Es tat weh und es klang gut: Die Einstürzende Neubauten brillieren auf Jubiläumstour in der Muffathalle

von Michael Grill

Finden ihren Weg: Die Einstürzenden Neubauten. Foto: Potomak / Mote Sinabel

Sie waren die Herren der Finsternis und machten die Kakophonie zur Kunst. Heute sind sie ein Social-Media-High-Tech-Unternehmen mit einem Vertrieb über Supporter-Gruppen im Netz und Live-File-Service beim Konzert – und die Magie des kontrollierten Lärms funktioniert noch immer. Die Einstürzenden Neubauten auf 30-Jahre-Jubiläums-Tour an zwei Abenden in der Muffathalle: Erst gab's ein Konzert, dann Performance.

Wer das ehemalige Neubauten-Mitglied F.M. Einheit vor kurzem bei einem kleinen Show-Auftritt im Rahmen der Verleihung des Hoferichter-Preises in München gesehen hatte, durfte skeptisch sein: Kommt da wirklich mehr als ein bröckelnder Museums-Altbau? Es kam. Und die Halle war voll – die Neubauten haben heute ein Publikum zwischen Absturz und Immer-Noch-Avantgarde, gut gemischt mit erstaunlich jungen Fans, die so aussehen, wie die alten vor 30 Jahren ausgesehen haben.

Blixa Bargeld, wie ihn der Autor bei einem Münchner Konzert in den späten 80ern erlebte. Foto Michael Grill

Neubauten in den 80ern, das war wie wenn Gottfried Benn George Grosz vertonen würde – ein Konzept, das man eigentlich nicht permanent erneuern kann. Doch die Band findet den Weg. Sie startet mit „The Garden“, macht weiter zwischen Dancefloor und Hörspiel und erhebt schließlich den Strawberry-Orkan der Beatles zum deutschen Autobahn-Inferno. Sänger Blixa Bargeld, dieses Leidensgesicht der Republik, dieser Schmerzensmann des Rock, schaut inzwischen aus wie eine Mischung aus John Cale und Phillip Boa. Sein Markenzeichen, der grelle Schrei, ist ein bisschen zur Joe-Cocker-artigen Marotte geworden. Doch das Publikum hat eine Sehnsucht nach diesem Schrei und er bedient das reichlich. Einmal spricht er uns versehentlich auf Englisch an („Immer diese Auslandsaufenthalte...“), ansonsten: sehr souverän, sehr cool.

Neubauten heute. Foto: Potomak / Mote Sinabel

Es gibt ein bisschen „Halber Mensch“, ein ganzes „Haus der Lüge“, und natürlich den ganzen Fuhrpark aus Show-Geräten von der Altmetall-Schütte bis zur Stahlfeder. Gegen Ende hin erfüllt die Band den erkennbaren Wunsch des Publikums nach maßlosem Krach und großer Geste bis zum Anschlag: Das tat richtig weh in den Ohren, aber, paradox, es klang auch ziemlich gut.

Kleines Problem: Einige „Fans“ konnten die Stille zwischen dem Lauten nicht ertragen und störten gewaltig – was Blixa Bargeld so sehr ärgerte, dass er nach der Zugabe „Silence Is Sexy“ von der Bühne herunter auf „die fünf Idioten“ schimpfte, die jedes Publikum der Welt in den Griff bekäme, „nur das in München nicht“. Einen Phonsturm weiter hatte man sich wieder einigermaßen lieb.

Fazit: Die Neubauten sind auch im 30. Jahr ein Klangmonster, eine Maschinenmusik-Fabrik, die auf die Stahlplatte haut bis die Hosenbeine flattern. Nach zweieinhalb so fordernden wie anregenden Stunden ward Stille wirklich sexy.

 

 

Veröffentlicht am: 31.05.2011

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Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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