„Wer mit dem Begriff Freiheit nichts mehr anzufangen weiß, kann sich ziemlich sicher sein, dass er sie besitzt“

von Florian Haamann

Geschwister-Scholl-Preisträger Joachim Gauck Foto: Florian Haamann

Am Montag hat Joachim Gauck den Geschwister Scholl Preis 2010 entgegen genommen – und bedankte sich mit einer beeindruckenden Rede. Zusammen mit Peter Schneiders Laudatio erfüllte er die ehrwürdige Aula der LMU mit einem frischen Hauch von Freiheit.

„Das letzte Mal, dass ich diesen Saal so voll gesehen habe, war, glaube ich, 1968.“ Diesen Satz stellte Peter Schneider seiner Laudatio auf Joachim Gauck voran. Und es hätte noch viel voller werden können, viele Interessierte wurden wieder nach Hause geschickt. Die Jury habe wohl das richtige Gespür gehabt, meinte Wolf Dieter Eggert vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels angesichts des Andrangs.

Thematisch mag sich der eine oder andere der Glücklichen in der großen Aula der LMU auch an die 68iger Zeit erinnert gefühlt haben. Denn es wurde über Widerstand gesprochen, Widerstand in der DDR und natürlich auch über den Widerstand unter der Nazidiktatur. Und es wurde gefeiert - nein, zelebriert. Das große Wort „Freiheit“ war der eigentliche Star des Abends, wiederbelebt von einem wahren Meister der Rhetorik: Joachim Gauck. Ausgezeichnet wurde er für seine in diesem Jahr erschienene, beachtenswerte Autobiographie "Winter im Sommer - Frühling im Herbst"

In der Begründung schreibt die Jury unter anderem: „Es ist die Autobiographie eines Mannes, der wie wenige andere über seine Opposition zur DDR-Führung und die Aufarbeitung des DDR-Unrechts identifiziert wird.“ Und weiter „Joachim Gauck zeigt in seinem Buch, dass für ihn die Antwort ganz einfach ist: Die DDR-Führung nahm ihren Bürgern die Freiheit und das war Unrecht. Die Freiheit ist ein hohes Gut, die engste Verwandte der Menschenwürde.“

Aber wie ist aus dem „Staatsinsassen“ Gauck der mutige Bürger geworden, der Kämpfer für die Freiheit eines Volkes?

Laudator Peter Schneider Foto: Florian Haamann

Es muss wohl doch ein Gewissen geben

Einer möglichen Antwort wollte sich Peter Schneider mit seiner Laudatio nähern. Dabei arbeitete er sich auch an der modernen Neurobiologie ab, die dem Menschen einen freien Willen aberkennt. Wenn diese These zuträfe, hätte also der Mutige genauso wenig die Wahl wie der Schwache, der vor einem Regime Einknickende? Fakt ist: Es haben sich nicht alle Kinder, deren Väter vom Geheimdienst entführt wurden und die ähnliche Rahmenbedingungen hatten, wie Joachim Gauck verhalten, so Schneider. Es gibt also wohl doch keine unkontrollierbaren chemischen Vorgänge im Gehirn, die die Hoffnung und den Widerstand der Mutigen erklären.

Verstehbar wird dieses Verhalten für Schneider nur, wenn wir annehmen, dass es wohl doch „jene rästelhafte, biochemisch vielleicht nie ganz aufklärbare Instanz in unserem Inneren gibt, die man das persönliche Gewissen nennt.“

Kritisch ging er mit denen ins Gericht, die ihre schwachen Handlungen immer wieder mit fatalistischen Erklärungen rechtfertigen wollen: „Woher diese populäre Neigung, sich selber in vorauseilender Zerknirschung zum potentiellen Versager zu erklären und quasi ein Naturrecht zur Kollaboration einklagen, statt sich etwas Zivilcourage zuzutrauen?“

Wegen Sätzen wie diesem wird Schneiders Rede immer wieder von Applaus unterbrochen. Es ist ihm gelungen, die Tendenzen zur Schwäche einer Gesellschaft ausführlich zu kritisieren, dagegen aber immer wieder Joachim Gauck als leuchtendes Vorbild in Stellung zu bringen. Damit hat er beim Publikum den Boden bereitet, auf dem Joachim Gauck dann seine Idee der Freiheit erfolgreich ausbringen konnte.

'Klare Haltung in Leben und Werk' Foto: Florian Haamann

Man muss auch traurig sein dürfen

Doch Gauck hat nicht nur über die Bedeutung der Freiheit gesprochen. Viel hat er davon berichtet, welche Entwicklung er durchgemacht hat, während er seine Biographie geschrieben hat. Da war von Tränen die Rede, die ganze Blätter durchnäßt haben. Als er die Abschiedsszene von seinen Söhnen schreiben wollte. Mehr als 20 Jahre nach der Flucht der Kinder in den Westen stand dieser Mann „im Herbst seines Lebens“ vor der Frage: Woher kommen auf einmal diese Tränen?

Nach langem Ringen kam er zu der Antwort: Es war die Traurigkeit über die verschenke Freiheit. Nur war er damals ein zu stolzer Mann, einer der seine Gefühle nicht an die Oberfläche lassen wollte, aus Angst, schwach zu wirken.

Trotzdem, und das ist Gauck wichtig, bereut er seine Entscheidung in der DDR zu bleiben nicht im geringsten.

Aber, und das ist seine Erkenntnis, man muss auch traurig sein dürfen, über das, was man im Leben eben nicht haben konnte.

Stolz ist ein Wort, das Joachim Gauck sehr wichtig ist. Glücklich und stolz ist er auf sein Leben, auf das Land in dem er lebt. Stolz auf die Grundrechte die er in diesem Land genießen kann. Dass er sich damit dem Mainstream entgegen stellt, auch darauf ist er stolz. In Deutschland gebe es eine Kunst der Verdrossenheit, in der wir es zu einer gewissen deutschen Perfektion gebracht haben. Seine Botschaft: Das haben wir jetzt lange genug geübt, es ist an der Zeit für etwas Neues

Dieses Neue habe er gespürt, als er im Sommer für ein paar Wochen zu einem Hoffnungsträger der Nation geworden sei. „Es ist doch nicht schlecht, wenn eine Bevölkerung spürt, dass Politik ohne Moral nicht geht.“

Spürbar stolz ist er auch darauf, dass es gerade junge Teile der Bevölkerung waren, die auf einmal gezeigt haben, dass es ihnen eben nicht egal ist, was in der Politik passiert und wer denn da oben steht.

Neben der Freiheit war Stolz somit der zweite große Begriff des Abends. Beim Publikum, das mit stehenden Ovationen dem Preisträger dankte, aber auch bei Gauck selbst.

Veröffentlicht am: 01.12.2010

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Michael Weiser
02.12.2010 09:54 Uhr

"Thematisch mag sich der eine oder andere der Glücklichen in der großen Aula der LMU auch an die 68iger Zeit erinnert gefühlt haben. Denn es wurde über Widerstand gesprochen"

Was, bitte, haben die 68er mit Widerstand zu tun? Plakate hochhalten, Parolen rufen und demonstrieren ist kein Widerstand. Niemand in der Bundesrepublik musste Widerstandskämpfer werden. Und wenn man bedenkt, dass viele 68er von eben der Stasi bezahlt wurden, gegen die sich Tausende Menschen in der DDR tatsächlich zur Wehr setzen mussten, dann finde ich schon die Nennung im selben Satz drollig. Lustig finde ich auch Wolf Dieter Eggerts Bemerkung angesichts des Massenandrangs: Man habe mit der Entscheidung für Gauck wohl das richtige Gespür bewiesen... Ist die Zustimmung möglichst vieler Menschen nun Beleg für die Richtigkeit einer Auszeichnung, die für aufrechten Gang verliehen wird und für Courage? Der Geschwister-Scholl-Preis als Auszeichnung für den großen, großen gemeinsamen Nenner: dass ich das noch erleben darf.

Florian Haamann
02.12.2010 15:55 Uhr

Erstmal erstaunt mich ein wenig, dass du die 68er Bewegung auf „ Plakate hochhalten, Parolen rufen und demonstrieren“ reduzierst und damit die gewaltsamen Auseinandersetzungen völlig ausblendest, die eben auch zu den 68ern gehören. Diese Verharmlosung sollte schon auf Grund der Opfer dieser Auseinandersetzungen so nicht passieren.

Dann würde mich mal interessieren, wie eng du den Widerstandsbegriff fasst?

Ich verstehe Widerstand erstmal so,dass sich ein Einzelner oder eine Gruppe gegen die politische Führung oder einzelne politische Entscheidungen/Situationen zur Wehr setzt, mit welchen Mitteln auch immer. Dabei würde ich erstmal weder zwischen gutem und schlechtem, noch zwischen gewaltsamen und gewaltfreiem Widerstand unterscheiden.

Und damit fällt für mich auch die 68er Bewegung unter den Begriff des Widerstandes. Ganz abgesehen davon, dass die 68er sich selbst oftmals selbst als Widerstand verstanden haben und dadurch der Begriff Widerstand damals zum öffentlichen Diskurs gehörte. Alleine deswegen könnten sich Teile der Anwesenden an damals erinnert gefühlt haben, ganz unabhängig von der Bewertung ob die 68er jetzt als Widerstand zählen oder nicht.

Und natürlich wurden einige der 68er von der Stasi bezahlt. Allerdings finde ich es doch polemisch zu versuchen, damit eine ganze Bewegung zu diskreditieren. Ähnlich abwegig wäre es doch wohl zu sagen, die Bürgerbewegung in der DDR sei kein Widerstand gewesen, weil auch in ihrem Kreis Mitarbeiter der Stasi zu finden waren.

Michael Weiser
02.12.2010 19:26 Uhr

So eng fasse ich den Widerstandsbegriff gar nicht, aber selbst wenn ich ihn sehr weit definiere: Gegen wen sollten die 68er Widerstand geleistet haben? Nein, das in einem Atemzug mit Widerstand gegen das NS-Regime zu bringen, bleibt fragwürdig.

Da wir gerade beim Thema Begriff waren: Wie definiert Gauck Mainstream? Das zu erklären, wäre noch eine Fußnote wert, ebenso wie die Frage, wie er dazu kommt, Politik insgesamt in Misskredit zu bringen. So zumindest hört sichs im Text an.