Kinderzimmer Productions gelingt mit "Gegen den Strich" eines der besten Live-Hip-Hop-Alben überhaupt

von kulturvollzug

Kein Kinderkram, und jetzt ganz klassisch: Kinderzimmer Productions. Foto: Trikont

Gut zwei Jahre nach ihrer Auflösung gab die Ulmer Hip-Hop-Combo „Kinderzimmer Productions“ gemeinsam mit dem ORF-Radio-Symphonieorchester noch mal ein Live-Konzert in Wien, das jetzt unter dem Titel „Gegen den Strich“ als CD und auf Vinyl bei Trikont erschienen ist. Und sich durchaus lohnt.

Schon das Intro ist ein Traum. Wie ein Soundtrack zu einem zeitlosen Film kommt es daher, experimentell, mystisch, vollmundig. Es erinnert zunächst an eine spannungsgeladene Szene in einem Blackplotation-Film aus den Siebzigern, nimmt dann einen kurzen Abstecher in die Stummfilm-Ära, man denkt an Emil Jannings und Bela Lugosi und viel Schminke um die Augen. Schleichend fügen sich Hiphop-Elemente dazu, die Streicher umschmeicheln die Beats mit prachtvollen Wohlklängen. Innerhalb der nicht einmal zweieinhalb Minuten dieses Auftaktes wird der Hörer auf eine experimentelle, hochmusikalische und gewaltige Reise vorbereitet. Dann ist das Intro vorbei und der Applaus erinnert einen daran, dass man einem Livekonzert lauscht. Das liegt nicht zuletzt an Mischer Sascha Klammt und freilich an Rashad Becker, der wunderbar sauber gemastert hat, so dass man das launige Publikum neben den Songs angenehm spürt.

Dezent werden die wohlig reduzierten Nummern aus dem Ärmel geschüttelt, gekonnt vereinen sich Live-Drums, Live-Strings und Samples. Textor rappt wie immer sehr verständlich, Quasi Modo an den Turntables fügt verspielt und ideenreich köstliche Samples hinzu, das Streichorchester unter der Leitung von Gottfried Rabl zeigt dezenten Humor, indem es zwischendurch weltberühmte Klassik- und Jazzmelodien von Beethoven bis Thelonious Monk einfügt. Beispielsweise ist das obligatorische „Twoinonetwo“ diesmal eine hinreißende Interpretation von „Pannonica“ – altes wird mit neuem kunstvoll und beinahe zärtlich vermischt. Oliver Prechtl spielt Flügel und Celesta, Jürgen Schlachter bedient das Schlagwerk sehr präzise und setzt perfekte Pausen. Trotz dieser mächtigen Instrumentierung wirkt das Konzert nicht eine Sekunde lang überlagert. Jeder hat seine Funktion auf der Bühne, keiner nimmt sich zu wichtig. Zuletzt wird es mit „Get in my uno“ noch Angelsächsisch; und kommentarlos endet der schöne Ausflug ins Reich der Kinderzimmer Productions.

Das neue Album.

Das Album ist nicht nur für Neueinsteiger eine Freude, sondern auch bekennenden Fans dürften die oftmals völlig neu arrangierten, geliebten Songs schon äußerst geschmeidig ins Ohr gehen. Hübsch sind auch die feinen und kurzen Zwischenansagen: „Wir sind angetreten als die beste Kinderzimmer-Cover-Band aller Zeiten und mit Sicherheit auch die teuerste.“

Kurzum: eines der besten deutschen Live-Hip-Hop-Alben überhaupt. Interessant, nie langweilig, immer wieder überraschend, spritzig, freudespendend, energiegeladen. Cool, ruhig, doch sehr stimmungsaufhellend. Das ist sehr guter Rap, das ist sehr guter Hip Hop, das ist ein Konzert, das getrost wiederholt werden könnte und bei dem man gern dabeigewesen wäre. Man sollte allerdings darauf achten, nach Konsum von „Gegen den Strich“ in Gesellschaft das groovende Kopfnicken wieder einzustellen.

Moses Wolff

Kinderzimmer Productions: "Gegen den Strich - Live mit dem RSO-ORF-Radio Symphonie Orchester Wien" (Trikont)

Veröffentlicht am: 24.10.2011

Andere Artikel aus der Kategorie