Karl Stankiewitz über die Pest, den "schwarzen Tod"

Eine Seuche, die fromm und verzweifelt macht

von Karl Stankiewitz

Pestbasilisk am Rathaus. Foto Karl Stankiewitz

Die älteste und furchtbarste aller Plagen der Menschheitsgeschichte hat, vor allem im späten Mittelalter, große Bevölkerungsteile ausgelöscht. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Zahl der Todesopfer infolge der drei historischen Pandemien auf weit über hundert Millionen. Und immer noch nicht ist die Pest endgültig besiegt.

Böse Zeichen ziehen am weiß-blauen Himmel auf. Nahe dem Kloster Fürstenfeld kommt der deutsche Kaiser Ludwig bei der Jagd ums Leben. Ludwig der Bayer, der Legendenumwobene, der „Große Adler“, der – so ein Hofschreiber – „mit abgebrannten Flügeln sich Aufschwingende und im Unglück Glückliche“. Drei Monate später, am 25. Januar 1348, einem Freitag, wird zur Vesperzeit ganz Süddeutschland von starken Erdbeben erschüttert. Sie halten 40 Tage an und begraben die Stadt Villach.  Noch in diesem unheilvollen Jahr kommt die bislang größte Pest – „et tunc venit maxima pestilencia“, notiert der Geschichtsschreiber Aventinus (Johannes Turmair) später in seiner „Bairischen Chronik“.

Offenbar mit himmlischer Vorwarnung, die kaum einer verstehen mochte, überfällt die tödliche Krankheit das Land Bayern, das soeben seine - bis heute - größte Ausdehnung und Macht erlangt hat. Am Schlimmsten wütet sie in den Flussstädten Landshut, Braunau und München. Die Münchner Bevölkerung spült allen Müll nicht etwa in die Isar, sondern in die zahllosen Nebenbäche, soweit die Abfälle nicht von frei laufenden Schweinen und den Rattenheeren aufgefressen werden. Dauerregen hat zu Jahresbeginn die Kloaken bis in die Häuser geschwemmt. Obendrein hungert die Bevölkerung, nachdem die Obrigkeit das Geld abgewertet und die Steuern erhöht hat. Nur die gewerbliche Unzucht blüht – und fördert Seuchen, zunächst Lustseuchen. Im Heiliggeistspital nahe der Peterskirche soll ein fahrender Schüler gestorben sein, heißt es. In den nächsten Tagen werden weitere Kranke eingeliefert. Die meisten schon ohne Bewusstsein. Sie atmen – keiner ahnt das - Gift aus. Sie leben nach der Infektion nur noch drei bis vier Tage. Ihre Körper sind mit schwarzen Beulen und Eiterblasen bedeckt, die Leichen aufgedunsen. In der Stadt, flüstert man sich nun zu, geht der Schwarze Tod um.

Händler hätten ihn eingeschleppt, durch Pelzkleider oder Flöhe wandere er von Mensch zu Mensch. Einige schieben auch den Juden, diesen „Unreinen“ und „Brunnenvergiftern“, die Schuld zu, obwohl deren Blutopfer noch größer ist als das der Christen. (Tatsächlich kommt es noch in diesem Pestjahr zu Pogromen im ganzen deutschen Land.) Bald ist München voller Leichen. Sie werden von mutigen Franziskanern auf Karren gehäuft und begraben. Die beiden Friedhöfe sind bald überfüllt. So werden draußen vor den Mauern große Gruben auf eigenen „Pestäckern“ ausgehoben. Die Stadttore bleiben sonst verschlossen. Jeglicher Warenhandel erstirbt. Die Versorgung und die öffentliche Ordnung brechen zusammen. Hunger droht. Angst und Schrecken beherrschen die halbtote Stadt. An den vielen „verpesteten“ Häusern in den verwaisten Gassen hängen giftgelbe Fahnen. Da die Gebäude längst verlassen sind, greifen Diebstahl, Plünderung und Leichenfledderei um sich. Wer kann, rettet sich aufs Land.

Nur wenige Menschen wollen und können Hilfe leisten: Ärzte, Bader und Quacksalber, vor allem aber Mönche und Nonnen. Mit schwarzen Umhängen und schnabelförmigen Masken wagen sie sich heraus. Sie bekämpfen den Schwarzen Tod mit Riechkräutern oder durch Aufschneiden der Beulen, was aber in Wirklichkeit die Ansteckungsgefahr erhöht. Viele sterben selbst. Kann denn nur noch Beten helfen? Auch Flagellanten schleppen sich murmelnd durch die leer gefegten Gassen und geißeln sich, um für alle anderen Buße zu tun. Als „pestilenz“ wird die unheimliche Massenerkrankung erstmals am 1. Oktober 1463 in einem erhalten gebliebenen Ratsprotokoll erwähnt. Darin heißt es, dass viele Menschen, vor allem Frauen, „mit großer andacht, wainenden augen und betrubtem hertzen“ zum Heiligen Berg nach Andechs pilgerten. 1494 – Amerika ist entdeckt und ein neues Zeitalter ist angebrochen –  wird die Pest in München von über hundert Sturmwarnungen begleitet. Keine andere Katastrophe hat je so nachhaltig zugeschlagen.

Mariensäule. Foto: Karl Stankiewitz

Die „Pestilenz“ bürgert sich ein. Münchens Stadtschreiber verzeichnen ihren Auftritt in mindestens weiteren 30 Jahren. Sie verändert die Menschen. Sie macht sie fromm und verzweifelt, hilfsbereit und böse. Sie dezimiert die Bevölkerung nach jedem Wachstum. Ihr folgen oft andere apokalyptische Reiter: Teuerungen, Hungersnöte, Teufelsanbetung. Es gibt kaum eine Vorwarnung, keinerlei Vorbereitung, keine wirkliche ärztliche Hilfe und natürlich auch kein Gegenmittel, sondern allenfalls Ratschläge. Zum Beispiel die – das Stadtarchiv hat solche Objekte vor einigen Jahren ausgestellt – die recht ungenaue Warnung vor übermäßigem Genuss von „Speiß und Tranck, sonderlich weises Waizenbier“. Natürlich werden auch allerlei  „pulver zu verhuten der pestelentz“ gemixt und ausprobiert; so eines besteht beispielsweise aus Blutwurz, Wacholder, Enzian, Schlangenwurzel und „welsch nuss“.

In der Münchner Stadtchronik erscheinen die ersten Pestepidemien unter dem Stichwort „Sterbende Läufe“. Vor der Weihnacht von 1509 verlegt Herzog Albrecht die Hofhaltung nach Landshut, „sterbender leuf halben“. 1534 bestellt der Stadtrat den Doctor Steffan, der den Kranken „in diesen leuffen“ zur Verfügung stehen soll. 1611 beklagt sich Thomas Premauer, Wirt vor dem Neuhauser Tor, dass er immer die aus infizierten Orten eintreffenden Fuhrleute beherbergen müsse. Wegen der „leidigen Seuche“ werden nach und nach viele Orte in Schwaben, Tirol und der Schweiz vom Herzog „auf das Täflein geschrieben und bandisiert“, das heißt niemand darf dorthin und von dort nach München reisen. Neue Triumphe feiert der Schwarze Tod im Dreißigjährigen Krieg. Aus Angst vor der Einschleusung von Krankheiten, aber auch von Spionen und Attentätern beschließt der Stadtrat 1627 die Ausweisung von Bürgern, die Fremde oder auch Verwandte ohne Erlaubnis beherbergen. Weinwirte, Bierbrauer und Lebzelter, müssen erkrankte Gäste sofort melden, sonst droht Entzug des Bürgerrechts.

Im Juli 1634 wird Bayern, inzwischen Kurfürstentum, von einer „feindlichen Armada“ unter Kommando des Herzogs von Weimar besetzt, Dörfer, Klöster und Schlösser im Vorland werden niedergebrannt. „Deshalb hat man zur Sicherheit für München das um Weilheim, Tölz und anderen Orten gelegene spanische Kriegsvolk zu Roß und zu Fuß, an die 4000 Mann stark, hierher kommendiert“, meldet die Stadtchronik.  Doch die fremden kaiserlichen Soldaten bringen die altbekannte „abschewliche Sucht der Pestilenz“ abermals in die Stadt. Mit dem jähen Tod der Bäckerwitwe Maria Gebhart in der Sendlingerstraße 80, auf deren Leiche der Wundarzt „ein Zeichen“ findet, beginnt am 12. August 1634 eine der verheerendsten Pestepidemien, die Altbayern je erlebt hat. Das Pesthaus wird gesperrt, ebenso die öffentlichen Bäder. Auch alle Schulen werden geschlossen. Infizierte Personen werden „besichtigt“, 250 Häuser unter Quarantäne gestellt. „Beamte und Untertanen“ werden zu strikter Reinlichkeit angehalten. Trotzdem füllten sich die Krankenhäuser in Haidhausen vor der Stadt, außerdem wurden fünf Pestlazarette aufgestellt. Am 10. Oktober ordnet die geistliche Obrigkeit an, dass „ ein jeder insonderheit von Sünden abstehe, sich mit demütigem Hertzen und andächtigem Gebett zu Gott bekehre, sein Gewissen erforsche, die Sünd beicht und büsse“. Diese Pestwelle – der auch Oberammergau seine Passionsspiele „verdankt“ - dauert an bis zum Februar 1635. Mindestens ein Drittel der rund 22.000 Bürger Münchens sollen ihr zum Opfer gefallen sein. Von der ausländischen Schutztruppe – mehr Italiener als Spanier - starben 150 in der kurzen Zeit der Einquartierung. Während einer Missernte bald nach dem Westfälischen Frieden, am 18. August 1649, schlägt die große Geißel noch einmal in München zu, wenn auch nur in vier Häusern. Den Bewohnern befehlen die Stadtverordneten eine „schleunige Säuberung“, den Tändlerinnen verbieten sie das Feilhalten „anklebiger“ Sachen wie Bettgewand und Leinwand, die Stadtwächter ermahnen sie bei Strafandrohung zum besonderem Fleiß. Und nach der Sitzung gehen sie alle zum Gottesdienst „um Abwendung der laidigen Sucht der Pest“.

Seither wurden danach nur noch einige Warnungen vor Pestgefahr in München verzeichnet, aber keine Epidemien mehr. Gelübde, Prozessionen, Passionsspiele, Pestkerzen und Pestsäulen gemahnen heute vieler Orten an die Zeiten des Schwarzen Todes. Das bekannteste Mahnmal in München befindet sich an der Südwestecke des neuen Rathauses, ein Gift sprühender Drache. Auch am Sockel der 1638 eingeweihten Mariensäule erinnert eine düstere Allegorie an vier große Plagen: ein Löwe symbolisiert den Krieg, eine Schlange die Ketzerei, ein Drache den Hunger und die Pest erscheint in Gestalt eines mit Hahn und Schlange bestückten Basiliken. Die Legende führt auch den alle sieben Jahre aufgeführten Schäfflertanz auf die Pest zurück, auf das Jahr 1517. Damals soll die Seuche dermaßen gewütet haben, dass die meisten Ratsleute aus München geflohen seien und die meisten Bürger in ihren Häusern blieben, was eine gewaltige Hungersnot zur Folge gehabt haben soll. Als die  Seuche endlich abflaute, habe einer mutiger Mann aus der Zunft der Schäffler seine Wohnung am Färbergraben Nr. 20 verlassen und Kollegen animiert, die Bürger durch Musik und lustiges Spiel aufzuheitern.

„Bald wurde es wieder lebhaft in den Straße, die Glocken ertönten zu Dankgebeten. Alles kehrte zur Ordnung und zur Arbeit mit erstarktem Mute zurück.“ So erzählt es der Fachverein der Schäffler Münchens auf seiner Webseite. Die im 19. Jahrhundert durch einen gewissen Mayer verbreitete Legende stützt sich anscheinend auf ein Pestbild in der Peterskirche. Hellmut Stahleder vom Stadtarchiv jedoch stellt kategorisch fest: „Es gab offensichtlich 1517 keine Pest, am allerwenigsten eine schwere.“ Das Bild müsse sich überhaupt nicht auf eine bestimmte Pest beziehen, und wenn, könne diese viele Jahre zurückliegen.

Die letzte große Pest wurde 1896 von Asien aus durch Schiffe weltweit verbreitet. 1994 forderte sie in Indien fast tausend Menschenleben. Auch heute ist die Seuche noch keineswegs ausgerottet.  2004 und 2005 gab es Infektionsfälle in Colorado, wo schon 1957 acht Personen an der Pest starben. Für die Jahre 2010 bis 2015 meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) weltweit 3248 Fälle von Lungen- oder Beulenpest mit 548 Todesopfern, meist in tropischen oder subtropischen Regionen. Die letzte Epidemie traf im Herbst 2017 die Insel Madagaskar; damals warnte das RKI vor möglichen Reiseinfektionen in Deutschland. Noch im November 2019 wurden aus der Inneren Mongolei vier Neuinfektionen gemeldet, nachdem in den Jahren zuvor schon fünf Menschen in China an der Beulenpest gestorben waren; die Behörden bekämpften die verdächtigten Ratten und Flöhe durch Gift aus Flugzeugen. In den USA, wo die Pest offenbar immer noch nicht ausgerottet ist, wurde eine andere Ursache vermutet: Das Häuten von Hasen, die häufig mit infektiösen Flöhen besetzt sind. Auch Ratten, die Todbringer des Mittelalters, gelten nach wie vor als Überträger. Daher gehört das „Entratten“ von Schiffen zu den strengen Gesundheitsvorschriften, die heute im Rahmen eines internationalen Informations- und Warnnetzes ein Neuaufleben dieser klassischen Weltseuche verhindern sollen.

Karl Stankiewitz arbeitet derzeit an einem Buch mit dem Titel "Corona und die sieben Plagen". Einen weiteren Text von ihm mit aktuellem Corona-Bezug samt Hinweis auf sein Corona-Tagebuch finden Sie hier.

Veröffentlicht am: 19.05.2020

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