Sommertheater (Folge vier): "Die Legende vom Heiligen Trinker" in der Roten Sonne – Komm, schenk noch einen ein

von Barbara Teichelmann

Der Trinker Andreas (Steffen Hofmann) in typischer Haltung am Tresen, Foto: Magnus Lechner

Wodka oder Jägermeister? Vor der Eingangstür steht ein Engel, klimpert mit den Wimpern und stellt einen vor die Wahl. Wodka. Runter damit. Und dann die Treppe runter in die „Rote Sonne“, dort gibt es heute Joseph Roths „Legende vom Heiligen Trinker“ zu sehen. Weil einem die Entscheidung, ob man heute Abend Alkohol trinkt oder nicht, gleich zu Beginn des Abends so zuvorkommend abgenommen wurde und man sich in einer Kneipe, also quasi an der Quelle befindet und zudem Durst hat, spricht eigentlich nichts dagegen, dass man sich gleich mal ein Bier holt. Oder einen Prosecco. Oder einen Wodkabull. Oder einen Gin Tonic. Was man halt mag.

So ist, noch bevor es losgeht, eines bereits klar: In jedem von uns sitzt ein kleiner Trinker, ein eloquentes, charmantes, hintertriebenes Etwas, das einem vertraulich ins Ohr flüstert, dass das Leben so viel mehr sein kann als nüchtern, so viel größer und schillernder. Wie alle Verführer hat er natürlich Recht. Aber nur solange man die Wahl hat, zwischen Rausch und Realität.

Andreas Kartak, Joseph Roths literarisch-alkoholisches Alter Ego, hat schon lange keine Wahl mehr, seine Realität ist der Rausch. Er lebt in Paris, schläft unter den Brücken, mäandert ziellos durch die Stadt, macht diese und jene Bekanntschaft, trinkt hier und dort, lässt sich treiben von Durst und Zufall. Obwohl seine Kleidung zerrissen ist, er kein Geld und keine Bleibe hat: Dieser Trinker ist kein Sozialfall, eher ein poetischer Sonderfall, ein aus der Welt Gefallener. Einer, der mit dieser seltsam traumseligen Sicherheit, die Betrunkene oft begleitet, am Abgrund wandelt, schwankt, sich wieder fängt, nur um aufs Neue das Gleichgewicht zu verlieren. Traurig ist das und wunderschön und der Club als institutionalisierte Stätte des Absturzes ein passender Schauplatz. Hier wird gefeiert, getrunken, getanzt – auch heute Abend, denn bei dieser Legende vom Heiligen Trinker handelt sich nicht um herkömmliches Theater, dass man sitzend und distanziert konsumiert, sondern um einen „theatralen Clubabend nach Joseph Roth“. Das Münchner Theaterkollektiv „What you see is what you get“ hat andere Pläne, möchte ‚Assoziationsräume öffnen’.

Prost: Andreas und sein Saufkumpan (links: Karl Knorr) heben mal wieder einen. Foto: Magnus Lechner

Florian Peter aka Bostro Pesepeo, Produzent und DJ, liefert den Soundtrack und ehe man sich versieht, bekommt man tatsächlich Lust den Assoziationsraum aka Tanzfläche zu betreten, und sich heute Abend mal ein bisschen an den Abgrund zu begeben. Und so trinkt und tanzt das Publikum schon ziemlich munter vor sich hin, als Andreas das erste Wunder begegnet: Ein Unbekannter leiht ihm 200 Franc. Zurückgeben soll er das Geld der heiligen Therese von Lisieux. Voller guter Vorsätze, geht es erstmal ab in die nächste Kneipe. Geld weg. Dann das nächste Wunder: Andreas bekommt Arbeit für zwei Tage und dafür 200 Franc. Diesmal schafft er es tatsächlich bis zur Kapelle, in der die Statue der Heiligen steht, wo er das Geld hinterlegen soll. Aber die Kirche ist gerade geschlossen. Also erstmal in die nächste Kneipe. Geld weg. So geht das immer und immer weiter, ein rauschhafter Wunderreigen nimmt seinen Lauf: Andreas begegnet seiner verflossenen Liebe, schläft mit einem jungen hübschen Mädchen, trifft einen alten Freund, bekommt einen feinen Anzug und immer wieder Geld geschenkt. Am Ende begegnet er tatsächlich der Heiligen Therese und fällt tot um.

Regisseurin Julia Müller hat die Erzählung klug in einzelne Szenen gekürzt und diese im Club verteilt: Das erste Wunder passiert hinten bei der Sitzecke, getrunken wird an der Bar, gearbeitet auf der Tanzfläche, gestorben an der Theke. Das Publikum steht frei beweglich im Raum und folgt den Schauplätzen. Zwischen den Szenen wird die Musik aufgedreht, sich unterhalten, getanzt und getrunken. Nicht, dass wir uns jetzt falsch verstehen, es handelt sich nicht um Mitmachtheater, sondern um ein theatrales Ereignis, an dem man teilhaben kann, indem man sich ein bisschen dem hingibt, was da passiert: Ort, Musik, Licht und Joseph Roths Sprache gehen eine ganz eigene ästhetische Verbindung ein, irgendwas zwischen Theater und Rausch.

Frau vor Flaschenlandschaft: Die Geliebte (Pola Jane O'Mara) des Trinkers lässt ihre Reize spielen, Foto: Felix Kruis

Wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist die Musik, sie hält und treibt die Story und den Abend. Und dann ist da noch Pola Jane O’Mara. Steffen Hofmann als Trinker Andreas und Karl Knorr als Erzähler, Wundermann und Trinkgenosse machen ihre Sache gut, aber O’Mara ist richtig gut. Sie spielt sämtliche Frauenrollen – die verflossene Geliebte, die junge Verkäuferin, die Heilige Therese – und all diese Figuren spielt sie auf den Punkt, immer ein bisschen neben der Spur, einen Tick überzeichnet, niemals ernstzunehmend und dadurch wahrhaftig.

Bewusstseinserweiterung muss nicht zwingend was mit Promille zu tun haben. Aber wer nicht aufpasst, hat an diesem Abend schnell einen Rausch beinander. Ob er deshalb am nächsten Tag einen Schädel hat, hängt allerdings stark davon ab, ob er auch was getrunken hat.

Weitere Vorstellungen am 6. und am 7. September 2011 in der Roten Sonne, Maximiliansplatz 5, Karten reservieren unter:whatyouseeiswhatyouget@gmx.de

Veröffentlicht am: 03.09.2011

Über den Autor

Barbara Teichelmann

Redakteurin

Barbara Teichelmann ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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