Fotos von Vera Mercer mit Fisch und Fleisch - Stillleben von Lust und Vergänglichkeit

von Achim Manthey

Crab, Paris 2009 (Foto: Vera Mercer, courtesy Galerie Jordanow)

Kühne Kombinationen von Fressen und Moral sind auf den Fotografien von Vera Mercer zu sehen, die zur Zeit in der Münchner Galerie Jordanow ausgestellt werden.

Die Bilder kommen daher wie die opulenten fotografischen Illustrationen älterer Kochbücher, die bacchanalische Völlereien verheißen. Aber der erste Eindruck täuscht. Die Fotografien von Vera Mercier zeigen die Lust und die Vergänglichkeit allen Lebens.

Der Waschbär hat sein Haupt auf den Kohlkopf gebettet. Vasen mit Blumen in prallen Farben umgeben ihn. Er scheint zu schlafen und ist doch längst hinübergeschlafen. Ein rotköpfiger Specht liegt rücklings auf einem Teller, den Kopf auf der Brust, während sich über ihm ein Vacherin-Käse einer Nacktschnecke gleich aus einem Flaschenhals quält. Der Regenbogenfisch steht aufrecht im Glas, die Augen aufgerissen in Erwartung seines Endes, um ihn herum weiße Orchideen und ein mehrarmiger Leuchter, dessen Kerzen fast heruntergebrannt sind.

Prall und morbide zugleich sind die Fotografien der Deutsch-Amerikanerin Vera Mercer. Lange blieb ihr fotografisches Werk unbekannt. Sie wird 1936 als Vera Mertz in Berlin geboren. Ihr Vater Frank Mertz war Bühnenbildner, der sie künstlerisch animiert hat, wie sie selbst sagt. Am Landestheater Darmstadt lernt sie Daniel Spoerri kennen - damals dort Tänzer und Regieassistent -, der später als Objektkünstler und Begründer der Eat Art berühmt wurde.

Sie heiraten 1958, gehen nach Paris, gehören zu Beginn der 1960er Jahre der dortigen Künstleravangarde an, die sie fotografisch begleitet und dokumentiert. Es entstehen sehr persönliche Aufnahmen von Künstlern wie Marcel Duchamp, Niki de Saint-Phalle, Jean Tingualy und natürlich immer wieder von Daniel Spoerri. Aber auch Caféhaus-Szenen und die Pariser Markthallen hält sie im Bild fest.

1973 geht sie mit ihrem zweiten Ehemann, dem Amerikaner Marc Mercer, in die USA, landet in Omaha im mittleren Westen - und macht da ein Lokal auf, das "French Café", das sie mit ihren Pariser Fotografien dekoriert. Weitere Lokale im Zentrum Omahas folgen, ein Job, der die Fotografie erst einmal in den Hintergrund treten lässt. Vera Mercer lebt und arbeitet in Omaha und Paris.

Two Guinnyhens, Omaha 2009 (Foto: Vera Mercer, courtesy Galerie Jordanow)

Die ersten Anlagen waren wohl schon bei ihren Streifzügen durch die Pariser Markthallen gesetzt und wurden dann durch ihre Tätigkeit in der Gastronomie verfestigt: Die fotografische Auseinandersetzung mit Nahrung, mit Speisen, ihren Bestandteilen und Zutaten in ihrer Rohform. Die Ware, die Mercer dann kunstvoll im Atelier drappiert, bezieht sie frisch vom Jäger, Metzger und auf Märkten. Sinnlich und ästhetisch kombiniert mit Blumenarrangements, Vasen oder Kerzenleuchtern entstehen Kunstwerke, die sich mehr an der klassischen Kunst orientieren, denen Aspekte der modernen Fotografie völlig fehlen.

In ihren Bildern schafft sie durch Aufnahmeposition und Perspektive absurde Verschiebungen in den Größenverhältnissen der abgebildeten Objekte, was die Szenerie surreal, geheimnisvoll erscheinen lässt. Deutlich erkennbar  ist das an "Crab" aus dem Jahr 2009. Ein Taschenkrebs, umgeben von Fischlaibern, überschattet von überdimensionierten Rosenblüten, davor eine halb heruntergebrannte Kerze, das alles mysteriös in orange-rötlich-braunes Licht getaucht.

Ergänzt wird die Ausstellung durch Portraitaufnahmen in Schwarz-weiß, die in Paris und den USA entstanden. Daniel Spoerri, Marcel Duchamps, Andy Warhol und Samuel Beckett sind unter anderem zu sehen. Sie machen die Ausstellung zu einer kleinen Werkschau.

Die Stillleben sind Bilder in prallen Farben voller Sinnlichkeit und Lebenslust, die durch die eindeutigen Vanitas-Motive wie heruntergebrannte Kerzen oder Totelschädel als eine Art Memento Mori immer auch ein wenig daran erinnern, wie schnell Schluss sein kann mit all dem.

Bis zum 3. März 2012 in der Galerie Jordanow, Fürstenstraße 11 in München, Mi-Fr. 14-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr. Eintritt frei.

 

 

 

 

Veröffentlicht am: 16.02.2012

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