Der neue Riemenschneider-Saal im Bayerischen Nationalmuseum

In Knitterfaltengewittern

von Roberta De Righi

Johannes (Detail) aus Passionsszene mit trauernden Frauen. Würzburg 1490. Foto: Walter Haberland / Bayerisches Nationalmuseum

Manchmal verbirgt sich der göttliche Funke in Knitterfaltengewittern. Jedenfalls, wenn man die Skulpturen des großen Bildschnitzers Tilman Riemenschneider (um 1460-1531) ansieht: Etwa die sechs Engel, die um die ganzkörperbehaarte heilige Magdalena herumschwirren. Fast meint man, ein Sausen in der Luft zu hören, wie große Falter es erzeugen. Die Engel stecken in derart aufwändig flatternden Mänteln,  die wie von selbst flugfähig wirken, so dass sie die zarten Flügel wie unnütze Atavismen aussehen lassen.

Die Mitteltafel des Münnerstädter Magdalenen-Altars mit der Büßerin, die von sechs Engeln fürs tägliche Gebet in den Himmel gehoben wird, ist eines der Hauptwerke in der Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums. Jetzt wurde dort der Riemenschneider-Saal neu eingerichtet. Und der Besuch lohnt sich, nicht nur wegen der himmlischen Zaubermäntel. Auch die Neupräsentation zweier Gruppen aus einer Kreuzigung Christi, die restauriert und ins perfekte Licht gesetzt wurden, ist beeindruckend.

Anders als die einst nur lasierend gefasste Magdalena sind diese prächtig mit Gold, Silber und Pressbrokat gefasst. Diesen Part übernahm der Rothenburger Fassmaler Martinus Schwarz. Doch der damals hochgefragte Riemenschneider betrieb selbst eine hervorragend organisierte Werkstatt, in der „Spezialisten“ etwa für die aufwändig ausgehöhlten Locken, Gewandfalten, Gesichter etc. einen optimierten Werkprozess ermöglichten. Von Riemenschneider stammten später nur mehr die Entwürfe. Im neu arrangierten Saal befinden sich allerdings nur die unter direkter Beteiligung des Meisters geschaffenen Exponate.

Heilige Magdalena vom Hochaltar der St. Magdalenenkirche in Münnerstadt. Würzburg 1490 / 92. Foto: Bastian Krack / Bayerisches Nationalmuseum

Und auch wenn die Kreuzigung selbst nicht im BNM vorhanden ist, kann man sie sich fast bildlich vorstellen. Haltung, Ausdruck und Mienenspiel der  beiden Gruppen scheinen das Geschehen am Kreuz widerzuspiegeln: Hier die – typisch – in sich gekehrt trauernde Maria, gehalten von Johannes und zwei Frauen, eine davon weinend. Dort eine Gruppe von Soldaten, die überwiegend ungerührt, aber interessiert nach oben blicken. In der Mitte aber ein Mann ohne Schild, Helm und Waffen, der den Blick ebenso wie der  Behelmte hinter ihm den Blick abwendet – und laut Interpretation im Katalog den Hohepriester Kaiphas darstellen könnte. Diese Menschenbilder sind differenziert und zugleich realistisch.

Gerade der Vergleich mit der Mondsichel-Madonna von Michel Erhart, die dankenswerterweise auch ihm Saal steht, erhellt Eigenart und Einzigartigkeit: Riemenschneider war ein hervorragender Beobachter, dessen Figuren Anmut und Lebensnähe zugleich auszeichnen. Er war ein virtuoser Handwerker, ein kluger Kompositeur, der überzeugende, packende Bildwerke schuf. Doch die unmittelbar anrührende Wirkung von Erharts lieblich-liebevollen Mutter mit Kind als Sinnbild eines beseelten Glaubens ist bei ihm undenkbar.

Er überzeichnet weder im Guten noch im Bösen, zeigt die Menschen seiner Zeit unverklärt, illusionslos. Was wohl auch in seiner gesellschaftlichen Stellung und einer Haltung begründet war, welcher der Geist der Reformation nicht fremd war: Riemenschneider, der dem Rat der Stadt Würzburg angehörte, stand mit diesem während des Bauerkrieges auf Seiten der Bauern – gegen den Fürstbischof. Nach deren Niederlage 1525 wurde auch er eingekerkert und gefoltert. Er konnte sich freikaufen, erhielt aber bis zu seinem Tod keine großen Aufträge mehr.

Bayerisches Nationalmuseum, Di – So 10 bis 17 Uhr, Do bis 20 Uhr Katalog 24,95 Euro.

Veröffentlicht am: 23.12.2016

Über den Autor

Roberta De Righi

Roberta De Righi ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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