Die Sammlung Goetz im Haus der Kunst: Vom Suchen und Finden
Authentische Rollenspiele: In ihren Filmen enttarnt die niederländische Künstlerin Rineke Dijkstra stereotype Verhaltensweisen, Foto: Courtesy Sammlung Goetz
"Why I Never Became A Dancer" heißt die zweite Kooperation der Sammlung Goetz im Haus der Kunst. Mit dieser Ausstellung soll vor allem jüngeres Publikum angesprochen werden – und das könnte tatsächlich klappen, denn hier wird keine Meta-, oder Museumskunst gezeigt, sondern ein Stück Leben.
Der Bass macht Pause. Das Mädchen mit dem kahlgeschorenen Kopf lässt die Arme sinken, hält inne, wartet, schaut gelangweilt. Fängt an sich wieder zu bewegen. Fehlalarm. Der Bass macht weiter Pause. Sie lässt die Arme sinken und grinst für den Bruchteil einer Sekunde in die Kamera. Dann geht der Groove von Neuem los, das Mädchen bewegt sich mechanisch, der Blick driftet ins Leere. Wer ist man, wenn man 15 ist, oder 16? Der, der man vorgibt zu sein, oder die, die man gern wäre, von der man aber nicht weiß, wie sie sein soll. Ausprobieren. Rollen spielen. Scheitern. Die eigene Wirkung testen. Posen. Wer könnte ich sein?
In der 2-Kanal-Videoinstallation „The Buzzclub, Liverpool, UK / Mysteryworld, Zaandam, NL“ der niederländischen Fotografin Rineke Dijkstra geht es um diese Suche nach der eigenen Authentizität: Sie bat jugendliche Discogänger in einem leeren Nebenraum das zu tun, was sie eben noch nebenan in Gesellschaft taten – tanzen, betrunken rumstehem, rauchen, in die Gegend schauen – und filmte sie dabei. Eine einfache Versuchsanordnung mit großer Wirkung, denn ohne Publikum werden die Rollenspiele als solche enttarnt und der Abgrund zwischen dem, was man vorgibt zu sein, und dem, was da wirklich vorhanden ist an Gefühlen, Erwartungen und Sehnsüchten wird spürbar.
Schnelle Schnitte, schrille Töne: In „Valentine’s Day Girl“ erzählt Ryan Trecartin von der hysterischen Kraft des Konsumterrors, Foto: Courtesy Sammlung Goetz
„Why I Never Became A Dancer“ ist bereits die zweite Ausstellung der Sammlung Goetz in Kooperation mit dem Haus der Kunst, noch bis 2014 wird Ingvild Goetz regelmäßig in den Räumen des Luftschutzkellers Teile ihrer umfangreichen Film- und Medienkunst der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die aktuelle Schau hat die Sammlerin mit viel Gespür selbst kuratiert, das Ergebnis ist ein spannender Diskurs zum Thema Identität und Jugend: Gezeigt werden 15 Videoarbeiten internationaler Künstler, unter anderem von Tracy Emin, Gillian Wearing, Doug Aitken, Rosemarie Trockel, Ryan Trecartins, Paul Pfeiffer und Martin Brand. Jeder Künstler hat einen kleinen Raum für sich, so dass man sich in nahezu intimer Atmosphäre ganz auf das jeweilige Werk einlassen kann.
Weil Tanz schon immer ein wichtiger Bestandteil der Jugendkultur war, gibt es viel Bewegtes zu sehen, das zeitliche Spektrum der Arbeiten beginnt in den 1970er Jahren und endet in der Gegenwart: Mark Leckey erforscht die Tanzentwicklung von den Northern-Soul-Tänzen bis zu den Raves der 90er, Andrea Bowers filmt Jugendliche in öffentlichen Spielhallen wie sie die Choreografien des Videospiels „Dance Dance Revolution“ nachtanzen und Cao Fei baut an einer gigantischen „Second-Life“-Traumstadt. Mit dem Internet hat die Suche nach dem Ich neue Gestaltungsdimensionen dazu gewonnen. Man klaubt sich eine Identität zusammen und präsentiert sich in digital optimierter Form auf facebook oder sonst einer sozialen Plattform – das ist zwar nicht die Realität, aber ein Teil davon.
Doch trotz der neuen Möglichkeiten hat sich eigentlich nicht viel verändert an dem, was Jugendliche bewegt: Es geht noch immer um das Streben nach Anerkennung, das Ertragenlernen von Schmerz, die Suche nach Liebe und die Hoffnung auf ein Leben, das am Ende etwas mit einem zu tun gehabt hat. Egal ob man nun 15 ist, oder 16. Oder 55. Das ist Kunst von Menschen für Menschen und das macht diese Ausstellung so sehenswert.
Noch bis April 2012 in den Räumen des Luftschutzkellers im Haus der Kunst, Öffnungszeiten: Fr, Sa, So von 10 bis 20 Uhr