Der Einzelgänger: Der gebürtige Pariser Serge Mangin porträtierte Kohl, Bush und Gorbatschow – er ist Münchens unbekanntester weltberühmter Künstler

von Michael Grill

"Ich bin kein unterwürfiger Porträtist": Serge Mangin vor dem von ihm geschaffenen Kopf von George Bush Senior. Foto: Daniel Biskup

Es gibt da eine kleine weiße Kellertür an einem großen grauen Jugendstilhaus in Schwabing, durch die vor einiger Zeit auch Michail Gorbatschow ging. Unten riecht es nach feuchtem Ton und trockenem Gips, es stehen jede Menge nackte Frauen herum und einige Männer. Der Raum misst vielleicht 30 Quadratmeter, er ist voller Werkzeug, fertiger und halbfertiger Figuren, dazu Fotos, Skizzen, Modellierbock. „Das hier ist mein U-Boot“, sagt eine kräftige Männerstimme mit zuckersüßem französischen Akzent, „gegen die Welt da oben“. Serge Mangin zieht ein breites Franzosenlächeln übers Gesicht.

Er ist Münchens unbekanntester weltberühmter Künstler. Kürzlich war er in Texas, um dem früheren US-Präsidenten George Bush Senior einen Abguss von dessen Porträtbüste zu überreichen. Im Herbst sah man ihn in Berlin am Checkpoint Charlie neben Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der das Denkmal für die „Väter der Einheit“ enthüllte: Die Köpfe von Bush, Gorbatschow und Helmut Kohl, geschaffen von Serge Mangin, dem 63 Jahre alten Franzosen aus dem kleinen U-Boot-Atelier in Schwabing. Hier lagern auch noch Testformen der Politikerköpfe. „Gorbatschow stand da drüben, damit ich die letzten Korrekturen machen konnte“, sagt der Hausherr, und ehe man sich versieht, beginnt eine Diskussion über Europapolitik, deutsche Geschichte und den Versuch, die Leistungen von Politikern mit den Mitteln der Kunst zu würdigen. „Ich bin kein unterwürfiger Porträtist“, sagt Mangin plötzlich, „ich bin Zeuge meiner Zeit“. Er muss aufpassen, er ist angreifbar, das weiß er. Immer wieder betont er, wie er nicht gesehen werden will: Nämlich vor allem „nicht extremkonservativ“ und „nicht politisch“. Er fühlt die Gefahr, grundsätzlich missverstanden zu werden. Dabei wird er von der Kunstszene, den Museen, den Galeristen vor allem eines: ignoriert.

Händedruck von Michail Gorbatschow. Ganz rechts die Büste des Politikers. Foto: Daniel Biskup

Berthold Roland, der viele Jahre Kunstberater von Helmut Kohl gewesen ist und die Arbeit von Mangin begleitet und schätzt, sagt über den Münchner Bildhauer: „Es ist unbekannt in Deutschland, bis heute. Andere Künstler nehmen ihn gar nicht wahr.“ Der leitende Kurator für Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne, Bernhart Schwenk, bestätigt dies eher unfreiwillig: „Ein Künstler, der von anderen Künstlern nicht gekannt wird, den gibt es nicht, das ist ein Mythos. Deshalb muss man schon fragen: Handelt es sich bei dem, was da entsteht, um Kunst?“ Der Bildhauer Nikolaus Gerhart, der räumlich nur wenige hundert Meter entfernt von Mangins Atelier Rektor der Münchner Kunstakademie gewesen ist, reflektiert immerhin freundlich: „Wenn man ihn nicht kennt, muss das ja nichts Negatives sein.“

Was also ist eigentlich das Problem mit diesem Mangin? Womöglich geht es nur um die Unvereinbarkeit gewisser Kunstauffassungen. Vielleicht aber auch um die Frage, auf welchem Menschenbild wie unser ästhetisches Empfinden aufbauen. Serge Mangin porträtiert Große und Mächtige, aber auch solche „die nur mit Honig oder Olivenöl zahlen können“, wie das auf Kreta, wo er zeitweise lebt, öfters vorkommt. Seine Porträts sind immer ernst, figürlich, naturalistisch. Sie sind nicht: modern im Sinne von moderner Kunst. Sie sind respektvolle, humanistische Näherungen im Geist der alten Griechen: „Wenn ich die Kunst der Antike lediglich kopieren würde, wäre das für mich eine Katastrophe. Aber ich sehe eine Pflicht, eine Kunst zu machen, die auf diesen Werten aufbaut“, so Mangin. „Viele halten mich für konservativ, aber in unserer Plastikwelt ist das, was ich mache, doch die eigentliche Revolution.“ Der Kunstmarkt sei „ein Börsengeschäft geworden, auf dem seit 90 Jahren immer die gleichen Namen gehandelt werden: Picasso, Klee, Giacometti...“. Mangin wandert jetzt in seinem U-Boot unruhig auf und ab. „Und an den Akademien werfen Bildhauer nur noch Gips an die Wand und halten das für welterklärend und subversiv!“ Er würde sich mit dem größten Vergnügen gerne selbst einmal einem anderen Porträtisten aussetzen - „Aber ich kenne keinen einzigen. Und wenn es sie überhaupt noch gibt, dann haben sie nicht den Mut, auf die große Bühne zu komme – können Sie sich das vorstellen?“

Bei der Eröffnung des Denkmals für die "Väter der Einheit" in Berlin mit Helmut Schmidt. Rechts das von Mangin geschaffene Abbild von Helmut Kohl. Foto: Daniel Biskup

Mangin sagt, er arbeite für künftige Generationen und Jahrhunderte, „aber nicht für die Galeristen in den schönen Vierteln von Hamburg, Berlin oder München. Ich lehne jede Arbeit mit Galeristen ab, sie sind ein Produkt der Dekadenz von heute. Und ich bin prinzipiell gegen Ausstellungen, ich mache keine. Schon bei dem Wort Vernissage wird mir schlecht.“ Es könnte sein, dass dies eine reaktionäre Kunstauffassung ist. Es könnte aber auch das Gegenteil davon sein. Auf jeden Fall ist sie sehr gut bezahlt: Serge Mangin sagt, er verkaufe zwar nicht nicht öfter als zwei bis drei mal im Jahr eine Arbeit, „aber dann sehr gut“. Die Preisspanne für einen echtes Mangin-Porträt liege zwischen 30.000 und 200.000 Euro.

Wenn Serge Mangin nach den Details seiner Biografie gefragt wird, erzählt er im Wesentlichen von den Jahren 1968 bis 1973. Mit 21 beobachtet der gebürtige Pariser im Quartier Latin die täglichen Straßenschlachten zwischen Studenten und Polizei - „Beide Seiten haben mich angeekelt.“ Er flüchtete in die Fremdenlegion und lernte dort Deutsche kennen: „Ich habe mich in die deutsche Sprache verliebt wie in eine Frau. Das war ein Schock, aber in meinem Leben war immer ausschlaggebend, ob ich etwas liebe.“ Er zog nach Deutschland, wollte völlig neu anfangen, lebte erst in München, dann in Hamburg. „Ich war auf der Suche, ich war auch verzweifelt, ich habe zweieinhalb Jahre lang nur Bücher gelesen und Bier getrunken. Danach war ich reif, um Bildhauer zu werden.“ Zurück in München beginnt er eine Ausbildung bei dem stark christlich geprägten Bildhauer Anton Rückel. „Und seitdem“, sagt Mangin und hat wieder sein Franzosenlächeln, „seitdem habe ich nichts anderes gemacht als Bildhauerei. Mehr habe ich eigentlich nicht zu erzählen“. Reisen, Abenteuer? - „Jedes Porträt ist ein Abenteuer. Und Reisen habe ich viele gemacht, aber die aufregendsten Expeditionen waren hier in diesem Keller.“ Familie, gar Kinder? - „Andere zeugen Kinder, ich erzeuge Statuen. Ich bin ein Einzelgänger.“

Mit Richard von Weizsäcker. Foto: Daniel Biskup

Dem Einzelgänger gelingen etwa ab Ende der 80er Jahre mehrere große Würfe, insbesondere mit den Abbildern von Luciano Pavarotti und Ernst Jünger. Einige seiner Figuren sind häufig im TV-„Traumschiff“ zu sehen, da Reeder Peter Deilmann sie auf der MS Deutschland aufstellt. Mangin hat auch nichts gegen „eine Prise Arroganz“: „Es kommt nicht drauf an, wie vielen etwas gefällt, sondern wem es gefällt.“ Er kämpft mit Polemik: Als seine Bronze-Gruppe „Save Our Seas“ an der Nordsee bei Westerland aufgestellt wird, zu der eine Frau mit erhobenen rechtem Arm gehört, titelt ein Boulevardblatt: „Hitler-Gruß aus München“. Mangin ist fassunglos: „Die Nazis haben Muskelprotze verherrlicht. Mir geht es um humanistische Ideale und um die Verteidigung der europäischen Identität und Sensibilität! Inzwischen ist die Statue übrigens ein Wahrzeichen von Sylt und ein Symbol für den Umweltschutz dort.“

Es ist aber nun mal so, dass Mangin aus dem Raster des üblichen Künstlers, der politisch kritisch und formal abstrakt zu sein hat, herausfällt. „Nennen Sie es: Ein Aufstand der Schönheit“, sagt er schließlich. Die nackten Frauen im Atelier unterstreichen jedes Wort mit den Rundungen ihrer perfekten Bronzebrüste. Mangin legt den Fokus natürlich anders: „Meine Statuen stehen immer, es sind freie Menschen, keine Konsumenten. Stehen ist für mich immer eine Art Widerstand.“ Trotzdem gebe es so etwas wie ein Naturrecht des Künstlers, eine schöne Frau anzusprechen, ob er sie porträtieren dürfe, so Mangin. Er gehe auch jeden Abend zum Marienplatz und sehe sich Gesichter an: „Da bin ich doch noch Pariser, ich brauche die Menge.“ Ob er einen Künstler-Traum hat? Nein, meint Mangin zum Abschied, denn höher als mit Bush, Kohl, Gorbatschow könne er nicht kommen. Dann tritt der französische Akzent besonders deutlich hervor: „Aber wenn ich morgen eine Frau in einer Straße von München sehe, die mich an Jeanne d'Arc erinnert, dann werde ich sie fragen, ob ich sie porträtieren darf...“

Veröffentlicht am: 14.01.2011

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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