Griechischer Farbrausch oder klassizistische Blässe? – Die Glyptothek vergleicht antike Originale mit Ergänzungen des 19. Jahrhunderts

von kulturvollzug

Rekonstruierter Westgiebel in klassizistischer Aufstellung. Kunstmarmorabgüsse mit angesetzten Marmorergänzungen Thorvaldsens. Foto: Glyptothek

Man muss genau hinschauen, um auf der rauen Marmoroberfläche am linken Arm des Paris, dem großen Bogenschützen des zweiten trojanischen Krieges, ein Rautenmuster erkennen zu können, das sich reliefartig, aber ohne Spuren von Farbresten erhalten hat. Der Grad der Verwitterung verrät uns, dass die Figur einmal bemalt war: Je nach Farbe war der Stein mal besser, mal schlechter geschützt. Dadurch blieb das Muster nicht nur erhalten, sondern grub sich im Laufe der Jahrhunderte in den Stein.

Derlei Feinheiten vermittelt gerade die Ausstellung: „Kampf um Troja. 200 Jahre Ägineten in München“. Die Giebelfiguren vom Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina, die so genannten Ägineten, jenes Herzstück der Sammlung, sind jetzt gleich doppelt zu sehen: einmal so, wie sie den Giebel im ursprünglichen Zustand schmückten, zum anderen in der etwas ausgedünnten Aufstellung mit klassizistischen Ergänzungen des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen.

Der Bogenschütze Paris Foto: Glyptothek

Sieben Abgüsse sind bunt bemalt. Die Statue eines persischen Jünglings ist sogar in echte Textilien gehüllt, mit zweifarbigem engen Beinkleid und Filzkostüm. Dem Besucher steht es klar vor Augen: Die Götterwelt der griechischen Antike war aufregend bunt.

Die Frage nach der Farbigkeit der antiken Skulptur erhitzte schon seit Sammlungsbeginn die Gemüter.

Bereits die Ausgräber der Giebelskulpturen des auf der Insel Ägina vor Athen gelegenen Tempelheiligtums bemerkten die Farbigkeit der „Ägineten“ und machten Angaben über die Restbemalung: „Man bemerkt noch hie und da an der Clasque (Helm) Spuren einer himmelblauen Farbe“, notiert der Zeichner Carl von Haller von Hallerstein zum Athenakopf aus dem Ostgiebel. Eher zufällig stieß eine Gruppe von Bauforschern, darunter auch jener fränkische Baron von Hallerstein, im April 1811 beim Vermessen des antiken Heiligtums auf die Fragmente der Giebelfiguren. Die Skulpturen wurden ausgegraben, den örtlichen Behörden abgekauft und auf einer Auktion öffentlich angeboten. Und dieser Schatz wurde von keinem geringeren gekauft, als dem Philhellenen Kronprinzen Ludwig, dem späteren König Ludwig I. Mit Leo Klenze hatte er den richtigen Architekten an seiner Seite. Mit der Glyptothek schuf Klenze den passenden Rahmen zur Präsentation der Antiken. Im farbig ausgeschmückten Äginetensaal wurden die griechischen Helden Herakles, Telamon, Peleus, Ajas, Achill, Teukros und ihre trojanischen Widersacher Paris, Priamos und Laomedon gezeigt.

Der Westgiebel in der heutigen Aufstellung. Foto: Glyptothek

War man sich bezüglich der Darstellung der Ägineten von Anfang an klar, dass es sich hierbei um einen der Kämpfe um Troja handelte, blieben lange Zeit Zweifel an der richtigen Aufstellung der einzelnen Figuren des Ost- und Westgiebels. Im Auftrag Ludwigs hatte Thorwaldsen hier nicht nur viele Figurenfragmente vervollständigt, sondern ordnete unter seiner Regie auch deren Platzierung an, wenngleich er selbst eine Einzelaufstellung favorisierte. Nachfolgende Museumsdirektoren erkannten die Fehlerhaftigkeit der Figurenanordnung und empfanden auch die klassizistischen Ergänzungen als störend. In den Jahren 1963/64 wurden die Originaltorsi der Ägineten aus ihrer „klassizistischen Umarmung“ von 1827 befreit und so wie einst in Ägina – nach dem Stand damaliger Forschung - präsentiert.

Der Äginetensaal um 1910. Foto: Glyptothek

Rund ein halbes Jahrhundert später ist die Zeit reif, sich das bisweilen romantisierende Pathos der handwerklich perfekten Werke des Dänen in Erinnerung zu rufen. Die Ergänzungen des frühen 19. Jahrhunderts wurden wieder an Kunstmarmorabgüsse der Figuren angesetzt und können jetzt mit den antiken Originalen verglichen werden. Ein Herzensanliegen des scheidenden Direktors der Glyptothek Raimund Wünsche, der zu der Ausstellung auch einen gewichtigen Begleitkatalog beigesteuert hat.

In punkto Farbgestaltung förderte der interdisziplinäre Austausch von Textilrestauratoren und Archäologen in jüngerer Zeit weitere Erkenntnisse ans Tageslicht. Nämlich die Entdeckung der Textiltechnik des Sprangens, einer speziellen Art des Webens, die bislang in Zusammenhang mit Haarnetzen und Hauben gebracht wurde. Dabei werden parallel gespannte Fäden durch Heben und Senken so miteinander verdreht und verdrillt, dass ein elastisches Geflecht entsteht. Die erhaltenen Reliefspuren an den Originalen der Ägineten bekräftigen nicht nur die Buntheit der antiken Skulptur, sondern liefern darüber hinaus auch noch einen interessanten Hinweis zur Kleidergeschichte der Griechen.

Angelika Irgens-Defregger

Veröffentlicht am: 24.04.2011

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