sogar zur Wehrmacht, wurde aber abgewiesen: „Auf Solche sind wir nicht angewiesen, um den Krieg zu gewinnen.“

Nach dem doch nicht gewonnenen Krieg wurde eine neue Generation von Schwarzen geboren. Und schon tauchten die alten Probleme wieder auf. Um 1950 lebten in der amerikanischen Zone mindestens 40.000 „farbige Besatzungskinder“, wie man jetzt sagte, die meisten in bitterer Not. In München gründete Maja Angowski einen Hilfsverein, ging zu Behörden, verteilte Flugblätter. Selbst Mutter eines achtjährigen schwarzen Buben, klagte sie einer afro-amerikanischen Zeitschrift: „Die meisten Menschen stellen sich immer noch gegen diese Kinder. Sie finden sie nett, sie wollen über ihr Kraushaar streicheln und sie wundern sich dann, wenn sie deutsch reden.“ Über das Filmnegerlein „Toxi“ wurden Tränen vergossen in deutschen Kinos.

Kaum hatten sich die Besatzungskinder, soweit sie nicht auswanderten, als Erwachsene integriert, kam eine neue Gruppe von Schwarzen: Studenten. Paul Mayonga, geboren in Kongo-Brazzaville, promovierte an der Universität München, heute Sprecher des 2004 gegründeten Afrikanischen Ältestenrates in München, spricht von der „ersten Generation“ der heute registrierten Schwarzafrikaner. Ihre Zahl ist in München inzwischen, durch Zuwanderung von Studenten, Praktikanten und anderen, auf etwa 11.000 gewachsen (ohne Asylbewerber). Nur 20 bis 30 davon haben die deutsche Staatsbürgerschaft; sie feiern ihren Gottesdienst in verschiedenen Sprachen.

Der Ältestenrat engagiert sich für Integration und gegen Rassismus. Die 46 Vereinsmitglieder, darunter auch Weiße, bemühen sich in Altersheimen ebenso wie in Kindergärten um schwarze Mitbürger. Viele fühlten sich isoliert, gesellschaftlich ausgegrenzt, sagt Mayonga, der es selbst zum Marketingmanager bei BMW gebracht hat. Manchmal haben sie auch Grund, sich bedroht zu fühlen. 26 der 180 Deutschen mit Migrationshintergrund, die seit 1990 in Deutschland ermordet wurden, waren dunkelhäutige Menschen. In Berlin treibt ein Ableger des amerikanischen Ku-Klux-Clan sein Unwesen.

„München ist eine Weltstadt mit kosmopolitischem Gesellschaftsprofil. Wir werden uns mit bürgerschaftlichen Engagement gegen jeden Extremismus und Rassismus stemmen,“ sagt Mayonga. Kürzlich musste er erleben, dass ein Freund von Jugendlichen auf offener Straße ohne Anlass verprügelt wurde; die Polizei habe dann zuerst vom Opfer und nicht etwa von den Tätern den Ausweis verlangt. Wenn die Fremdenfeindlichkeit zunehmen sollte, dann wäre besonders die (unschwer erkennbare) schwarze Bevölkerungsgruppe betroffen, befürchtet der Vater von drei erwachsenen Kindern, die er und seine spanische Frau dennoch stets ermahnt haben, nicht jede spöttische Bemerkung als Rassismus zu deuten.

Auch der Taxi-Unternehmer Cisse Thiendou aus dem Senegal, der einmal in einem bayerischen Trachtenverein aufgetreten war und im Bayerischen Fernsehen eine ständige Sportsendung moderiert, nimmt derlei Anfechtungen gelassen hin: „Eine gewisse Ablehnung des Fremden ist doch ganz normal.“ Sollte aber nicht sein.

Von Karl Stankiewitz ist im Dezember 2013 erschienen "Rebellen Reformer Regenten", erschienen im Gerhard Hess Verlag (19,90 Euro).

Die Ausstellung "Decolonize München" im Stadtmuseum ist zu sehen bis zum 23.2. 2014. Im Rahmen der Ausstellung stellt sich auch der Verein „Schwarze Menschen in Deutschland“ vor. Die Münchner Rathausumschau gibt dazu folgenden Hinweis: "Im Begleitprogramm zur Ausstellung Decolonize München stellen Sharon Dodua Otoo, Tahir Della und Jonas Berhe am Sonntag, 2. Februar 2014, um 11 Uhr im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, die Initiative „Schwarze Menschen in Deutschland e.V. (ISD)“ vor. Die ISD vertritt die Interessen von schwarzen Menschen in Gesellschaft und Politik. Sie versteht sich nicht als alleiniger Vertreter schwarzer Menschen in Deutschland, sondern sieht sich vielmehr als Teil der schwarzen Community. Seit mittlerweile über 25 Jahren setzt sich der Verein dafür ein, schwarze Menschen zu ermächtigen, das Potenzial ihrer unterschiedlichen Herkünfte und Lebensbezüge zur Selbstverwirklichung zu nutzen und sich selbstbestimmt in der Gesellschaft zu positionieren. Der Museumseintritt kostet 7 Euro, ermäßigt 3,50 Euro. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist frei."

Zu dem Thema hat Karl Stankiewitz im Kulturvollzug bereits im Dezember 2013 einen Text veröffentlicht.

Veröffentlicht am: 29.01.2014

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Peter Stangel
30.01.2014 15:47 Uhr

Ja! Wichtig, richtig und gut!

Einen einzige Einspruch habe ich aber gegen den letzten Satz: "Sollte aber nicht sein". Das ist die politisch korrekte Ansage auf die praktisch-faktische Tatsachenfeststellung eines Betroffenen: „Eine gewisse Ablehnung des Fremden ist doch ganz normal.“

Nicht der, der keine Angst hat, ist mutig. Mut bedeutet, seine Angst zu überwinden. Ein bestimmtes Maß an Fremdenfurcht ist uns wohl eingeboren. Es durch Prägung und Kultur zu überwinden ist die Aufgabe, aber um darin erfolgreich zu sein, gehört dazu, zu akzeptierten, dass es sie zunächst einmal gibt. Auch wenn uns das nicht gefällt.

Oder kürzer gefasst: "Die Wirklichkeit hat immer recht". Das muss der Ausgangspunkt sein, um sie zu verändern.

Peter Stangel