"Jetzt das Paradies. Eine Rehab-Oper" im Schwere Reiter

Alles krank, alles. Nur die Oper ist immerhin stabil untot

von Michael Wüst

Willkommen im Irrenhaus der Gesundheit! Das neueste Musiktheaterstück der Micro Oper München im Theater `Schwere Reiter´ nennt sich nämlich Rehab-Oper. Cornelia Melian und ihr Team widmeten sich darin der Schwester der Effizienz, der Krankheit, also der Gesundheit – etwa  Operngesundheit? Nach Wagner ist das Wort ja eigentlich nicht denkbar. Eher war es doch: Spiel mir das Lied vom Burnout - sozusagen das Lied von der Rehabilitation ruinierter menschlicher Leistungsträger. Und zuletzt schien nach aller Krankheit einzig gesund: das Nichts.

Mit Karacho in die Gesundheitshölle. Foto: Regine Heiland

Obwohl: Operngesundheit. Zu dem Thema hatte ja Slavoy Cicek in seinem Buch „Der zweite Tod der Oper“ bereits den stabilen Zustand der ehrwürdigen Dame verkündet. Stabil untot sei die Alte. Eine Art komatöser Meditation verliehe ihr eine bizarre Erotik, spätestens seit Wagner. Ein bisschen durfte man das assoziieren. Denn schon beim Titel „Jetzt das Paradies. Eine Rehab-Oper“ schien sich irgendwie ein Feld zwischen Dekadenz und Gesellschaftskritik aufzuspannen, darin Musik, das Fremde. Amy Winehouse in Begleitung des fliegenden Holländer sahen wir kurz in der Loge auftauchen.

Links von einer ordentlich mit Riesenlaken bezogenen Riesenmatratze sitzt zu Beginn in Purcellscher Pose Thomas Weber an der Gitarre (Bühne: Brigitta Lohrer-Horres). Hinter einer kopflosen Körperlarve verborgen, singt Cornelia Melian „An sich selbst“ von Ernst Bechert, dem Komponisten des Abends, der auch live an Keyboards und Sampler steht. Hingebungsvolle Melancholie im sanften Schein von London-Tower-Kerzen. Eine Spur in längst vergangene Zeiten menschlichen Ernstes. Eine verwaiste Spur.

Zumal, wenn in diesen Moment dunkler Nachdenklichkeit jetzt Anton Kauns Noise-Art-Performance hinein kracht, alles Leben, die Zeitenfolge und die Vergangenheit, auslöscht, pulverisiert, umschmilzt umstanzt und umformatiert. Zeit wird an seiner digitalen Stanz-Walze zu Platten geschnitten, die im Ostinato „Mitnichten-Mitnichten-Mitnichten“ schreien und kreischend zu Boden fallen. Im industriell, rauschhaften Punkinferno jagen dazu im Hintergrund an der Rückwand Szenen einer Leistungsträgerin im blaugrauen Businesskostüm dahin. In der Rückwand ragt offen eine Tür wie ein ausgeschlagener Zahn. Über diese Lücke springt schnalzend der Film. Und dort, auf der Stelle trabend, wie ein Jogger an der Ampel, ist die Businessfrau jetzt leibhaftig angekommen und wird sich in die kranke Reha-Grete im weißen Kittel verwandeln.

Ein mächtiger Auftakt, gleichwohl einen Krater hinterlassend (Dramaturgie: Katrin Dollinger). Hilft ja nichts, man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind. „Willkommen“, hallt es vom Band! „Entspannung, Gestaltung, Emphatie – atmen Sie!“ So bleibt Cornelia Melian, der ausgebrannten Grete, Ex-Businessfrau aus der Referenzproduktion „Man kann nie wissen“ (Schwere Reiter, 2011) nichts anderes übrig, als pharmabesoffen auf Matratzenwelten zu taumeln. Aber wenn man's bedenkt? Grundsätzlich kann doch endloses Stürzen auch als stabile Fortbewegung betrachtet werden! Oder therapeutischer gesagt: Gehen ist auch nur kontrolliertes Stürzen. Den Brennstoff dafür stellt im Hintergrund Anton Kaun an einer Art Pillen-Lotterie im Sixtie-Retro-Futurismus her. Flauschige Bällchen in allen Lebensmittelfarben ploppen dort mit angenehmem Geräusch in den Plexiglasröhren.

Es folgt die „Arie der Orientierungslosigkeit“ (Ernst Bechert), mit einer an Kurt Weill erinnernden Phrase, als folge man einem chronologischen Wink in die Moderne. Dort, in der Ironie früher Science Fiction hat man dann viel Spaß mit der Choreographie von Brigitta Trommler. Weiße Overalls mit weißen Schutzbrillen gegen mögliche Sonnenfinsternisse. Nach langer Starre erweist sich eine surrealistisch anmutende Riesenfroschpuppe als lebendig (Kostüme, Robert Kis). Grete, die ausgebrannte, deliriert verzückt, denn die flauschigen Bällchen wirken als leckere Lithium Mellows und zwischenzeitlicher Smartphone-Turkey löst sich im Wohlgefallen des Nichts auf. Wie der Weg in die Moderne selbst.

Doch vorher kommt es noch einmal zu einer Simulation: Amy Winehouse, Soul-Simulakrum und Pop-Diva als Wellness-Schlossgespenst. Axel Tangerding (Lightdesign) reicht dazu orange-psychedelische Beliebigkeit und die Band arbeitet unter großartigem Einsatz von Jürgen Schneider (Perkussion) Groove-Klischees ab. Ein letzter Moment von Understatement im Irrealen.

Allmählich weichen Trugbilder und Simulationen zugunsten eines reinen Weiß. Im Irrenhaus der Gesundheit wird der Raum geschichts- und geschichtenlos. Die Nacht der Erzählung und Imagination ist exorziert. Wirklichkeit nimmt den Platz des Irrsinns ein.

Bevor dies geschieht begegnen sich zwei finale Protagonisten der Moderne, John Cage und Samuel Beckett. In „Neuronale Explosion“  von John Cage ist Grete über und über bedeckt mit den bunten Glücksbällchen. Wie das Tier der Apokalypse erhebt sie sich dann aus der Drogenflut. Sterbend, sich im Tod entfaltend. Fauchend, brabbelnd, singend, keuchend erstreckt sie sich über die ganze Breite der Bühne.

Beckett wird das Schlusswort gegeben. Der Raum ist zerstört, es scheint als habe sich der Abgrund durch de Decke gebohrt, kein Raum, keine Herkunft, keine Historizität. Der weiße Kubus aus Beckett's  spätem Stück „Bing“ ist das Ende der Simulationen. Alles weiss, Decke, Boden, alles gewusst. Kein Raum, vorbei. Nur Wörter. Im Trümmerfeld sitzt Grete.

Nur noch am heutigen Sonntag (8. September 2013) um 18 Uhr im Schwere Reiter.

Veröffentlicht am: 08.09.2013

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

Weitere Artikel von Michael Wüst:
Andere Artikel aus der Kategorie
Klaus Reinhart
08.09.2013 21:21 Uhr

Hört sich an wie ein Singspiel der Dramaturgie-Avantgarde.

Wurde auch tatsächlich gesungen ?

Treffen sich Beckett und Vaentin in der Staatsoper ...

Noch zu gründen: Eine Stiftung für Münchens subversivstes Opernprojekt.