Jahresausstellung 2013 in der Kunstakademie

Individuelle Kollektive mit Farbe und Witz

von Achim Manthey

Das Vestibül des Hauptgebäudes der Kunstakademie ist mit quietschbunter Graffiti ausgeschmückt. Alle Fotos: Achim Manthey

Traditionell präsentieren die Studierenden der Münchner Kunstakademie zum Ende des Sommersemesters auf der Jahresausstellung das, was sie im vergangenen Jahr gelernt und zustande gebracht haben. Heuer steht die kollektive Arbeit in den einzelnen Klassenverbänden im Vordergrund. Nicht nur deshalb ist die Schau in diesem Jahr besonders sehenswert.

Die böse, böse Presse! Der muss mal eins reingewürgt werden! Den dankbaren Job haben Raphael Grotthuss, Stefan Fuchs und Tobias Ollert übernommen. Die drei Studenten der Klasse Pitz untersuchen das Phänomen "Jahresausstellung" näher und haben in den Archiven neben Ausstellungsplakaten und Videos vor allem Berichte und Kritiken zu den jährlichen Veranstaltungen in den Münchner Tageszeitungen gefunden. Unter dem Titel "Schöne Perfektion... mit Ausreißern" präsentieren sie in einem nachgebauten Archivraum im Erdgeschoss des ehrwürdigen Hauptgebäudes der Kunstakademie das, was über die Jahre über Konfusionen, fehlende Persepktive, Überraschungslosigkeit, aber auch über Aufbruchstimmungen so alles zusammengeschrieben wurde. Eine Arbeit fast mit kabarettistischen Zügen.

Die "Traumkugel" von Benjamin Plassnitzer hängt zwischen den Bäumen im Garten.

Viel Ideenreichtum ist zu sehen in diesem Jahr. Das geht schon damit los, dass zur Leopoldstraße hin ein sonst fest verschlossenes Tor zum Akademiegarten geöffnet und dazu kurzerhand die Hausnummer "1 a" erfunden wurde. Gleich am Eingang gibt es da eine Taxirufsäule, an der sich über Kopfhörer in Droschken aufgezeichnete Gespäche belauschen lassen. Ein befahrbares, auf historisch getrimmtes Kinderkarussell lädt dazu ein, für zwei Euro seinen Runden zu drehen und ein paar Meter weiter hängt zwischen den Bäumen die von dem jungen Bildhauer Benjamin Plassnitzer aus bananenblattähnlichen Pappelholzscheiben gebaute "Traumkugel", in die man über eine Leiter hineinklettern kann. Ein Fahrradkurier darf nicht fehlen umd am Gartenteich wird ein Tauchkurs angeboten. Ansonsten bleibt der Akademiegarten weitgehend unbespielt. Das Graue Haus ist als Ausstellungsfläche weggefallen. Dort werden nun Gastprofessoren untergebracht (Kulturvollzug berichtete).

Auch da geht's zur Ausstellung.

Vom Garten aus kann man über ein Gerüst, das sich zu einer Höhe von sieben Metern aufbaut, durch Fenster in dem Kolosssaal steigen. Die "Rosefeldts" nehmen die klassische "Petersburger Hängung" für die Präsentation von Bildern an der Wand auf und haben die "Petersburger Legung" erfunden. Die Klassen des Hauses waren dazu eingeladen, ihren Ausschuss, also das, was misslungen oder aus anderen Gründen nicht vorzeigbar ist, dort auf den Boden zu werfen. Entstanden ist ein köstliches Gewusel von Kunstabfall.

Wer schleicht sich so schwarz durch Räume und Gänge?

Mannschaftsdienlichkeit war gefragt in diesem Jahr. Das fällt auf. Die Klassen präsentieren ihre Arbeiten im Verband, was zu beglückenden Seherlebnissen führt. Die Klasse Prangenberg - die letztjährige Schockstarre nach dem jähen Tod des Lehrers Ende Juni 2012 scheint überwunden oder hat zumindes Kräfte mobilisiert - zeigt ungewohnte Ansichten in einem nicht kuratierten, nur scheinbar unfertigen Arbeitsraum, darunter eine Arbeit von Frank Balve, die aus kopierten Fotografien europäischer Grabmäler an Straßen besteht und ein solches aus Styropor in Weiß nachbildet. Von Fabian Ketisch stammt  die rätselhafte, tiefschwarze Puppe, die auf die Dauer der Jahresausstellung täglich wechselnd geheimnisvoll durch Räume, Flure und Treppenhäuser geistert.

Eine räumliche Grafik aus identischen Sanformen von Karin Petroschkat.

Die farbstarken kleinen Skulpturen von Saskia Zimmermann kontrastieren blendend mit den feingliedrigen Zeichnungen von Josej Knoll, beide aus der Klasse Förg. In einem Folienraum präsentieren die Studierenden des Lehrstuhls Produktgestaltung von Carmen Greutmann-Bolzern und Urs Greutmann zwölf Entwürfe von "Lieblingsstühlen" aus Aluminium als "Original Designklassiker von gestern und morgen", von denen ein jeder sein unverwechselbares Gesicht zeigt. Die Fotoklasse von Dieter Rehm nimmte die inzwischen marode Terrassenkonstruktion vor dem Anbau der Akademie auf und hat unter dem Titel "Unter der Treppe" einen Teil davon hochkant in einem Arbeitsraum aufgebaut, sodass die Fenster nicht mehr zu sehen sind. Im Zwischenraum finden Performances statt.

Gewohnt inspiriert kommt die Schmuckklasse von Otto Künzli daher. Unter dem Motto "do legst di nieda" werden - losgelöst von einem Menschen als Träger Schmuckstücke am Boden zeigt: Eine Halskette aus türkischen Textiletiketten von Janina Stübler, Broschen aus dem Papier internationaler Tageszeitungen von Kvetoslava Flora Sekanova oder Halsschmuck aus Schiefer, Kupfer und Angelschnur von Annamaria Leiste.

Eine der schönsten Arbeiten der Jahresausstellung ist Judith Neunhäuser mit ihren handgeschöpften Papieren gelungen.

Einige Solo-Shows gibt es aber auch, wobei einige der jungen Künstlerinnen und Künstler bei der Präsentation ihrer Arbeiten die - es lässt sich nur in dieser Drastk ausdrücken - die Arschkarte gezogen haben. Lieblose hängen die "Koi-Bilder" im japanischen Stil von Zhenya Li irgendwo an einer Wand im Flur. Die beeindruckende Bodenskulptur "Vvvortex II" von Katrin Petroschkat, eine aus identischen Pfeilformen aus Sand gebildete Arbeit, die sich zu einer Spiralform steigert, fristet im dritten Stock des Neubaus ihr Dasein. Und unter dem Dach des Hauptgebäudes verbirgt sich einer der schönsten Arbeiten der Ausstellung: Judith Neunhäuser zeigt in Kästen gespannte, handgeschöpfte Papiere, auf denen sich als Reliefs Texte aus ihren Schulaufsätzen abzeichnen.

Das alles ist bunt, fröhlich, inspiriert - kurzum: sehr sehenswert.

Die Chance besteht noch bis zum 28. Juli 2013 in und an der Akademie der Bildenden Künste, Akademiestraße 4 in München, Fr 14-21 Uhr, Sa/So 11-21 Uhr, bei freiem Eintritt.

Der Bericht wurde am 2. August 2013, 18.50 Uhr im vierten Absatz geändert. Die geisternde schwarze Puppe stammt nicht von Frank Balve, sondern wurde von Fabian Ketisch geschaffen. Ihm danken wir für den Hinweis und bitten für den Fehler um Entschuldigung. ama

 

Veröffentlicht am: 26.07.2013

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Ullrich Läntzsch
08.08.2013 14:55 Uhr

@"Die beeindruckende Bodenskulptur "Vvvortex II" von Katrin Petroschkat, eine aus identischen Pfeilformen aus Sand gebildete Arbeit, die sich zu einer Spiralform steigert, fristet im dritten Stock des Neubaus ihr Dasein."

Mitleid mit all denen, die nicht zur sonntagnachmittägigen Finissage kamen. Sie verpaßten den spektakulären Akt der Dekonstruktion durch einen Putzroboter, der die Skulpturenlandschaft in ein Bodenrelief einebnete.

Wiederholung dringend empfohlen!