Ugo Dossi eröffnet bei Murnau sein Atelierhaus

Neues Gefäß für einen großen Geist

von Michael Wüst

Das neue Domizil. Foto: Ugo Dossi

Mit Ugo Dossi hat einmal mehr ein international bekannter Künstler die Landeshauptstadt München verlassen. Nicht mit unbekanntem Ziel. Am Samstag (9. 11. 2013) eröffnete der Hausherr mit „Weltmodelle  –  Sinnliches + Übersinnliches“ an neuer Adresse. Hinter „Atelier Ugo Dossi“, Neu Egling 3, verbirgt sich ein einzeln stehendes, umgebautes Gewerbehaus nebst kleinem „Austraghaus“. Es ist oberhalb des Riegsees gelegen, nahe der Malerstadt Murnau mit drei Ausstellungsräumen, Werkstätte, Seminarraum und Wohnung.

1996 war Ugo Dossi von der Praterinsel gekommen, hatte im damaligen Kunstpark Ost sein Atelier bezogen und blieb auch in den Jahren des Nachfolgers Kultfabrik bis heuer im Sommer, alles zusammen 17 Jahre. 2003, zu Beginn der Ära Kultfabrik, war er der Initiator der Kunsthalle whiteBOX. Das neue Domizil, nun am Riegsee, soll aber mehr sein als ein Atelier. Workshops, etwa zum Thema Freisetzung unbewusster Kreativität werden angeboten werden, andere Künstler und Künstlergruppen werden sich dort präsentieren, performen und: Gastlichkeit wird großgeschrieben.  – Alles in allem ein sehr geeigneter Ort für einen Neustart des mehrfachen Documenta- und Biennale-Venedig-Teilnehmers im schönen Werdenfelser Land.

Die 22 Arkana des Tarot. Foto: Michael Wüst

„2nd Life“, die 22 großen Arkana des Tarot , die Dossi letztes Jahr auf der Dokumenta 13 gezeigt hatte, konfrontieren den Besucher beim Eintreten an der gegenüberliegenden großen Wand seiner ersten Ausstellung. In mehreren Schichten, halbtransparent übereinandergelegt, repräsentieren sie ein immer wiederkehrendes Prinzip, dessen sich der Künstler bedient, besser gesagt, das er aufsucht, das er geradezu beschwört: die Welt hinter ihrer Erscheinung. In Vermutung, Meditation, Anrufung. Als Zeugen der Transfigurationen fungieren Symbole der Alchemie wie Lithurgiegefäße. Ouroborus, der sich selbst verzehrende Drache eines alles auf Anfang stellenden Omegas, liegende Achten der Unendlichkeit,  Abgründe, Strudel, Abyss und Vortex genannt. Figuren einer Peinture Automatique. So die immer wieder auftauchende Figur des Weltenstürzenden, entstanden in einer Trance-Zeichnung, mit den alles zu umfangen scheinenden Armen des Gekreuzigten. Wie befreit, herausgehoben aus einem Visier Golgatha, Mittelpunkt des Universums im Kruzifix. Erlöst, ein erlösender Flug hinab in den Strudel kosmischer Regeneration. Wiedersturz als Entsprechung zur Auferstehung. Ein Christus, einer wie Christus. Die Karte, dessen Protagonist dieser Messias, Gott, Soter ist, trägt die Zahl 20 und bedeutet Gericht und Erlösung, also Wandlung und Transfiguration.

Dossi jongliert Archetypen, Zeichen, Symbole. Er interpretiert, reinigt und refiguriert das oft gnostisch alchemistische Material und provoziert in neuen Begegnungen eine veränderte Textur. Er ist, könnte man sagen, so etwas wie ein sprachlicher Maler. Taschenspieler und Gottsuchender. Ein Schmuggler vielleicht.

Das Gold der Mystiker, die Prima Materia ist weder Inhalt, noch Gefäß, sie ist beides, Continuum und Contentum. Sie ist nicht umzuschütten, sie kann nicht ausgeschenkt werden und sie kann auch nicht abgefüllt werden. Weil sie nicht in der Welt der Erscheinung ist. Dennoch hinterlässt sie in dieser Welt Spuren, Abdrücke. Für diese „Negativformen“ scheint Ugo Dossi immer wieder das Geeignete zu finden, in Sichtbarkeit zu gießen, Wahrnehmung zu geben. Mittels eines Geeigneten, das aber nicht in der Welt der Erscheinung ist.

"Nefer", die Vollkommenheit. Foto: Michael Wüst

Wie sagt der große Kirchenvater Augustinus in den Confessiones im 3. Kapitel? “…Oder bedarfst du keines Gefäßes, das dich als Ganzes enthält, der du alles fasst? Denn alle Gefäße, die du erfüllst, erfüllst du, indem du sie zusammenhältst. Denn nicht die Gefäße, die dich beschließen, geben dir feste Selbständigkeit; denn wenn sie auch zerbrochen würden, wirst du doch nicht ausgeschüttet.“

Der Autor war Organisator der whiteBOX in der Kultfabrik.

Veröffentlicht am: 14.11.2013

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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