Ein großartiger "Katzelmacher" bei Radikal Jung

Leben in der Schablone

von Jan Stöpel

Zweidimensional - so sieht die Welt zu Beginn beim "Katzelmacher" aus. Mit Carolin Hartmann, Pascal Fligg, Mara Widmann, Jonathan Müller. Foto: Gabriella Neeb

Einer der Höhepunkte bislang bei Radikal Jung am Volkstheater: Abdulla Karacas  "Katzelmacher" nach dem Film von Werner Fassbinder. Als Produktion, die heuer absolut aus dem Rahmen fällt und zeigt: Das gute alte Theater kann es noch, wenn der Regisseur nur will. Und kann.

Man kann, wie Volkstheater-Dramaturg Kilian Engels, das Repräsentationstheater mit seinen Dialogen und Behauptungen in der Krise sehen und daher sein Heil in Produktionen ohne Schauspieler (wie in der Produktion „Flimmerskotom“), ohne Sprache („Tyrannis“) oder ohne Theater („Regie 2“) suchen. Und dann doch wieder zu einem nahen Verwandten der klassischen Bühnenkunst gelangen und ziemlich glücklich sein, „dass die Magie des Theaters ja doch noch funktioniert“. So erklärte Engels nachher, im Publikumsgespräch zu Abdullah Kenan Karacas „Katzelmacher“, wie sich unter all die avantgardistischen Stücke und Versuchsanordnungen eben doch ein ziemlich traditionelles, wenn auch ziemlich gut gemachtes Stück verirren konnte.

Klar, Karaca hat am Volkstheater vollen Heimvorteil, und bei Radikal Jung sind immer auch die Gastgeber vertreten. Bei diesem „Katzelmacher“ (nach dem Film von Fassbinder) aber kommt zum Heimvorteil die Qualität hinzu: bei aller scheinbaren Holzschnittartigkeit darf man in viele Richtungen denken.

Ein Fremder in der Stadt: Timocin Ziegler als Jorgos. Foto: Gabriella Neeb

Schon das Bühnenbild (Marlene Lockemann) ist eine Schau. Die sechs Einheimischen sind schablonenhaft in den Prospekt einer Landschaft eingepasst, viel zu schön, um auch nur entfernt wahr zu sein. Die Silhouetten, die in die Holzwand gesägt sind, bereiten den Schauspielern einige Unbequemlichkeit, helfen aber immerhin ihren Figuren, Haltung zu bewahren, ganz aufgesetzte Fröhlichkeit fröhlich, stramm und unflexibel. Aber schließlich hat man noch was zu tun in dieser Welt, und so verlassen die Einheimischen ihre Nischen nach und nach.

Drei Pärchen sind es, die ziemlich grob miteinander und mit den anderen umgehen, man tauscht Worte aus, spricht aber nicht wirklich. Die Holzschnittartigkeit und immer wieder durchdringende Gemeinheit in diesen Wortwechseln geht einem nach einiger Zeit beabsichtigt auf die Nerven. Die Sechs sind in Kostüme von Sita gekleidet, eine Art Tracht, die mit ihrem matten Latex-Schimmern allerdings auch gleich an Abartigkeiten unter der traditionellen Oberfläche denken lässt. Es ist eine Phantasietracht, die senfgelben Blusen der Männer, die dunkelbraunen Krawatten und ihre Mützen lassen allerdings auch an SA denken.

In diese Gesellschaft, die eine Sehnsucht nach Nähe und Liebe wohl vage verspürt, aber wegquasselt oder unter Gedanken des Vorwärtskommens begräbt, schlendert ein Außenseiter. Der Fremde, der „Katzelmacher“, ein Gast- oder vielmehr "Fremdarbeiter", ein Grieche, dem auf Italiener gemünzten Schimpfnamen zum Trotz. Er steht schon von der Kleidung her für „das Fremde“. Wie sich beim Publikumsgespräch herausstellt, hat Regisseur Karaca in Timocin Ziegler sein Alter Ego auf die Bühne geschickt. Der Katzelmacher ist Fluchtpunkt der Begierde, Katalysator für den Hass und das Gefühl des Zukurzgekommenseins, das in allen Figuren gärt.

Was die Figuren wünschen, wie es in ihnen selbst aussieht, zeigt sich im „Terrarium“ unter der Spielfläche: Ein verglaster, niedriger Raum, der die Figuren in die tiefste Gangart zwingt, verkrümmt, wie sie ohnehin schon sind. Das gilt auch für Elisabeth, die einen unvoreingenommenen Eindruck macht, aber auch nur an sich und ihren Vorteil denkt. Dass falsches Verhalten gar nicht so sehr aus einer gänzlich falschen Einstellung entspringen muss, sondern im Gegenteil mit aus einer gewissen Unentschiedenheit - das macht Mara Widmann ziemlich überzeugend klar.

Es geht gar nicht darum, was oder wer der Fremde genau ist. Wir blicken in die Abgründe der Mehrheit und können uns denken, was sie dem Anderen vorwerfen werden: das, was sie an sich selber hassen. Er zieht auf sich, was an negativer Energie in den Figuren steckt, bis zum finalen Gewaltausbruch. Das Ende lässt Karaca nicht offen. Bei ihm steht Jorgos wieder auf, lächelt, wischt sich den Mund ab und macht weiter. „Weil es doch so ist, dass man weitermacht, auch nach Rückschlägen“, sagte Karaca beim Publikumsgespräch.

So wirkt ein 45 Jahre alter Film angesichts von Pegida und AfD erstaunlich aktuell, sogar mit seinem aus der Zeit gefallenen Titel. "Katzelmacher" - das zeugt davon, wie verachtet einst die Italiener waren. Und heute? Bestellt der Münchner, der etwas auf sich hält, seine Pizza auf Italienisch. Und freut sich über die Ehrenbezeichnung der "nördlichsten Stadt Italiens".

 

Veröffentlicht am: 28.04.2016

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