Passauer Scharfrichterbeil 2011: Klipp-Klapp-Dialoge und gesellschaftliche Untiefen

von Gabriella Lorenz

Da ist die Freude groß: Wiebke Eymess und Friedolin Müller holen sich das Passauer Scharfrichterbeil 2011, Foto: Mediendenk

Ist Hymen die Einzahl von Hymnen? Sind die Marx-Brothers Nachfahren von Karl Marx? Hieß der Namensgeber der „Hitler-Jugend der  Kommunisten“ nun Telemark,  Telemann oder Thälmann?  Im Wahnsinns-Namengalopp jagt Wiebke Eymess mit ihrem Halbwissen ihren alles(besser)wissenden Bühnen- und Lebenspartner Friedolin Müller durch die Tatorte deutscher Geschichte. Für diesen Parforce-Ritt holte sich das Duo mit dem ach so kurzen, dafür umso einprägsameren Namen "Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie" das große Passauer Scharfrichterbeil 2011.

Münchner Kabarettfans kennen die zwei  Hannoveraner von der Fensterbank schon: Sie gewannen  2009 den Kabarett-Kaktus-Wettbewerb  und servierten ihre „Mitternacht-Spaghetti“ in der Drehleier. Die beiden pflegen den gehobenen Beziehungsstreit, der mit Wortgefecht-Jonglagen und scheinbar leichten Klipp-Klapp-Dialogen permanenter Missverständnisse schnell in gesellschaftliche Tiefen kippt. Dieses Duo hat eine Kabarett-Zukunft – vielleicht liegt dann wirklich mal Geld auf der (Fenster-)Bank.

Das Wettbewerberfeld lag  diesmal qualitativ eng beieinander und war damit ein guter Kabarett-Jahrgang. Weshalb es sich die nicht mit einem Beil ausgezeichneten Kandidaten zur Ehre anrechnen können, aus über 75 Bewerbungen unter den sechs Finalisten gewesen zu sein. Das gilt vor allem für Sarah Hakenberg, die mit schwarzen Chansons und der singenden Säge als Instrument einer Beziehungs-Zersägung das Publikum so überzeugte, dass es sie auf Platz 1 wählte.

Die Jury hatte anders entschieden. Ihr ging es um neue Formen. Zu konventionell blieb da Stefan Waghubinger (45), der als Opfer-Ehemann mit der Erde nicht anders umgeht als mit seiner Frau: „Wenn die Natur hier mit uns leben will, muss sie sich halt auch anpassen.“ Ebenso der Österreicher Jürgen Vogl (41), der seine Biografie als globale Erfolgsgeschichte  erzählt. Alte Wut in neuen Formen: Die suchte Till Reiners (26), der als  zweiter Preisträger mit  authentischer Empörung am stärksten politisches Engagement zeigt. Er belehrt gern, spießt  aber in seiner Analyse von Sprach- und Verhaltensmustern viele Worthülsen-Heucheleien auf. Er würde einfach gern sagen: „Ich bin Till, wollen wir küssen?“

Ähnlich direkt, aber auf der Depri-Schiene tut das der dritte Preisträger Nico Semsrott (Mitte 20). Er kommt aus der Poetry-Slam-Szene, aber das kabarettistische Potenzial seiner Verweigerer-Figur ist hoch. Unterm Kapuzenpulli stilisiert er sich zum Loser, liest seine pointierten Statements ungerührt von Zetteln ab, und schiebt  mit umwerfender Trockenheit immer noch einen Abturner nach: „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt.“

Veröffentlicht am: 12.12.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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