"Herzblut" - Eva Schmidt von Radio München im Interview

"Warum wird nie zu Ende gedacht, wie Journalisten unabhängig arbeiten sollen?"

von Michael Wüst

Das Logo von Radio München.

Kultur wächst nach, behauptet Radio München. Damit mag sich unschwer assoziieren lassen, dass dies Medien auch tun - können oder sollten. Seit Januar 2014 sendet Gründerin und Geschäftsführerin Eva Schmidt. Radio München definiert sich als Münchner Medium mit dem Anspruch unterrepräsentierter Stadtkultur ein Forum zu bieten. Wir befragten sie im Rahmen der "Herzblut"-Aktion.

Eva Schmidt, Journalistin, Sprachtherapeutin und ehemals langjährige Mitarbeiterin des Bürgerradios Radio Lora hat im Januar 2014 eine Frequenz für digitales Radio, genannt DAB+ erhalten. Sie betreibt und leitet das Stadtradio und sendet seit kurzem aus dem Artist Studio unter dem Künstlerhaus am Lenbachplatz. Wir sprachen mit ihr anlässlich der von ihr initiierten Kampagne "Herzblut" verschiedener neuer Medien in München. Mit dieser Aktion soll der Blick für die mediale Gegenwart in der Stadt geschärft werden. Weitere Hinweise dazu am Ende des Textes.

Gleich mal für alle, die sich mit Daten und Frequenzen nicht auskennen. Wenn wir an die Debatte vor etwa einem Jahr um das Klassik-Radio des Bayerischen Rundfunks denken: In der Presse war viel von einem kulturellen Verlust zu hören, der entstünde, wenn man dem angestammten, älteren Publikum die gewohnte UKW-Frequenz wegnähme und die Klassik nunmehr auf dem Übertragungsweg der Zukunft - denn so will es die EU - auf DAB+ anböte. Gibt es da Vorurteile aufgrund fehlender Information?

Das ist eine Debatte, in die ich mich ungern einmische. UKW ist verbreitet, DAB+-Geräte besitzen noch nicht viele Hörer. Wenn man davon ausgeht, dass die Klassikhörer älter sind und mehr Geld haben, ist es vielleicht klug, über sie den DAB+-Markt anzukurbeln. Zumal sie eher nicht diejenigen sind, die zum Radiohören ins Internet abwandern. Wenn man auch noch die Qualitätsargumente für DAB+ dazu nimmt, erst recht, … obwohl es hier ja sehr widerstreitende Argumente gibt.

Für uns ist diese Debatte irrelevant. In München sind keine UKW-Frequenzen frei, wir haben uns auf die letzte freie DAB+-Frequenz beworben, sie bekommen und streamen außerdem im Netz. Mehr wäre noch über Kabel oder Satellit möglich. Diese Ausspielwege sind aber viel zu teuer.

Wenn es richtig ist, dass internetbasiertes Radio im Prinzip eine Zweipunktverbindung zwischen Sender und Empfänger darstellt, dann wäre doch das Argument der DAB+-Kritiker nicht falsch, dass das digitale System den Anspruch des "Broadcast", also eine Mehrpunktverbindung aufzubauen, den Rundfunkauftrag, nicht erfüllt?

Die Frage verstehe ich nicht ganz. DAB+ verbreitet sich genauso wie UKW. Die Hörer empfangen das jetzt digitale Signal über den Fernsehturm auf ihrem Empfangsgerät. Also ein Sender, viele Empfänger. Aber im Internet ist es doch letztlich genauso, es sei denn, man hat seine Streamkapazitäten auf 10 oder 25 Hörer begrenzt, oder!?

Ok, dann mal weg von der Technik zu den Inhalten. Stadtkultur sei unterrepräsentiert, behauptet Radio München. Eine Krise der Printmedien, gerade auf der kulturellen und sozialen Lokalebene scheint nicht zu leugnen. Das hat allerdings nicht unbedingt nur mit Nachlässigkeit der Großen zu tun, sondern trägt wohl auch dem Umstand Rechnung, dass heute viel mehr Menschen in den Dienstleistungssektor Kreativität und Kultur strömen. Versteht sich Radio München als Nischen-Medium oder als Grundversorger?

Eva Schmidt. Foto: Sabine Mairiedl

Sie beschreiben zwei der Gründe, die für die Gründung von Radio München gesprochen haben. Aber es sind nicht nur die reduzierten Feuilleton-Redaktionen und die anwachsenden Tätigkeiten in kreativen Feldern, die gesehen werden wollen. Klar wachsen die, weil sie sinnstiftender und lebendiger sind, als eine Menge enervierender Jobs, die viele gezwungen sind zu tun, um Geld zu verdienen.

Es gibt aber noch andere Gründe, warum wir glauben, dass Radio München Platz hat in der Radiolandschaft: Was macht Gemeinschaft aus? Wie entsteht Toleranz? Wann hat eine Stadt Lebensqualität? Welches Potenzial steckt in der Stadtkultur? Wie gestaltet sich eine gerechte Stadt? Das sind die Fragen, die uns umtreiben und antreiben, nachzusehen, Initiativen aufzuspüren, Impulsen nachzugehen. Ob wir dabei ein Nischenprodukt sind oder Grundversorger, hängt von den Bedürfnissen der Hörer ab. Wer Wetter und Verkehrsnachrichten braucht oder Promi-Klatsch und –Tratsch, der wird bei uns nicht fündig. Wer Lust hat, eine musikalische Visitenkarte von München zu hören, wird immer besser bedient, da arbeiten wir kontinuierlich dran. Dann bekommt er noch Anregungen für sein kulturelles Leben in München und Informationen, wohin sich diese Gesellschaft bewegt. Und unser Programm ist ja noch ganz am Anfang.

Ein Mantra der Stadtpolitik ist die wirtschaftliche Effektivität des kreativen Bereichs. Die Umwegfinanzierung durch die Anziehungskraft kultureller Orte. Dennoch scheinen ja gerade Künstler, Kulturschaffende und Journalisten im selben prekären Boot zu sitzen. Muss man den Auftrag der öffentlichen Hand zur kulturellen Vorsorge neu überdenken?

Da antworte ich einfach mal mit: JA. Einerseits will man sich mit Kultur schmücken und da zähle ich die Vielfalt der Medien dazu. Andererseits wird sie nicht finanziert, und wenn, dann nur nach aufwändigen Förderanträgen, die einem die Zeit für die wirkliche Arbeit stehlen und die dann noch willkürlich bewilligt oder abgelehnt werden. Manchmal entdeckt man bei den Vergaben auch altbekannte Verbindungen …

Oder gibt es ohnehin eine kraftvolle Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft, die politischen Wandel gar nicht abwarten kann? Kultur zu machen, weil einem nichts anderes übrig bleibt?

So würde ich das nicht sagen. Wir haben jetzt gerade bei unserer Herzblut-Kampagne entdeckt, dass es einige Medienmacher gibt, die zum Teil akademische, anerkannte und selbstgewählte Berufe haben, um sich zu finanzieren. Andererseits ist ihnen das Kulturschaffen ebenso wichtig oder wichtiger. Ich habe zum Beispiel noch mit 38 Jahren ein Studium gemacht, um einen zweiten guten Beruf zu haben, in dem ich Geld verdiene, weil ich im ersten, im Journalismus, unabhängig bleiben wollte. Natürlich arbeite ich mich in zwei Jobs gerade kaputt und es wäre schön, wenn es finanziell leichter würde.

Die 70er Jahre erscheinen den Älteren verklärt. Damals brach der Pflasterstrand auf und es entstanden Stadtzeitungen, wie in Frankfurt das gleichnamige Magazin mit dem leitenden Redakteur Daniel Cohn-Bendit. In Nürnberg gab es den Plärrer und in München, legendär, das Blatt. Aus der Stadtindianerszene wurden in den 80er Jahren Hochglanzmagazine und Beileger, Supplemente in großen Printmedien, die dann vor zirka Jahren mehr oder weniger alle dem Rotstift zum Opfer fielen. Neue Medien wuchsen eben auf Dauer nicht nach.

Ein Werden und Vergehen (lacht) … Nein, warum neue und vom Denkansatz alternative Medien sich selten halten, ist doch nicht schwer zu verstehen: Wer sich inhaltlich unabhängig machen will und auch bei gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Fragen frei bleiben will, hat doch die größten Schwierigkeiten und vor allem Aversionen, sich auf dem Markt zu behaupten. Wie soll das auch funktionieren? Ich frage mich, warum das eigentlich nie zu Ende gedacht wird, wie Journalisten unabhängig arbeiten sollen.

In diesen neuen, freien Medien arbeitet man sich oft in Lebensphasen auf, in denen man noch mit wenig Geld auskommt. Wenn Kinder kommen werden Geld und Zeit knapp. Dann schafft man das nicht mehr. Da bleiben nur ein paar wenige, die zum Beispiel geerbt haben, von Hartz IV leben oder sehr alternative Lebensmodelle gewählt haben. Ein anderer Punkt für das Scheitern neuer Medien ist die Frustration, nicht genug bewirkt zu haben in der Gesellschaft …

Nach gut 30 Jahren eines anscheinend alternativlosen Neoliberalismus steckt die Popkultur in einer bleiernen Postmoderne, die permanente Vergangenheit produziert. Längst hat Pop nichts mehr mit Zukunft oder einem anderen Leben zu tun. Dennoch läuft die Maschine. Wagen Medien wie Radio München einen Blick in die Zukunft, auch wenn dies vielleicht vergangen erscheint?

Wow, die Frage ist mir wahrscheinlich zu hoch. Wenn ich sie aber richtig verstanden habe, muss ich mit NEIN antworten. Wir mögen ja irgendwie Teil der Popkultur sein, wo immer sie auch feststeckt. Aber Radio München kann ja nicht aus sich selbst heraus schöpferisch sein. Wir wollen da hinschauen und vor allem hinzeigen, wo sich was bewegt, wo der Wandel bereits voll im Gang ist. Das unterstützt die Macher und motiviert andere, weitere Schritte zu gehen. Vielleicht entsteht so irgendwann doch eine Zukunft. Radio München selbst ist einfach Medium, nicht mehr und nicht weniger.

 

Die "Herzblut"-Aktion erklärt sich und ist zu erleben mit einer mulimedialen Reportage unter http://reportage.stadt-liebe.org/herzblut. Der Kulturvollzug befindet sich mit einem Beitrag auf dieser Seite.

Bei Radio München gibt es auch ein Interview mit Michael Grill von Kulturvollzug; das Curt Magazin präsentiert die "Herzblut"-Aktion hier.

 

 

 

 

Veröffentlicht am: 10.04.2015

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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